Kolumne von Martina Ertl-Renz: Wenn der Olympische Geist bis ins Wohnzimmer reicht

Martina Ertl-Renz schreibt in ihrer AZ-Kolumne über den Olympischen Geist, welcher bis ins heimische Wohnzimmer reicht.
von  Martina Ertl-Renz
Der Olympische Geist fliegt bis ins Wohnzimmer unserer AZ-Kolumnistin Martina Ertl-Renz.
Der Olympische Geist fliegt bis ins Wohnzimmer unserer AZ-Kolumnistin Martina Ertl-Renz. © dpa/az

Während ich die Einkaufskisten vom Auto in die Speisekammer trage, nehme ich beim Blick ins Wohnzimmer Kissen auf dem Boden wahr, die zu einem kleinen Oval zusammengelegt sind. Auch entgeht mir nicht, dass mein Sohn dahinter mit einer FCB-Fahne wedelt. So lange aber vor allem die Lautstärke nicht über einen gewissen Pegel geht, weiß ich, dass es meinen Kindern gut geht und konzentriere mich daher auf die Herrichtung einer Obstschale in der Küche.

Doch meine innere Ruhe wird immer wieder erschüttert. Alle drei Minuten höre ich einen leicht dumpfen Schlag, der als Geräusch nicht ins Haus gehört. Auch dass vor diesem Schlag für zwanzig Sekunden kurz Musik erklingt, ist als eher untypisch anzusehen. Als mein Sohn einen seiner lautesten Jubelschreie ausstößt, spüre ich ein Gefühl aus Neugier und Fürsorge, das mich jetzt doch kurzerhand Kurs aufs Wohnzimmer nehmen lässt, das ich, als ich die Tür öffne, in dieser Anordnung so noch nicht gesehen habe.

Meine Tochter Romy steht in gehockter Haltung auf der Lehne des Sofas, einen alten Abfahrtshelm von mir auf dem Kopf und starrt mit Tunnelblick herab auf den vor ihr etwas tiefer stehenden Glastisch mit den schönen Keramikschalen. Mein Sohn liegt neben diesem Indoor-Schanzenareal auf dem Boden und winkt just in dem Moment seine Schwester zum Sprung ab, als ich diesen Durchgang in Ansehung der Dinge, die auf dem Tisch stehen und die in Mitleidenschaft gezogen werden könnten, wenn Romy an der Sofakante – sprich am Schanzentisch- den Absprung nicht exakt schafft, mit einem klaren Kommando zu verhindern suche.

Schanzenrekord in die Kissenlandschaft

Zu spät: Romy befindet sich sozusagen auf der Anfahrt, die aus einem Holzbrett besteht, dass auf Grund seiner Glätte offensichtlich prädestiniert ist, heimischen Sprunganlagen zu dienen und zwanzig Zentimeter vor dem Ende der Sitzfläche der Couch endet. Mein "Was ist denn hier los?" deckt sich zeitlich mit der Flugphase meiner Tochter, die mit dem Aufkommen auf die Kissenlandschaft, dem Schanzenauslauf, endet. Bevor ich meiner Empörung über die mit mir nicht abgestimmte Neuordnung unseres Wohnzimmers Luft verschaffen kann, hat Romy schon ihren Helm abgenommen und verkündet mit echtem Stolz, sie sei soeben Zimmerschanzenrekord gesprungen.

Angesichts der heil gebliebenen Accessoires auf dem Tisch mache ich gute Miene zum harten Wettkampf, ordne aber als schnell selbsternannter Wettkampfrichter im Hinblick auf die sich dem Ende zuneigenden TV-Übertragungszeiten die sofortige Siegerehrung nebst Abbau der Schanze an. Die kleinen Athleten sind folgsam und stärken sich danach mit dem Obst.

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