Interview

Laura Dahlmeier: "Das wird richtig schwierig hier mit dem olympischen Spirit"

An diesem Freitag werden die Olympischen Spiele in Peking eröffnet. In der AZ spricht Ex-Biathlon-Queen Laura Dahlmeier über das Sportspektakel und ihre eigenen Erfahrungen in Sotschi und Pyeongchang.
von  Thomas Becker
"Es wird immer enger an der Weltspitze, man darf sich keine Fehler erlauben. Wenn ich nur die gleiche Leistung wie im Vorjahr abrufe, dann reicht's schon nicht mehr", sagt Doppel-Olympiasiegerin Laura Dahlmeier.
"Es wird immer enger an der Weltspitze, man darf sich keine Fehler erlauben. Wenn ich nur die gleiche Leistung wie im Vorjahr abrufe, dann reicht's schon nicht mehr", sagt Doppel-Olympiasiegerin Laura Dahlmeier. © Matthias Balk/dpa

AZ-Interview mit Laura Dahlmeier: Die Doppel-Olympiasiegerin von Pyeongchang und siebenmalige Weltmeisterin beendete im Mai 2019 ihre Biathlon-Karriere. Die 28-Jährige studiert und arbeitet nun als TV-Expertin.

AZ: Frau Dahlmeier, Sie, die frühere Biathlon-Queen, die bei den Spielen 2018 mit zwei Mal Gold und ein Mal Bronze die große Dominatorin war, erleben nun diese Olympischen Spiele wie viele TV-Experten nicht vor Ort, sondern im Studio. Schlimm?
LAURA DAHLMEIER: Ich hätte nicht gedacht, dass ich das einmal sage, aber mir ist es diesmal tatsächlich lieber, die Übertragung von Mainz aus zu machen.

Sie hatten in Ihrer aktiven Karriere mit Sotschi und Pyeongchang auch recht spezielle Olympia-Orte. Wie hat das Ihre Beziehung zu Olympia geprägt?
Es sind gemischte Gefühle. Rein sportlich betrachtet: mega gut. In Pyeongchang habe ich alles erreichen dürfen, was man sich als Sportlerin erträumt und vorstellt. Und trotzdem war es so unfassbar weit weg. Ich habe die Momente natürlich mit ein paar Leuten teilen können, aber die waren halt vorm Fernseher und nicht live vor Ort. Ich habe immer gedacht. 'Mir ist das egal, es macht keinen Unterschied' Erst später, bei der Rad-WM in Innsbruck, wo ich als Zuschauerin dabei war, habe ich gemerkt, was es mit einem macht, wenn alle toben und jubeln und mit vollen Emotionen dabei sind. In dem Moment hab' ich mir gedacht: 'Okay, es macht schon einen Unterschied.'

"In Peking wird es schwierig mit dem olympischen Spirit"

Wie war 2014 in Sotschi?
Sportlich alles super organisiert, ich war als Athletin noch nicht so erfolgreich, stand nicht so im Fokus. Ich weiß noch, wie ich mit der Franzi Preuß losgezogen bin und wir diesen olympischen Spirit erkundet haben, verschiedene Rennen und die Olympischen Dörfer angeschaut und wirklich etwas mitbekommen haben. Das war in Pyeongchang ganz anders: Da war mein Fokus zu 100 Prozent auf dem Sport. Drumherum habe ich nicht viel mitbekommen - aber ich glaube: Man hat auch nicht so viel mitbekommen können. In Peking wird es nochmal viel krasser sein. Das wird schwierig mit dem olympischen Spirit.

Zum Sport: Im ewigen olympischen Medaillenspiegel liegt Deutschland nur knapp hinter Russland, aber in den vergangenen Jahren ist der Anschluss an die Weltspitze verloren gegangen. Warum?
Die Medaillen werden nicht mehr nur unter den vier, fünf Top-Nationen vergeben. Es drängen immer mehr Nationen nach vorn, heuer vor allem Belarus, bei Männern und Frauen. Oder die österreichischen Frauen: Vor 15 Jahren hat da keine um eine Medaille gekämpft, und nun hat man Theresa Hauser definitiv auf dem Zettel. Es wird immer enger an der Weltspitze, man darf sich keine Fehler erlauben. Wenn ich nur die gleiche Leistung wie im Vorjahr abrufe, dann reicht's schon nicht mehr. Ich muss mich als Athlet ständig weiterentwickeln, und wenn ich das nicht mache, holen die anderen auf - und überholen mich.

Wie ist es um den Nachwuchs bestellt?
Da kommt nicht so viel nach, nicht im direkten Anschluss. Wobei die Tür offen ist, wie man an David Zobel, meinem Vereinskollegen vom SC Partenkirchen, sieht. Der ist durchmarschiert von den Deutschen Meisterschaften, hat sich über den IBU-Cup für den Weltcup und nun auch für Olympia qualifiziert. Aber die Quali zu schaffen oder konstant gute Leistungen zu bringen, das ist nochmal ein Unterschied. Von den Arrivierten schaffen es immer mal wieder ein, zwei, aber die mannschaftliche Geschlossenheit ist nicht mehr da. Von dem alten Spruch "Wenn von den vieren eine durchkommt und aufs Podium, sind wir zufrieden" sind wir derzeit definitiv ein Stück weg.

Woran liegt das?
Die Anderen holen auf, und wir entwickeln uns nicht in dem Maß weiter. Und es fehlt ein bisschen die Masse. Es sind immer wieder einzelne Sterne da, die ein gutes Rennen oder auch mal eine gute Saison zeigen, aber nicht in der Konstanz über Jahre hinweg. Was auch auffällt: Die Lücke zwischen IBU-Cup und Weltcup kann nur sehr langsam geschlossen werden. Wer im IBU-Cup gewinnt, landet im Weltcup auf Platz 40, 50 oder 60. Diese Lücke wird bei uns auch im nächsten Winter noch nicht geschlossen sein, und das dauert einfach zu lang. Irgendwann kann man dann nicht mehr von Nachwuchs sprechen.

Was tun?
Grundsätzlich sollte Sport einen größeren Stellenwert in der Gesellschaft haben. Je mehr Menschen Sport und Wintersport betreiben, desto größer die Masse, aus der man auswählen kann. Dann ist es wichtig, Athleten möglichst lang zu fördern und nicht zu früh auszusieben, ohne sie zu sehr zu verwöhnen. Den letzten Schritt nach ganz oben auf diesem harten, steinigen Weg muss aber jeder Athlet selbst gehen.

Von der Datenanalyse weggeschlichen - extra für die Abendzeitung

Wie ist die Situation beim SC Partenkirchen?
Das steht und fällt mit dem Engagement von Trainern und Betreuern. Klar, Vorbilder ziehen auch immer, wenn aber die Trainer aufsteigen oder abgeworben werden, wenn die Logistik komplizierter wird, dann springen sofort wieder einige ab. Deswegen ist der Nachwuchstrainer genauso wichtig wie der Bundestrainer. Wenn unten keine gute Arbeit gemacht wird, wird oben keiner mehr herauskommen.

Nachwuchstrainer: Wäre das auf Sicht auch etwas für Sie?
Mir macht es derzeit viel Spaß, Augen und Ohren offen zu halten, hinter die Fassaden zu schauen und vieles aufzusaugen, um zu herauszufinden ‚Was taugt mir wirklich?' Was ich als gemeinsamen Nenner erkenne, ist: Meine Leidenschaft für den Sport an andere Menschen weiterzugeben, egal ob das ein Profi, ein Nachwuchsathlet oder ein Hobbysportler ist.

Wie läuft's übrigens für Sie an der Uni? Seit 2019 studieren Sie ja Sportwissenschaft an der TU München.
Gut läuft's, wir haben gerade ein Projekt beim Ski-Weltcup in Garmisch betreut. Für die Abendzeitung habe ich mich sogar gerade von der Datenanalyse weggeschlichen.

Bei der ein oder anderen Athletin ist schon noch Luft

Vielen Dank dafür, wir wissen das zu schätzen! Um was für ein Projekt geht es?
Um die praktische Anwendung von Analyse-Techniken in Wintersportarten, ich bin in der Gruppe, die die GPS-Auswertungen macht. Wir haben die Vorläufer mit einem GPS-Gerät ausgestattet, messen die Geschwindigkeiten bei den Trainingsfahrten und gleichen das mit Videos ab, ob Fahrfehler vorlagen. Spannend, gerade die Startphasen: Wie schieben die an? Das macht mir natürlich Spaß, das durch die Langlaufbrille anzuschauen.

Ist da noch was rauszuholen?
Bei der ein oder anderen Athletin wäre da schon noch Luft. Da sind deutliche Unterschiede erkennbar. Aber die, die so brutal schieben, sind nicht immer die Schnellsten. Es kommt extrem darauf an, wann die Zeitnahme auslöst: Da sollte der Körper in Abfahrtsrichtung nach unten zeigen und schon beschleunigt haben.

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