Klitschko-Coach Banks: Tränen, Schüsse, Gottesfurcht
Vor dem WM-Kampf gegen Pianeta spricht der Coach über seinen Schützling, über den Mann, dem beide viel zu verdanken haben – und seinen ermordeten Cousin.
AZ: Herr Banks, Sie sind seit dem Tod von Trainerlegende Emanuel Steward Ende 2012 der neue Coach von Weltmeister Wladimir Klitschko, der am Samstag gegen Francesco Pianeta kämpft. Wie wichtig war es Ihnen, dass Steward – fast von seinem Totenbett aus – Sie als seinen Nachfolger inthronisiert hat?
JOHNATHON BANKS: Puh, allein wenn ich daran denke, treibt es mir fast die Tränen in die Augen. Emanuel war mein Trainer, Mentor, Freund, Ersatzvater. Dass dieser Mann das Vertrauen in mich hatte, sein Projekt – Wladimir Klitschko – weiterzuführen, ist unglaublich. Ich werde alles dafür tun, um sein boxerisches Erbe am Leben zu erhalten – und daran zu arbeiten, dass Wladimir als der große Schwergewichts-Champion der Neuzeit gesehen wird.
Steward war für Sie viel mehr als nur ein Trainer.
Ich habe jahrelang in seinem Haus gelebt. Noch heute habe ich alle Schlüssel zu seinem Haus, habe den Garagenöffner. Von allen Boxern, die er je aufgenommen hat, bin ich der einzige, der die Schlüssel nie abgeben musste. Als ich bei ihm ausgezogen war, war ich trotzdem dauernd dort, weil ich ihn so vermisst habe. Er hat mir mein Zimmer immer freigehalten. Er hat mich gelehrt, was es heißt, ein Mann zu sein. Ich kann mich noch genau erinnern, wie ich mich das erste Mal rasiert habe. Meine Haut war blutig und zerkratzt. Er hat mir beigebracht, wie man sich rasiert.
Sie sind selber noch aktiver Boxer, haben im Training jahrelang von Wladimir Prügel bezogen. Jetzt sollen Sie ihn als Trainer besser machen. Wie passt das zusammen?
Ich kenne Wladimir seit zehn Jahren, Emanuel kannte ich 15 Jahre. Ich war immer wie ein Schwamm, ich habe immer alles in mich aufgesogen. Wenn Emanuel und Wladimir zusammen diskutierten, Strategien entwickelten, habe ich zugehört. Mit der Zeit habe ich eigene Dinge entwickelt. Emanuel sagte immer, ich hätte einen analytischen Verstand. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass ich eines Tages den Champion trainieren würde. Es ist für mich unglaublich, dass Klitschko, der stärkste Mann der Welt, auf alles hört, was ich ihm sage, dass ich sein Strippenzieher bin. Das ist wie ein Märchen.
Vor allem, wenn man bedenkt, aus welch ärmlichen Verhältnissen Sie kommen.
Ich bin in Detroit aufgewachsen, in einer sehr harten Nachbarschaft. Wir waren zehn Kinder in einem Drei-Zimmer-Appartement. Wir hatten nur ein Badezimmer. Das war der Grund, warum ich zum Frühaufsteher geworden bin. So hatte ich das Bad für mich. Wäre ich auch nur eine Stunde später aufgestanden, hätte ich in der Schlange stehen müssen, um meine Morgentoilette zu verrichten. Wer da zu spät kam, musste ewig warten.
2012 war für Sie extrem hart. Sie mussten nicht nur mit Stewards Tod fertig werden, sondern auch damit, dass Ihr Cousin ermordet wurde.
Er war mein Lieblingscousin. Wir haben uns noch ein paar Minuten vorher auf der Straße gesprochen. Wir redeten kurz miteinander, weil wir uns bei einem Familienessen treffen wollten. Ich sagte, wir sehen uns gleich. Ich ging zur Familie – und dann hörte ich einen Schuss. Ich dachte noch: „Jetzt wird schon wieder geballert!” Kurz danach erfuhren wir, dass es der Schuss war, der meinen Cousin getötet hat.
Wie stehen Sie, der so etwas erleiden musste, zu den Waffengesetzen in den USA?
Ich denke, dass es dafür leider keine Lösung gibt. Klar wäre es schön, wenn es überhaupt keine Waffen mehr geben würde. Aber sie jetzt zu konfiszieren hieße nur, dass die guten Menschen sie abgeben und die Verbrecher sie behalten. In dem Geschäft sind viel zu viele Leute verwickelt.
Wie meinen Sie das?
Korrupte Politiker, der Zoll, die Polizei. Wie sonst kann es sein, dass in den ärmsten Gegenden von Detroit, wo die Leute sich nicht mal Essen leisten können, teure Sturmgewehre im Umlauf sind? Ich fürchte, dass wir als Gesellschaft damit leben müssen, dass es Menschen gibt, die von Grund auf böse sind. Emanuel sagte es mir so: Wenn du einen faulen Apfel in einen Korb mit lauter guten legst, faulen alle. Legst du einen guten in einen Korb mit lauter faulen, werden die aber nicht gut. Ich habe meinen Trost in Gott gefunden. Ich habe viel mitgemacht und ich werde auch gefragt, wie wirst du damit fertig? Ich sage nur, ich werde damit nicht fertig, ich finde keinen Abschluss. Dies hieße, dass ich mit meinem Cousin abgeschlossen habe. Ich schließe nicht ab, ich gehe weiter und ich nehme das Gedenken an ihn mit. Genau, wie ich Emanuel in mir trage.