"Lasst euch helfen - und von Anderen tragen"

AZ-Serie zum München Marathon: Entscheidend beim Laufen ist nicht nur die Muskelkraft – sondern auch der Kopf! Ein Experte erklärt, was dabei in uns vorgeht – und hat Tipps für den großen Tag.
Almut Ringlaben |
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AZ: Herr Marlovits, wie kann man sich mental auf einen Marathon vorbereiten?

ANDREAS MARLOVITS: Die Marathondistanz von 42 Kilometern läuft man in der Vorbereitung nie. Doch die Erfahrung zeigt, dass der Läufer zwischen Kilometer 30 und 40 in eine Krise kommt. Wie man sich dort verhält, lässt sich vorab nicht einstudieren. Man kann zwar Trainingsläufe an die 30 Kilometer machen, aber mit dem echten Erlebnis bei dem ersten Marathon ist das nicht zu vergleichen.

Wie erlebt man als Läufer diese Krise?

Marathon ist ein ständig zunehmendes Leiden. Zuerst beginnt der Körper zu schmerzen, dann die Psyche. Bis zu dem Punkt, wo nichts mehr geht.

Wie kommt man durch diese Krise hindurch?

Entscheidend ist, dass man sich Unterstützung von außen holt. Vor allem die Unterstützung der Zuschauer, deren Anfeuerungsrufe und Motivationsplakate. Am besten bittet man Freunde und Partner sich irgendwo zwischen Kilometer 33 und 37 an der Strecke gut sichtbar zu postieren. Dort ist der Läufer in seiner heftigsten Krise. Ein zuversichtliches Gesicht, das zum Ausdruck bringt: „Du schaffst das!" ist wie ein seelischer Powerriegel. Jede Art von Unterstützung hilft hier weiter: aufmunternde Zurufe, aber auch eine sinnvolle Versorgung, etwa mit Cola oder einem Stück Banane.

Woran sollte man in so einem Moment denken?

Man sollte sich die Restdistanz in kleinere Abschnitte unterteilen. 3 Kilometer oder auch 500 Meter erscheinen leichter machbar als 9 Kilometer. Je kritischer die Situation, desto kleiner die Teilziele. Und so läuft man Abschnitt für Abschnitt weiter.

Kann man das erlernen?

Man kann beim Training üben, sich seine Laufstrecke in kleinere Abschnitte einzuteilen. Es hilft auch, mit einem Laufpartner zu trainieren und zu lernen, sich gegenseitig zu unterstützen. Das gemeinsame Laufen darf nur nicht als Bremse oder Überforderung für den anderen erlebt werden. Die Paare sollten also vom Laufrhythmus und der Leistung schon zusammenpassen.

Viele Läufer schwören auf Musik. Hilft das wirklich? Oder stört es den Rhythmus?

Der Rhythmus der Musik kann den Rhythmus des Laufens unterstützen. Manche timen die Musik auf die verschiedenen Abschnitte des Marathons – aber zumeist nur im Training. Beim Wettkampf selbst möchten die meisten die Kulisse genießen. Oft wird neben der Strecke getrommelt. Diese Sambatrommeln helfen, indem sie den Läufer weitertragen. Ich rate, darauf zu hören. Es ist kein Defizit, wenn man sich unterstützen lässt.

Man sollte sich also von dem Gedanken befreien, den Marathon alleine durchstehen zu müssen?

Man muss einen Marathon selber laufen. Das ist klar. Aber der Marathon stellt eine wichtige Frage an den Läufer, der sich in einer fast existentiellen Situation befindet und dem es schlecht geht: „Was tust du, wenn es nicht mehr weiter geht? Überlässt du dich der Situation, lässt du dich von der Gemeinschaft tragen oder meinst du, das alleine durchstehen zu müssen?" Der Marathon stellt die Frage nach dem Weg: geht man ihn allein oder ist man offen zum Austausch mit anderen.

Welcher Weg ist denn der richtige?

Nach einem Marathon haben diejenigen ein schlechtes Gefühl, die ausschließlich an sich festgehalten haben. Wer sich auch von anderen hat tragen lassen, erlebt besondere Momente des Glücks.

Ist (Marathon-)Laufen deshalb so eine große Bewegung bei uns geworden?

In unserer Kultur herrscht das große Konzept des Egoismus vor. Das hat Vorteile aber auch Nachteile. Der Marathon ist eine selbstgewählte Egoismus-Kur. Man braucht die Unterstützung der anderen.

Warum beginnt man zu laufen, aus der Sicht eines Psychologen?

Es gibt zwei entgegengesetzte Gründe: 1. ein Leben in Starre und Unbeweglichkeit, man ist etwa zu dick oder zu leblos oder 2. das Gegenteil, ein Zuviel. Man hat zu viel Stress, erlebt zu viel gleichzeitig. Beides sind die zentralen Gründe, mit dem Laufen anzufangen. Und beide Situationen kann das Laufen in Einklang bringen. Man ist körperlich platt nach dem Training, aber mental geht es einem richtig gut.

Klingt gesund…

Total gesund. Für Körper und Psyche. Laufen stabilisiert die Psyche und reguliert den Stress, sowohl das Zuviel als auch das Zuwenig.

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