Lachen mit Kamakazi

Der AZ-Olympiareport: Statt Meditationsmusik wie beim Turnen dröhnt hier Punkrock aus den Boxen. Und Chinesen freuen sich sogar, wenn sie verloren haben. Das BMX-Rennen ist die fröhliche Gegenveranstaltung zum Rest der Spiele.
von  Abendzeitung
Okay, es sieht so aus, als täte sich der Holländer Raymon van der Biezen weh bei diesem Sturz. Aber beim BMX-Fahren gehört so etwas dazu, der guten Laune tut das keinen Abbruch.
Okay, es sieht so aus, als täte sich der Holländer Raymon van der Biezen weh bei diesem Sturz. Aber beim BMX-Fahren gehört so etwas dazu, der guten Laune tut das keinen Abbruch. © AP

Der AZ-Olympiareport: Statt Meditationsmusik wie beim Turnen dröhnt hier Punkrock aus den Boxen. Und Chinesen Freude sich sogar, wenn sie verloren haben. Das BMX-Rennen ist die fröhliche Gegenveranstaltung zum Rest der Spiele.

Von Florian Kinast

PEKING Gegenüber, an der Westseite der Wuhuan, dem 5. Autobahnring, schaut es recht trostlos aus. Der Shijingshan Amusement Park, ein Rummelplatz, der erst 20 Jahre alt ist, wirkt schon arg morbid. Die Fahrgeschäfte geschlossen, das Riesenrad, die Feng-Shen-Achterbahn oder die Geisterbahn, hinter deren Pappmaché-Fledermaus am Dach sich am Horizont der Kühlturm eines Kernkraftwerks erhebt. Gruslig.

Unheimlich lustig ist es wenigstens hier, auf dieser Seite. Im Laoshan Bicycle Center, dem Pekinger Radsportzentrum. Bei der olympischen Premiere der BMX-Radler. Eine Riesengaudi der olympischen Frischlinge, auch wenn sie an diesem Vormittag selbst die Party schmeißen müssen. Denn die Tribünen sind nicht mal halbvoll. Mit Hardcore-Fans aus Dänemark und Südafrika, Ecuador und England. Chinesen sind keine da.

Obwohl sogar eine von ihnen mitfährt, Ma Liyun (20), die nach wildem Ritt über die steile Startrampe und 300 Meter lange Buckelpiste im Vorlauf fünf Sekunden hinter der Bestzeit als Letzte ins Ziel kam und doch fröhlich lachte.

Hier also lachen Chinesen, selbst wenn sie Letzte werden. Sonst weinen viele schon aus Verzweiflung wegen einem zweiten Platz.

Hier lassen sie es krachen, auf der Piste und aus den Boxen, wenn sie zu acht gegeneinander um die Kurven rauschen und über die Waschbrett-Rippen springen, dann hämmern die Punkrocker von den „Ramones“ aus den Boxen oder die Metal-Rapper von „Linkin Park“. Dass sie Queens unverwüstlichen Radlhit vom „Bicycle Race“ spielen, passt zwar thematisch, musikalisch klingt es zum sonstigen Sound fast wie Bayern 1.

BMX, das andere Olympia, eine Alternativ-Szene, die so wenig angepasst wirkt. Wer am Vorabend zwölf Stunden zuvor noch im National Indoor Stadium bei den Turnern gewesen ist, wo junge Chinesinnen zwar als 16-Jährige ausgegeben wurden, aber nicht so aussahen, wo selbst das Lächeln wie eine aufgesetzte antrainierte Maske wirkte und wo bei den Reckübungen wie bei Fabian Hambüchen berieselnde Meditationsmusik erklang, der kommt sich vor wie in einer anderen Welt.

Ein Mikrokosmos auf dem Gelände-Parcours im Südwesten Pekings, weitab der anderen Sportanlagen, weitab vom gängigen Olympia-Kommerz. Die BMX-Radler, die Snowboarder des Sommers.

Dabei sind Fahrer wie Mike Day oder Donny Robinson, die beiden US-Stars, längst Profis und Großverdiener, dank hoher Preisgelder im Weltcup, dank lukrativer Sponsoren. Gestandene Männer, die sich Freude wie kleine Kinder, dass sie auf ihren winzigen 20-Zoll-Rädern jetzt endlich auch olympisch mitfahren dürfen, nach dem IOC-Beschluss 2003. „Das ist das großartigste und einzigartigste Rennen, bei dem ich jemals war“, sagt Mike Day zur AZ voller Glückseligkeit, „Olympia, das ist ein Kindheitstraum.“ Sein Kumpel Donny meint hinterher: „Ich habe mir heute schon die Augen ausgeheult vor lauter Freude.“ In Deutschland liegt der BMX-Sport dagegen im Tal der Tränen.

In Amerika sorgen sie für Begeisterungsstürme, bei uns im Land herrscht böse Flaute. Deutsche Starter gibt es keine, dafür sind sie zu schlecht, wenig ist geblieben vom Boom, den Spielbergs cineastischer Kassenknüller „E.T“ 1982 ausgelöst hat, als der zehnjährige Elliott mit seinem außerirdischen Kumpel auf dem BMX-Rad herumfetzte. Dafür gab es jetzt eben bei den Bahnradfahrern mächtig Stunk, weil denen die Zeitfahren bei Männern und Frauen gestrichen wurden, zugunsten von BMX.

„Wie viele Rennen wollen die noch“, schimpft darum Danny Robinson, „wir trainieren so hart wie die anderen Radfahrer auch.“ Der einzige Missklang dieser Party.

Bei ihrem Spektakel mit vielen üblen Stürzen, wo manchmal das Fahrrad über die Begrenzung den zehn Meter hohen Hügel hinunterfliegt und manchmal auch der Fahrer gleich hinterher. Wo sich der Amerikaner Kyle Bennett im ersten seiner drei Viertelfinals das Schlüsselbein bricht und doch noch weiter kommt, weil er in den anderen beiden Läufen Zweiter und Vierter geworden ist. Wo auch Kamakazi weiterkommt, der Australier, der eigentlich Jamie Hildebrandt hieß, sich aber diesen wilden Künstlernamen zulegte, seines Fahrstils wegen.

Für Halbfinale und Finale hofft Robinson auf mehr Zuschauer, vor allem hofft er, dass auch Basketball-Star Kobe Bryant vorbeischaut. „Schließlich war ich ja auch schon bei einem seiner Spiele“, scherzt er.

Chinesische Besucher werden aber kaum kommen. Die gehen lieber auf den Rummelplatz. Da finden sie es sicher lustiger.

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