Lehmann: "Silvia Neid ist mit Klinsmann vergleichbar“

Das Olympia-Finale gegen Schweden ist das letzte Spiel von Bundestrainerin Neid. Die Ex-Bayern-Spielerin Kathrin Lehmann urteilt hart: "Sie bleibt fachlich umstritten."
AZ: Frau Lehmann, wie gefällt Ihnen das Frauenturnier?
KATHRIN LEHMANN: Für mich steht Fußball bei Olympia ganz weit hinten. Olympia hat Platz für alle anderen Sportarten, die sonst nicht im Rampenlicht stehen. Ich will die Kanuten sehen, Bahnradfahrer, Kunstturner. Ich habe natürlich alle deutschen Spiele gesehen, aber ich fiebere nicht so mit wie bei den Beachvolleyballerinnen oder bei Fabian Hambüchen.
Wie ist das sportliche Niveau?
Es ist kein großartiger Fußball. Klar war das cool, dass Schweden gegen Brasilien ins Elferschießen musste. Das ist das, was man sehen will. Diese Spannung, das war Spektakel pur. Aber fußballerisch ist es nicht erste Sahne. Das hat Olympia so an sich: Es ist etwas ganz Spezielles, hat einen anderen Fokus. Und es ist ein Turnier unter vielen – so was mögen Fußballer gar nicht. Die wollen immer die Nr. 1 sein.
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Immerhin spielt bei den Frauen die Top-Garde.
Schon, aber man merkt, dass sie müde sind. Die hatten letztes Jahr eine sehr harte WM, keine Pause und dann gleich zu Olympia. Nächstes Jahr haben sie die EM – man sieht, dass die am Limit sind. Dafür ist es cool, was alle Teams liefern.
Schuss vor den Bug hilft
Die deutsche Elf ist ja eher holprig ins Turnier gestartet.
Es gibt nichts Besseres, als in der Gruppenphase einen Schuss vor den Bug zu bekommen, weil da noch nichts passiert. Sie hatten Mühe, ins Turnier zu finden, aber sie haben sich in jedem Spiel maximal pragmatisch verhalten: So kommt man auch zum Erfolg. Insofern kann man ihnen nichts vorwerfen. Momentan muss man halt nicht schönen Fußball verlangen. Eine Annike Krahn haut eine nach der anderen um und knallt den Ball nach vorne – wenn das die anderen Teams zulassen, gewinnt Deutschland. Das ist pragmatischer, cleverer Fußball. Das muss man Silvia Neid zugestehen.
Die steht vor ihrem letzten Spiel als Bundestrainerin. Ist ihr Rücktritt überfällig?
Sie ist in Rio sehr souverän, ist und bleibt aber fachlich umstritten. Was unbestritten ist: Sie verhält sich clever, ist ein toller Manager, holt sich die richtigen Menschen zusammen und hat sich politisch wunderbar vernetzt. Von daher kann man sagen: alles richtig gemacht.
Neid fehlt internationales Know-How
Welche fachlichen Zweifel meinen Sie genau?
Sie hat ein gewisses Grundverständnis, ist sicher nicht führend, was internationales Knowhow angeht. Muss sie auch nicht, sondern sie muss das, was ihr fehlt dazunehmen, und das macht sie sehr clever. Das ist vergleichbar mit Jürgen Klinsmann. Der war auch nicht der beste Trainer, hat sich aber die richtigen Leute geholt. Sie ist eigentlich der Manager eines Unternehmens, hat die Fäden in der Hand, und wenn sie eins kann, dann ist es: Fäden in der Hand halten.
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Was für ein Typ ist Schwedens Trainerin Pia Sundhage?Eine ganz andere Persönlichkeit, eine Pädagogin vor dem Herrn. Sie hat eine Fähigkeit, Spielerinnen Verantwortung zu übergeben, lässt die Mannschaft entwickeln. Dadurch hat das Team sehr viel Vertrauen, jede Spielerin in sich, ins Team und auch in die Trainerin. Sundhage steht hinter ihrer Mannschaft, Neid führt ihre Mannschaft.
Welches Modell wird siegen?
Das schwedische, rein historisch bedingt. Sundhage weiß, wie man Olympia-Gold holt (2008 und 2012 mit den USA, d. Red.), und Schweden hat zuletzt stets das Finale verloren. Jetzt sind sie wieder dran, und so sehr ich den deutschen Ehrgeiz und Siegeswillen verehre: Diese schwedische Sehnsucht ist kaum zu toppen. Sie werden keine Angst haben zu verlieren – die Deutschen können nur verlieren. Sara Däbritz und Melanie Behringer können das Team nicht immer so maximal führen – Wahnsinn, was die beiden leisten! Das heißt aber: Das DFB-Team ist berechenbar, und Sundhage weiß, wie man sich gegen solche Teams stellt. Ich bin auch keine Freundin von Silvia Neid, aber wer so eine Karriere hatte, dem wünsche ich von ganzem Herzen, dass sie mit dem Titel abtreten kann. Aber ich glaube nicht, dass es Deutschland packt.