„Lauter Mannsbilder – keiner hat eingegriffen“

Kickbox-Queen Theiss über den S-Bahn-Mord, Zivilcourage und ihre eigenen Erlebnisse. Die Ärztin kannte Dominik Brunner persönlich.
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Unterstützt die AZ-Aktion: Kickbox-Weltmeisterin Christine Theiss, die das Mordopfer Dominik Brunner kannte.
Mike Schmalz Unterstützt die AZ-Aktion: Kickbox-Weltmeisterin Christine Theiss, die das Mordopfer Dominik Brunner kannte.

Kickbox-Queen Theiss über den S-Bahn-Mord, Zivilcourage und ihre eigenen Erlebnisse. Die Ärztin kannte Dominik Brunner persönlich.

AZ: Frau Theiss, die AZ hat nach dem feigen Mord an Dominik Brunner die Aktion „Zivilcourage zeigen!“ ins Leben gerufen – eine Initiative, die Sie auch aus ganz persönlichen Motiven unterstützen.

CHRISTINE THEISS: Ja, denn ich kannte Herrn Brunner persönlich. Er war der Privatsponsor unseres Teamkollegen Dominik Hasselbeck. Herr Brunner war bei all seinen Kämpfen und schaute auch öfter mal bei uns im Training beim Kampfsportzentrum Steko vorbei. Er war ein wunderbarer, freundlicher, hilfsbereiter Mensch. Schon aus diesem Grund unterstütze ich die AZ-Initiative von ganzem Herzen. Aber auch ohne meinen persönlichen Bezug stehe ich zu hundert Prozent hinter dieser Aktion. Denn Zivilcourage ist eine der Säulen, auf denen ein Gemeinwesen, eine Gesellschaft basieren muss, damit sie eine gesunde Gesellschaft ist. Zivilcourage heißt ja nicht, dass man in einer Extremsituation sein Leben riskieren muss. Zivilcourage heißt ja, wenn man es auf den Kern reduziert, dass man sich um andere kümmert, dass einem der Mitmensch nicht egal ist, dass man nicht wegschaut.

Was aber in unserer Gesellschaft immer mehr um sich greift...

Leider, und ich kann nur hoffen, dass die Menschen jetzt nicht den falschen Schluss aus dieser Tragödie ziehen und sich sagen: Ich greife da sicher nicht ein, man sieht ja, was passiert. Es darf nicht sein, dass sich die Leute jetzt besonders schnell abwenden, sondern, dass sie besonders intensiv hinschauen.

Das Erschütterndste ist, dass Dominik Brunner alles richtig gemacht hat, die Polizei rief, sich schützend vor die Kinder stellte.

Ja, Herr Brunner hat alles richtig gemacht, aber er hat dafür mit seinem Leben bezahlt. Er hat dafür bezahlt, nicht weil er das Falsche getan hat, sondern weil er der Einzige war, der das Richtige tat. Wenn nur einer mehr die Zivilcourage aufgebracht hätte, würde er wohl noch leben. Denn es sind ja immer dieselben feigen Schweine, die so was machen. Sobald es aber gleich viele sind, ziehen sie den Schwanz ein. Ich bin sehr erschüttert über die unglaubliche Verrohung der Täter. Prügeleien gab es immer, aber früher hat man aufgehört, wenn einer am Boden lag, heute hat man das Gefühl, da geht’s erst richtig los. Wie man so ohne jegliche Empathie sein kann, verstehe ich nicht. Es werden alle Grenzen überschritten.

Sie selber haben schon eine ähnliche Situation erlebt.

Ja, und auch ich musste erleben, wie einsam man ist, wenn man einschreitet. Wie sehr alle wegschauen.

Erzählen Sie genauer.

Ich stieg aus der U-Bahn aus. Da beschimpfte ein Bürschchen, so einer, den du mit einer Watschn umhaust, seine Freundin, die am Boden lag, und wollte auf sie eintreten. Ich bin dann auf ihn zu, habe ihn angefaucht: „Hör’ sofort auf!“ Er hat dann mich beschimpft, mir gedroht, mich zu verprügeln. Ich habe nur gesagt: „Mir egal. Du hörst sofort auf!“ Er ist abgehauen. Aber während der ganzen Zeit sind lauter Anzugsträger da gewesen, lauter gestandene Mannsbilder, die alle nur glotzten. Ich habe die angebrüllt: „Was steht ihr hier rum und macht nichts, ihr Feiglinge!“ – und keiner hat eingegriffen, obwohl sie viel stärker waren. Das fand ich widerlich. Wir müssen wieder dahin kommen, dass es selbstverständlich ist, dass man eingreift. Dass man Zivilcourage zeigt.

Interview: Matthias Kerber

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