Klitschko: Veilchen vom Feigling
Der Weltmeister (38) verteidigt seinen Titel, wirkt beim Punktsieg über Kevin Johnson aber limitiert. Hinterher sieht er wie der Verprügelte aus – und muss sich auch noch freche Sprüche anhören
BERN Der Gong nach der letzten Runde wirkte wie ein verspäteter Weckruf. Endlich krachte es dann doch noch richtig zwischen Weltmeister Vitali Klitschko (38) und Kevin „Kingpin“ Johnson (30).
Da standen sich die Kontrahenten in der mit 18000 Fans gefüllten Arena in Bern wie zwei wilde Stiere Kopf an Kopf gegenüber, es kam zu tumultartigen Szenen. Johnson schubste Klitschko. Dessen Bruder Wladimir wollte schlichten und fing sich von Johnson ebenso einen Schubser ein. „Wenn es nach meinem Herzen gegangen wäre“, sagte Wladimir hinterher, „hätte ich wohl anders reagiert und mir das nicht gefallen lassen. Aber er ist ein Gast und genießt daher Privilegien, die er als Mensch vielleicht nicht verdient.“ Und: „Er hat sich später entschuldigt.“
Es war der späte Höhepunkt bei Klitschkos Punktsieg. Die zwölf Runden davor waren alle nach dem gleichen Muster abgelaufen: Klitschko mit Dauerdruck, doch treffen konnte er den ängstlich agierenden Amerikaner nie entscheidend. Immer wieder sauste Klitschkos Rechte über den Schädel hinweg. Schnelle, bewegliche Ziele zu bearbeiten, ist nicht Klitschkos Stärke. „Für so ein flinken Gegner ist Vitali boxerisch zu limitiert. Wladimir hätte Johnson ausgeknockt“, befand Schwergewichtler und RTL-Experte Luan Krasniqi am Ring.
Von einem Plan B oder gar C war bei Klitschko nichts zu sehen. „Johnson hat Vitalis Strategie sehr gut durchschaut. Das war ein Arbeitssieg ohne Glanz“, sagte Box-Queen Regina Halmich in Bern.
Johnson wiederum zog nur seine fragwürdige Show ab, Angriffsaktionen gehörten nur selten dazu. Trotzdem sah Klitschko nach dem Fight mit zwei großen Veilchen wie ein verprügelter Boxer aus; seit seiner Niederlage gegen Lennox Lewis im Jahre 2003 hatte man ihn nicht mehr so gesehen. „Vielleicht werde ich ja alt und verträgt meine Haut das nicht mehr“, versuchte Klitschko zu flachsen.
Trotz des klaren Urteils – er gewann jede Runde – wirkte Klitschko, der im September gegen Chris Arreola eine seiner besten Leistungen gezeigt hatte, gegen den bis dahin ungeschlagenen Johnson eben doch zuweilen wie ein 38-Jähriger, dem 20 Jahre Boxen in den müden Knochen stecken.
„Ich bin etwas enttäuscht, dass ich den K.o. nicht geschafft habe“, sagte Klitschko. Es war erst das zweite Mal in seiner Karriere (nach Timo Hoffmann im Jahre 2000), dass Klitschko über die volle Rundendistanz gehen musste.
Nach dem Kampf waren sie im Klitschko-Camp kaum zu beruhigen. „Das war der größte Feigling, den ich je erlebt habe. Nach seinen großen Sprüchen haben wir einen harten Mann erwartet, aber Johnson hat sich im Ring nur als feiges Weib entpuppt“, polterte Trainer Fritz Sdunek. Johnson hatte Klitschko vor dem Fight als „Dr. Frankenstein“ und „hässlichen Zombie“ diffamiert. „Johnson war von der ersten Sekunde an nur ein großer Stinker im Ring“, ärgerte sich Wladimir Klitschko.
Und der Ärger ging weiter. Johnson ließ den Weltmeister bei der Pressekonferenz fast eine Stunde warten und tönte danach auch noch weiter. „Niemand kann mich treffen, auch kein Vitali. Ich bin der Beste der Welt. Leider war mein Ellenbogen angeschlagen. Sonst wäre Vitali nicht über die Runden gekommen", schwadronierte Johnson. Eine Einschätzung, die Sdunek in Rage brachte: „So ein Trottel!“
Schlusswort von Vitali Klitschko: „Johnson redet Schwachsinn. Zwölf Runden zu fliehen und dann so zu tun, als habe man eine Heldentat vollbracht, ist lächerlich.“
Matthias Kerber
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