Langlaufen wie Jack London

Im Bayerischen Wald geht es noch ein wenig beschaulicher zu als in den großen Winterorten der Alpen – beste Voraussetzungen, um in den Loipen den Moment der Momente zu erleben
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Loipenzauber in Oberstdorf
srt Loipenzauber in Oberstdorf

MÜNCHEN - Im Bayerischen Wald geht es noch ein wenig beschaulicher zu als in den großen Winterorten der Alpen – beste Voraussetzungen, um in den Loipen den Moment der Momente zu erleben

Es ist der Moment, für den sich alles lohnt. Der Moment, der die Schinderei wert war. Nachmittags, um drei etwa, war eine kleine Müdigkeit den Körper empor gekrochen. Und mit ihr die Frage: Weiterrennen an diesem Tag noch, auf Langlaufski? Oder lieber gleich ein Quartier suchen? Natürlich sausten wir weiter. Rund anderthalb Stunden. Voran und voran und voran. Und jetzt ist es halb fünf, die Dunkelheit senkt sich allmählich herab und die Lichter in den Häusern gehen an. Ein Licht ums andere, in dem Dorf vor uns. Wir wissen nicht einmal seinen Namen.

Hier wir, die Loipe, der Schnee und die Kälte – und dort die Lichter, die von Wärme und Geborgenheit künden: das ist der Moment der Momente, für den sich das 90-minütige Weiterlaufen gelohnt hat. Es ist gewissermaßen der Moment der Rückkehr in die Zivilisation. Den ganzen Tag war man der heldenhafte Naturmensch, da draußen. Und jetzt hat man es geschafft – und es locken die Lichter, die alles versprechen, was man sich heute verdient hat: Die Dusche. Das Abendessen. Den Kachelofen. Den Rotwein.

Langsam laufen wir in das Dorf hinein, bis zum Wirtshaus. Schnallen die Ski ab, stapfen ein paar Stufen empor, fragen nach Quartier – und wir kriegen natürlich eins. Denn wir sind im Bayerischen Wald. Hier ist alles noch ein bisschen ruhiger, weiträumiger, natürlicher, weniger überlaufen. Der Bayerische Wald ist nicht permanent ausgebucht, irgendein Bett findet sich immer. Wir packen unseren Rucksack aus, den wir den ganzen Tag auf dem Rücken geschleppt haben – und ernten ein etwas mitleidiges Grinsen von den Gästen des anderen Tisches. Gleichfalls Skilangläufer. „Wieso“, fragen sie, „schleppt ihr euer ganzes Zeug? Wir lassen es uns jeden Tag nachfahren!"

Wir nicken, wir sind ja nicht blöd und wissen das schon: Dass es eine der wunderbarsten Gegebenheiten im Bayerischen Wald ist, mit Ski von einem Ort zum anderen zu laufen und wenn man ankommt, ist das Gepäck bereits eingetroffen: mittels eines ausgeklügelten Service-Systems. Und es kostet wahrlich nicht die Welt, diese wunderbare Dienstleistung in Anspruch zu nehmen (sieben bis elf Euro pro Person).

Aber wir wollten eben nicht schon am Vormittag beim Weglaufen wissen, wo wir abends sein werden. Wir wollten uns einfach durch die urtümliche Landschaft der 160 km langen Bayerwald-Loipe treiben lassen – so lange, bis wir in der Dämmerung den Moment der Momente erleben konnten. Und wenn wir während der Mittagspause ein paar Stamperl zu viel von dem Bärwurz gekippt hätten, dann wären wir halt gleich dort an Ort und Stelle geblieben.

So hat eben jeder die Wahl beim Langlaufen im Bayerischen Wald – mit Service oder mit Rucksack. Aber einig sind sich beide: Ein Erlebnis ist es in jedem Fall: Eine Woche lang auf den schmalen Brettern, welche die Winter-Welt bedeuten, durch die größte Waldlandschaft Mitteleuropas zu ziehen. Als sei man eine Mischung aus Jack London und Jack Frost. Als renne man durch eine Art Alaska. Und das ist es in gewissem Sinne auch: ein Alaska vor der Haustür. Und wir schwören: wer es nicht probiert hat – kennt nicht den Winter. Geschweige denn den Moment der Momente. Der alles wert ist. Man sollte sich ihm hingeben.

Jupp Suttner

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