Interview

Laura Ludwig: "Ich habe gelernt, meine Selbstzweifel zu kontrollieren"

Deutschlands Beachvolleyball-Queen Laura Ludwig spricht im exklusiven AZ-Interview über Gold bei Olympia in Rio, Rassismus, Equal Pay, knappe Bikinis - und ihren Schlaganfall im Alter von 18 Jahren.
Matthias Kerber
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"Neben dem Moment, meinen Mann zu finden und der Geburt meiner Kinder war dies der tollste, schönste, unvergesslichste Moment meines Lebens", sagt Laura Ludwig über ihren Gold-Coup (an der Seite von Kira Walkenhorst) bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro.
"Neben dem Moment, meinen Mann zu finden und der Geburt meiner Kinder war dies der tollste, schönste, unvergesslichste Moment meines Lebens", sagt Laura Ludwig über ihren Gold-Coup (an der Seite von Kira Walkenhorst) bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro. © imago/Moritz Müller

AZ-Interview mit Laura Ludwig: Die jetzt 36-Jährige ist Deutschlands erfolgreichste Beachvolleyballerin. 2014 gewann sie zusammen mit Kira Walkenhorst die Goldmedaille bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro, ein Jahr darauf holte das Duo auch den WM-Titel. Ludwig hat gerade ihre Biografie "Gold ist eine Glaubensfrage" veröffentlicht.

Laura Ludwig: "Gold ist eine Glaubensfrage". Edel Books, 272 Seiten, 19,95 Euro.
Laura Ludwig: "Gold ist eine Glaubensfrage". Edel Books, 272 Seiten, 19,95 Euro. © Edel Books

AZ: Frau Ludwig, ab Donnerstag finden in München die European Championships statt, Beachvolleyball wird am Königsplatz gespielt - ist das die Bühne, die Ihr Sport dringend braucht?
LAURA LUDWIG: Auf jeden Fall! Ich finde es sehr schade, dass ich das nach meiner zweiten Schwangerschaft nicht als aktive Sportlerin erleben kann. Es ist immer toll, vor heimischem Publikum zu spielen. Das Coole ist ja, dass bei den Championships die Titelkämpfe bei so vielen unterschiedlichen Sportarten an einem Ort stattfinden, das wird sicher viele Zuschauer anziehen, die unseren Sport gar nicht im Kopf hatten, dann auf Beachvolleyball stoßen und feststellen: ein richtig geiler Sport! Vielleicht bleiben sie am Ende dabei hängen.

Der Sand zwischen den Zähnen als ständiger Begleiter

Rallye-Dakar-Star Andrea Peterhansel sagte mal, dass sie mit Sand eine Hassliebe verbindet. Sie feierte darin große Erfolge, aber bis sie den Sand nach der Rallye wieder aus allen Körperöffnungen, speziell den Ohren, hat, das dauert lange.
(lacht) Treffend ausgedrückt. Das Knirschen des Sandes zwischen den Zähnen ist ein ständiger Begleiter. Gerade, wenn die Waschmaschine den Geist aufgibt, weil zu viel Sand in den Klamotten ist, gibt es Momente, in denen man es hasst. Aber im Großen und Ganzen stört es mich nicht. Ich bin selber mit Sand aufgewachsen, die Kinder bringen dauernd Sand mit ins Haus: nicht schlimm. Wobei ich zugeben muss, dass jeder Kuchen bei uns ein bisschen ein Sandkuchen wird. Bei uns knirscht es nicht vor Zucker, sondern eher Sand. (lacht)

In Ihrem Buch "Gold ist eine Glaubensfrage" schreiben Sie, dass die Nerven lange Zeit Ihre Schwäche waren. Wie lange hat es gedauert, bis Sie "gold-gläubig" wurden?
(lacht) Schön formuliert. Sehr lange. Ab 2016, als wir fast alles gewonnen haben, habe ich selber daran geglaubt. Vorher habe ich versucht, daran zu glauben, aber es war eben ein Versuch. Ab 2016 hatten wir so eine Sicherheit, so ein Selbstbewusstsein, dass wir wussten, dass wir es hinkriegen können. Aber das war ein Prozess, der sicher drei Jahre gedauert hat. Es war bei mir eine Drei-Jahres-Arbeit hinter dieser Überzeugung zu 100 Prozent zu stehen.

"Da gibt es nicht diesen einen Schalter, den man umlegt..."

Sie waren, wie Sie es beschreiben, "im Glauben an die eigene Zweitklassigkeit" gefangen.
Absolut, so war es. Bestes Beispiel: Olympia 2012. Wir sind hingefahren, in der Hoffnung, eine Medaille erhaschen zu können - allein durch diesen Mythos bin ich innerlich versteinert. Die sechs Wochen davor hatte ich gedacht, ich bin unstoppable, keiner kann mich aufhalten. Dann war Olympia da, und ich hatte meine Nerven nicht im Griff, war total verklemmt, spürte, da stoppt mich irgendwie etwas, ohne, dass ich es genauer definieren konnte. Ich habe weit unter der Performance agiert, die ich zuvor gezeigt hatte. Erst ab 2013 habe ich gelernt, mit meinen Emotionen umzugehen, sie zu kontrollieren, statt von ihnen kontrolliert zu werden. Ich habe begonnen, sehr viel mit Routinen zu arbeiten. Da gibt es nicht diesen einen Schalter, den man umlegt, das muss man sich erarbeiten. Ich muss auch gestehen: Vor Olympia 2012 hatte ich schlicht keinen Bock, mir so etwas zu erarbeiten. Ich habe nicht geglaubt, dass man so einen Hokuspokus braucht. Ich dachte, wenn man gut ist, ist man gut - dann passt es schon, dann kommt es auf dem Feld, fast überraschungsmäßig. Aber das ist nicht die Realität, wie der Erfolg zu einem findet. Man kann noch so gut sein: Wenn der Kopf nicht mitmacht, kann man auf keinen Fall seine beste Performance abliefern. Die musst du eben bringen - regelmäßig - und auch gerade bei den großen Turnieren. Das konnte ich nicht, weil ich irgendwo in der Überzeugung an meine eigene Zweitklassigkeit gefangen war.

Wobei das unterbewusst läuft.
Absolut! Natürlich habe ich das nie ausgesprochen, dieses, "das schaffen wir nie". Aber unterbewusst war es in meinem Kopf. Keiner konnte mich in dem Moment vor meinen eigenen Nerven retten.

Wie wichtig war der Gold-Erfolg von Julius Brink und Jonas Reckermann bei Olympia 2012? Ein Hinweisgeber, dass Deutsche und nicht nur Amis und Brasilianer im Beachvolleyball triumphieren können? War das eine Initialzündung?
Richtig. Wenn die Jungs damals nicht gewonnen hätten, weiß ich nicht, ob ich für mich in der Lage gewesen wäre, diese Schippe draufzulegen. Sie waren für mich eine Inspiration, wie ein Klick in meinem Denken. Wenn die das als Deutsche schaffen, muss ich das auch irgendwie hinkriegen. Ich weiß genau, wie ich den beiden zugeschaut habe und dachte: 'Wie kann es sein, dass die in den entscheidenden Momenten nicht nur nicht nachlassen, sondern noch einen draufpacken.' Diese Erfahrung hat mich geprägt und geformt. Dass ich dann die gleichen Trainer bekam, hat mir noch mal mehr Vertrauen gegeben. Nach zwei Jahren Arbeit habe ich gespürt: Okay, das klappt, das geht. Ich konnte plötzlich in den entscheidenden Momenten mein bestes Spiel zeigen. Ich hatte vorher nie verstanden, wie das geht. Bei mir war es immer so: Ich habe entweder einen guten Tag oder einen schlechten. Für mich war klar, das ist nichts, was ich beeinflussen oder ändern kann. Dass die beiden das beeinflussen konnten, hat mich unglaublich fasziniert. Ich wollte es unbedingt lernen.

Hilfe kam von der Sportpsychologin Anett Szigeti.
Meine Partnerin Kira Walkenhorst und ich waren starke Athletinnen, hatten aber auch unsere Baustellen, die bearbeitet werden mussten. Sie hat mir im positiven Sinn den Kopf verdreht.

Die meisten Leute kennen den kleinen Zweifler im Kopf

Zusammen haben Sie den Zweifler im Kopf bekämpft.
Ja, der ungebetene Hausgast. Ich habe Anett 2015 kennengelernt und am kleinen Zweifler gearbeitet. Die meisten Leute kennen ihn aus eigener Erfahrung. Diese Zweifel zu erkennen und zu benennen, ist der wichtige erste Schritt. Wie man dann mit ihm umgeht, ist die A- und B-Note. Ich habe gelernt, dass ich Hilfe annehmen kann, dass ich es aussprechen kann, dass ich in einem bestimmten Moment Angst habe. Es ist auch heute noch so, dass der ungebetene Hausgast in meinem Kopf ungefragt auftaucht. Diese Zweifel sind nichts Vorübergehendes, aber ich habe gelernt, sie zu kontrollieren. Ohne unser Team wären wir nicht so erfolgreich geworden. So sind wir auch zu unserem Motto 1+1 = 3 gekommen. Weil ein Team eben mehr ist als nur die Einzelspieler und wir unser gesamtes Team brauchten, um etwas zu werden, was mehr ist als zwei Einzelstücke.

Angeblich ist es besser, wenn zwei Häuptlinge zusammenspielen als zwei Freundinnen, weil die eine sonst mit der anderen leidet, wenn es bei der nicht läuft.
Es geht auch, wenn es zwei Freundinnen sind. Wichtig ist nur, dass man eine offene Kommunikation hat und alles ansprechen kann. Bei Frauen wird Harmonie oft großgeschrieben. Freundinnen führen die kritischen Diskussionen ungern, diese Hose-runter-Gespräche. Beim Beachvolleyball sind wir Individualathleten, die einen Teamsportart betreiben. Es muss jede 100 Prozent bringen, es kann nicht eine ausgewechselt werden wie im Fußball. Deswegen ist wichtig, dass sich jede selbst helfen kann, aber auch der anderen. Es braucht zwei starke Charaktere, eine muss immer der Leader sein, aber es muss nicht immer die gleiche sein. Wenn eine, die eigentlich der Leader ist, gerade extrem unter Druck steht, muss die andere einspringen und die Rolle des Häuptlings übernehmen. Diese Konstellation ist sehr spannend. Gerade, wenn es sehr unterschiedliche Charaktere sind. Da muss man Wege zum Erfolg finden.

Den fanden Sie bei Olympia in Rio, mitten in der Nacht: Um 0.42 Uhr holten Sie mit Walkenhorst Gold!
Meine allerliebste Uhrzeit: 0.42 Uhr (lacht). Ich denke noch immer sehr gerne an das Spiel, an das ganze Turnier zurück. An die ganze Reise - auch die innerliche - mit dem i-Tüpfelchen Goldmedaille. Ich kann mich noch genau erinnern, dass ich in dem Moment, als es geschafft war, nicht glauben konnte, dass wir es vollbracht hatten, dass wir Gold haben. Da war plötzlich der Gedanke da: 'Krass, es war doch einfacher, als es vorher aussah.' Wobei es natürlich ganz und gar nicht einfach war. Der Weg war sehr hart, aber das Turnier für sich haben wir so gut bestritten, dass es sich leichter anfühlte. Ein komisches Gefühl. Neben dem Moment, meinen Mann zu finden und der Geburt meiner Kinder war dies der tollste, schönste, unvergesslichste Moment meines Lebens. Jeder Erfolg hat seinen Stellenwert, auch die WM 2017 war ganz besonders. Aber Rio, diese Goldene, das ist ganz oben, keine Frage.

"Dieser Schlaganfall war ein wahnsinniger Schock"

Eine Erfolgsstory. Aber das sorglose Partygirl, als das Sie sich selbst bezeichnet haben, hatte am Anfang der Karriere sehr dunkle Momente: Mit 18 erlitten Sie einen Schlaganfall.
Im Trainingslager, mir wurde schummrig, die Zunge kribbelte und fühlte sich an, also ob sie den Rachen ausfüllen würde. Es fühlte sich an, als ob ich nicht mehr atmen könnte, ich glaubte zu ersticken, die linke Gesichtshälfte war gelähmt. Meine heile Welt war zerbrochen, dieser Schlaganfall war ein wahnsinniger Schock. Aber ich bin relativ schnell wieder in den Alltag zurückgekommen. Das ist vielleicht der "Vorteil", wenn einem so etwas in jungen Jahren widerfährt. Man vergisst und verdrängt schnell. Als mir der Arzt eröffnete, dass ich einen Schlaganfall erlitten hätte und ich Blutverdünner nehmen müsste, war mein erster Gedanke: "Scheiße, jetzt verliere ich all die Muskeln, die ich mir mühsam aufgebaut habe. Ich kann doch jetzt nicht aufhören, zu trainieren." Ich war zu jung und unbefangen, um die Tragweite dessen zu verstehen, was mit mir passiert war. Ich weiß heute genau, dass das ganz anders hätte ausgehen und enden können, dass meine Karriere - und auch mein Leben - in dem Moment hätte vorbei sein können. Ich habe mich in den Alltag geflüchtet, hatte nur drei Tage Symptome, danach ging es mir wieder tipptop. Mein Umfeld war viel sorgenvoller als ich. Mir ging es gut, ich war davongekommen, hatte keine Folgeschäden - und habe es für mich selbst recht schnell vergessen. Wobei ich schon noch zwei, drei Panikattacken hatte, wo ich dachte, ich hätte wieder einen Schlaganfall. Da wurde mir sehr hart und deutlich vor Augen geführt, was ich erlebt hatte - und welches Glück ich hatte.

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Sie haben es Ihren Eltern nicht leicht gemacht. Neben der Sorge nach dem Schlaganfall, haben Sie sich einen Beruf ausgesucht, bei dem Sie dauernd in der Welt unterwegs sind - wo Ihre Mutter doch panische Flugangst hat.
Sie hat als Kind 1972 gesehen, wie ein Flugzeug abgestürzt ist und 156 Menschen ums Leben kamen - und dann hat die Tochter einen Beruf, bei dem sie dauernd im Flieger sitzt. Bei meinem ersten Flug hat sie gedacht, dass sie mich nie wieder sieht und nur geweint. Als meine Mutter nun das Buch gelesen hat, habe ich ihr ein bisschen zugeschaut, und genau bei der Stelle ist sie in Tränen ausgebrochen. Sie ist sehr emotional.

Bei der Frauenfußball-EM wurde die Equal-Pay-Debatte weiter angestoßen: dass im Sport Frauen und Männer oft nicht gleich entlohnt werden.
Wir haben das Glück, dass es im Beachvolleyball gleiche Bezahlung gibt. Ich weiß nicht, wie ich reagieren würde, wenn die Männer mehr kriegen würden. Ich würde mich wahrscheinlich extrem aufregen. Ich kann es zu gut verstehen, wenn Frauen, die das gleiche leisten und weniger erhalten, wütend sind. Wobei man im Tennis sagen muss, dass Männer bei Major-Turnieren drei Gewinnsätze spielen, Frauen nur zwei, da gibt es Unterschiede. Und man muss die Frage stellen: Wo soll das Geld herkommen? Beim Fußball ist es extrem, wie viel Geld die Männer im Vergleich zu den Frauen umsetzen. In Brasilien sagt man: Fußball ist eine Religion, danach kommen erst die Sportarten. Dort kann ich die unterschiedliche Bezahlung nachvollziehen. Aber im Beachvolleyball spielt man die gleiche Anzahl an Punkten und Sätzen, die Aufmerksamkeit ist identisch, es gibt keinen Grund, warum Frauen weniger verdienen sollten. Bei uns war es sogar so, dass wir mehr Haut zeigen mussten - da hätte es dann mit der Bezahlung eher andersrum sein müssen. (lacht)

"Ich habe mit Bikinis kein Problem"

Apropos Haut zeigen: Lange war vorgeschrieben, wie groß die Bikinis beim Beachvolleyball sein dürfen, teilweise wurde mit dem Lineal nachgemessen. Hätten Sie Lust gehabt, eine Kleiderordnung für Funktionäre einzuführen?
Gefühlt haben sie ja eine mit ihren Krawatten (lacht). Spaß beiseite, in der heutigen Zeit muss es einem selbst überlassen sein, wie man spielt. Gerade, wenn religiöse Gefühle und Überzeugungen involviert sind. Ich habe mit Bikinis kein Problem, das ist meine Arbeitskleidung. Viele mögen es, wenn es wenig Stoff ist, denn es kann mit all dem Schweiß und Sand sonst echt eklig werden. Aber es ist wichtig, dass es eine freie Entscheidung ist, wer wie viel Stoff trägt.

Sie sind Mutter und Leistungssportlerin, wie bekommen Sie diese "Vollzeit-Jobs" unter einen Hut? Was muss sich in der Gesellschaft tun, damit es für Frauen leichter wird, nicht das eine für das andere opfern zu müssen?
Es gibt noch so viele Strukturen, mit denen wir Frauen hadern, weil diese es fast unmöglich machen, in dieser schnelllebigen Welt mit allen Aufgaben klar zu kommen. Das Organisatorische, aber auch das Emotionale. Bevor Teo geboren wurde, hatte ich immer nur von der Stärke der Mutterliebe gehört. Aber man kann es erst verstehen, wenn man es selbst gespürt und erlebt hat. Es hat mir das Herz zerrissen, als ich nach drei Monaten das erste Mal von ihm weggehen musste. Ich wollte aber auch weiter Erfolg im Beachvolleyball haben. Mit dieser Zerrissenheit klarzukommen, war fast unmöglich. Ich musste viele Gespräche mit Anett führen, damit ich diesen Spagat hinkriege. Man will sein Kind zu 100 Prozent in besten Händen wissen, wenn es um die Betreuung geht, man muss sich verstehen, blind vertrauen. Man hat als Mutter immer Bedenken und Sorgen. All das unter einen Hut zu kriegen und allem zu hundert Prozent gerecht zu werden, geht nicht. Deswegen muss man verstehen, dass man Abstriche machen muss. Aber das muss man erst lernen. Hätte ich nicht meine Familie, meinen Mann, auch Anett, die auch eine sehr gute Freundin ist, die mir immer wieder Fragen gestellt haben, was mein Ziel ist, was mir wichtig ist und mir so wieder die Augen geöffnet, den Weg gezeigt haben, hätte ich das nicht geschafft. Allein hätte ich mich in dem Gebilde aus Druck und Anforderungen schnell verloren. Der Verband steht schon hinter mir, aber die Strukturen, die all das ermöglichen, fehlen in manchen Sportarten. Wenn man ein Kind, bekommt, ist man als Frau ein, zwei Jahre raus aus dem Leistungssport. Das liegt in der Natur der Sache. Es wäre gut, wenn es bessere Strukturen geben würde, die einen in den Jahren, in denen man seinem Handwerk nicht nachgehen kann, abfangen und absichern würde.

"Fahnenträgerin, ein Moment, den ich nie vergessen werde"

Wie hilfreich war es, dass Ihr Mann Imornefe Bowes auch Ihr Trainer wurde?
Erst nicht so gut, dann schon, jetzt wieder nicht (lacht). Es war ja nicht geplant, sondern eher Zufall. Am Anfang habe ich die Ratschläge meines Mannes, der plötzlich mein Trainer war, nicht so gut angenommen. Ich wollte ihm nicht so zuhören, wie man einem Coach zuhören sollte. Wenn es um Veränderungen ging, wollte ich ihm nicht so das Vertrauen schenken. Ich habe es dann aber gemacht und es lieben gelernt, was er für einen Input er reinbringt.

Aber?
Mit zwei Kindern zusammen auf Tour zu gehen, kann ich mir gerade nicht vorstellen. Allein schon finanziell ist das schwierig zu wuppen. Wir haben uns entscheiden, dass wir es mit den Kids nicht wuppen können. Einer muss daheim sein. Man darf nicht vergessen: Im Beachvolleyball sind wir ein Zweierteam. Da ist die Konstellation, wenn eine mit dem Trainer zusammen ist, besonders schwierig. Wir wollen nicht, dass der Lebenspartner der einen Spielerin der Haupttrainer des gesamten Teams ist.

Ihr Mann ist schwarz. Haben Sie Erfahrungen mit Rassismus machen müssen?
Persönlich habe ich es zum Glück nie erlebt, Morph hat die ein oder andere Geschichte erzählt, beziehungsweise seine Gefühle dazu. Allein es zu hören, tut weh. Bevor ich mit ihm zusammenkam, hätte ich nie gedacht, dass Rassismus bei uns immer noch ein Thema ist, da bin ich wirklich blauäugig durch die Welt gelaufen. Jetzt, da ich mit einem Dunkelhäutigen zusammen bin, kriegt man das ein oder andere dann doch mit, aber selbst jetzt bin ich zu blauäugig. Rassismus kommt bei mir nicht an, weil mein Kopf nicht verstehen kann, dass es so was überhaupt gibt. Es macht mich sehr traurig, dass die Gesellschaft nicht weiter ist und Rassismus längst überwunden hat.

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Ein weiterer Höhepunkt war sicher, dass Sie bei Olympia 2021 Fahnenträgerin waren.
Eine Riesenehre, ein Moment, den ich nie vergessen werde! Es war aufwühlend und spannend, Team Deutschland anführen zu dürfen. Als alle hinter mir einmarschiert sind, und anfingen die Hymne zu summen und zu singen, war es Gänsehaut pur.

Auch wenn Sie in Tokio "nur Fünfte" wurden, war es trotzdem ein erfüllender Moment?
Ich hatte das Gefühl, dass ich in meinem Leben die Mitte der Wippe gefunden habe. Wir hatten uns die zwei Jahre vorher, was den Erfolg, aber auch den Spaß auf dem Court betrifft, anders vorgestellt. Wir haben mehr gekämpft, als dass wir es genossen hätten. Es war so, dass ich - da wir mit dem Gedanken gespielt hatten, unsere Familie zu vergrößern - dass ich dann die Karriere beende, weil ich nicht mehr die Lust hatte, noch mal Gas zu geben. Aber Tokio hat mir gezeigt, dass ich doch noch richtig Bock habe, dass ich nicht aufhören kann. Ich will es noch nicht missen und mir später in den Arsch beißen und mir vorwerfen, dass ich es nicht noch mal probiert habe.

Gibt es etwas, das Sie noch zum Abschluss loswerden wollen?
Vielleicht das: Wir leben in einer Zeit, in der Frauen weder ihre Träume, noch ihren Nachnamen aufgeben müssen. Punkt. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.

Ein gutes Schlusswort.
Finde ich auch. (lacht)

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