Kohlschreiber: Der historische Nachtschwärmer
Philipp Kohlschreiber ringt in einer Nachtschicht bei den US Open Lokalmatador Isner nieder. Mit dem Sieg trägt er sich in die Geschichtsbücher ein. Jetzt will er mehr. „Da ist sicher noch was drin“
NEW YORK Es war eine dieser verrückten New Yorker Nächte im größten Tennistheater der Welt. Leicht irre, leicht chaotisch. Aufgeladen mit Adrenalin, Spannung, Leidenschaft und Drama. Und mit den härtesten unter den harten Tennis-Fans, die um 2.26 Uhr morgens sogar dem falschen Sieger zujubelten. Dem Deutschen Philipp Kohlschreiber (28), der am Ende einer 200-Minuten-Ringschlacht die Arme in Siegerpose gen Himmel reckte – als 6:4, 3:6, 4:6, 6:3, 6:4-Triumphator gegen Amerikas Nummer eins John Isner.
„Das sind die Spiele, die du als Profi gewinnen willst", sagte Kohlschreiber nach der Late-Night-Show, die sogar in die Geschichtsbücher der US Open einging. Denn mit dem Schluss-Punkt kurz vor halb drei war der bisherige Rekord für das am spätesten beendete US-Open-Match eingestellt, das sich 1993 die Schweden Mikael Pernfors und Mats Wilander geliefert hatten. „Der reine Wahnsinn“ sei die Spätvorstellung gegen Isner, den Weltranglisten-Zehnten, gewesen, befand Kohlschreiber, „an solche Momente und Matches denkst du auch noch, wenn du schon lange kein Tennis mehr spielst.“ Nach seinem ersten Achtelfinal-Einzug bei den US Open trifft Kohlschreiber nun am Dienstag auf den Serben Janko Tipsarevic.
„Da ist sicher noch was drin. Ich fühle mich einfach gut in Schuss im Moment“, sagte Kohlschreiber. Dieses Selbstvertrauen des Augsburgers, befördert durch den Aufstieg in die Top 20 in den letzten Monaten, bekam der favorisierte 206-Zentimeter-Riese Isner zu spüren. Kohlschreiber ließ sich weder durch die lautstarke Anfeuerung der Fans noch durch das anfängliche Aufschlaggewitter beeindrucken. Und anders als in anderen wichtigen Spielen zeigte Kohlschreiber auch Nervenstärke bei den Big Points.
„Ich habe mich eisern durchgebissen“, sagte Kohlschreiber. Am Ende des Thrillers auf dem Centre Court konnte Kohlschreiber den nervlichen Einbruch und den sportlichen Absturz Isners betrachten – des Mannes, auf dem die größten amerikanischen Hoffnungen bei den US Open geruht hatten. Als Isner nach einem fatalen Punktverlust zu Beginn des fünften Satzes einen Ball wutentbrannt auf die Zuschauerränge feuerte, kassierte er von Schiedsrichter Carlos Bernardes zunächst eine Verwarnung. Wenig später steckte er sogar einen Punktabzug ein, weil er auf dem Pausenstuhl sitzend, einen seiner Schläger zertrümmert hatte. „Ich fühle mich einfach beschissen. Ich hab’ dieses Spiel noch aus den Händen gegeben“, sagte Isner.
Kurios genug: Bei allen vier Grand-Slam-Turnieren dieser Saison war der Kalifornier nun in Fünf-Satz-Matches ausgeschieden, jener Isner, der vor zwei Jahren und zwei Monaten in Wimbledon mit dem Franzosen Nicolas Mahut das längste Spiel aller Zeiten bestritten hatte (70:68 im fünften Satz). Kohlschreiber hat gegen Isner so zum zweiten Mal binnen 48 Stunden eine brenzlige Situation gelöst. In der 2.Runde hatte er gegen den Franzosen Benoit Paire 5:6 im fünften Satz zurückgelegen, die Partie aber noch umgebogen.
„Es ist so, dass ich immer an meine Chance glaube. Auch wenn ich mal in Rückstand liege“, sagte Kohlschreiber, „ich kann da auch auf meine gute Fitness vertrauen.“ Der nun von seinem persönlichen Grand-Slam-Märchen träumt: „Hier kannst du dir mit guten Resultaten am meisten Respekt verschaffen", sagte Kohlschreiber. Bei den US Open ist er nun auf einer Mission, die am Dienstag gegen Tipsarevic noch keineswegs vorüber sein muss.
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