Königsklasse in Deutschland: Baustelle unter der Burg

Der Deutschland-Grand-Prix zeigt, wie schwer sich die Formel 1 hierzulande tut – und dies trotz fünf heimischer Piloten, einem Boxkampf und einer neuen Achterbahn.
von  Abendzeitung
Freut sich über das Comeback seines Freundes und Vorbilds: Sebastian Vettel.
Freut sich über das Comeback seines Freundes und Vorbilds: Sebastian Vettel. © dpa

NÜRBURG - Der Deutschland-Grand-Prix zeigt, wie schwer sich die Formel 1 hierzulande tut – und dies trotz fünf heimischer Piloten, einem Boxkampf und einer neuen Achterbahn.

Die zwei jungen Damen sind untröstlich. Sie stehen hinter dem Tresen der Kleiderkammer, wie sie die Garderobe der neuen Veranstaltungsstätte genannt haben. Aber sie können ihrer Arbeit nicht nachgehen: Die Kleiderbügel sind nicht rechtzeitig geliefert worden. So müssen die 1300 Gäste bei der offiziellen Eröffnung der neuen Anbauten am Nürburgring ihre Jacken anbehalten.

Da trifft es sich gut, dass Rheinland-Pfalz' Ministerpräsident Kurt Beck gerne behauptet, seinen Charakter nie an der Garderobe abzugeben. Beck wirkt stolz bei der Eröffnung, er lächelt viel. Die Tatsache, dass von den Oppositionsparteien niemand zur Eröffnung gekommen ist, versucht er ebenso wegzulächeln wie den Umstand, dass auch Boris Becker samt Frau und Kindern beim Rundgang durch die neue „Formel-1-Erlebniswelt am Ring", wie Beck es nennt, aufpassen mussten, nicht über Kabel und Geländerteile auf der Baustelle zu stolpern. „Der Nürburgring 2009 wird ein großer Erfolg werden und viele Touristen auch in der Formel-1-losen Zeit in die Region locken", sagt Beck, „das lasse ich mir nicht zerreden."

Mindestens 252 Millionen Euro lassen sich Beck und der Nürburgring das neue Einkaufszentrum, das Party-Retortendorf „Grüne Hölle", das neue Luxus-Hotel, die Feriendorfanlage und die Konzert- und Eventhalle, die am Samstag Box-Weltmeister Felix Sturm mit einem Kampf gegen Khoren Gevor einweihen wird, kosten. Vor zwei Monaten mussten sie einsehen, dass die Anlage bis zum Besuch der Formel 1 nicht ganz fertig werden würde, am Dienstag platzte das gewagte und undurchsichtige private Finanzierungsmodell des Mega-Projekts, Becks Finanzminister Ingolf Deubel trat zurück (AZ berichtete).

Die Zeche zahlt nun komplett der Steuerzahler. Beck findet das „ganz normal. Das ist derzeit bei hunderten von Unternehmen in ganz Deutschland nicht anders". Zumal die Steuergelder hier am Ring sinnvoll verwendet würden. Meint Beck. Meint auch Walter Kafitz, der Geschäftsführer der ältesten und ruhmreichsten deutschen Rennstrecke. Es geht um die Zukunft des Rings. Ja, sogar um die Zukunft der Formel 1 in Deutschland. Rund 20 Millionen Euro verlangt Formel-1-Vermarkter Bernie Ecclestone von den Streckenbetreibern dafür, dass sein Zirkus alle zwei Jahre in der Eifel Station macht. Obwohl das Rennen heuer vor allem dank des Höhenflugs von Sebastian Vettel und vier weiteren deutschen Piloten (Nick Heidfeld, Nico Rosberg, Timo Glock und Adrian Sutil) ausverkauft ist, werden sie am Ende draufzahlen am Ring. Mehr als eine Million Euro wird der Verlust betragen. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass es eine Rennstrecke gibt, die keinen Verlust macht", sagt Kafitz. Hockenheim, die zweite deutsche Strecke, kann sich die Formel 1 nicht mehr leisten.

Dem Nürburgring soll das nicht passieren. Nicht nur die fünf deutschen Fahrer bezeichnen den Ring als ihre Lieblingsstrecke, auch Weltmeister Lewis Hamilton sagt über die alte Nordschleife, dass es der beste Rundkurs der Welt sei. Wenn die Formel 1 in der Eifel Station macht, ist die ganze Gegend um Ahrweiler im Renn-Fieber. Keine Familie, die nicht mit dem Ring verwurzelt ist, dort arbeitet oder schon mal Formel-1-Stars bewirtet hätte. Also ließ Kafitz eine Erlebniswelt bauen, in der etwa die schnellste Achterbahn der Welt direkt an der Strecke entlang brausen wird. Michael Schumacher darf am Sonntag die Jungfernfahrt bestreiten.

Filippo Cataldo

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