„Klitschko bricht alle Herzen – seiner Gegner“
Chris Byrd, der 2000 mal Vitali Klitschko besiegt hat, über die Erfolgsgeheimnisse des älteren der beiden Schwergewichts-Weltmeister aus der Familie Klitschko.
Von Matthias Kerber
AZ: Mister Byrd, Sie haben im April 2000 Vitali Klitschko als erster Profiboxer überhaupt besiegt – aufgrund einer verletzungsbedingten Aufgabe von Dr. Faust, jetzt haben Sie Klitschko als Sparringspartner für seinen WM-Kampf gegen Juan Carlos Gomez vorbereitet: Haben Sie keine Lust, den Champion selber zum Rematch fordern?
CHRIS BYRD: Gegenfrage: Sehe ich lebensmüde aus?
Eher nicht.
Oder verrückt?
Schwer zu sagen.
Okay, ich bin weder das Eine noch das Andere. Ich würde nie wieder ins Schwergewicht hochwechseln. Das macht keinen Sinn. Ich denke, ich bin immer noch so gut, dass ich ganz schnell wieder der Pflichtherausforderer wäre, aber solange Vitali und sein Bruder Wladimir im Schwergewicht sind, sehe ich keine Chance, dass ich dort Champion werden kann. Also erspare ich mir eine weitere Prügelstrafe.
Wird sich Gomez diese also abholen müssen?
Ja, er hatte mal seine guten Tage. Aber die waren im Cruisergewicht – und die zusätzliche Masse, die er jetzt rumträgt, sind ja keine Muskeln, sondern Fett. Wenn ihm nicht ein Glücksschlag gelingt, wüsste ich nicht, wie Gomez gewinnen soll. Seine Stärke war im Cruisergewicht seine Größe, seine Reichweite. Diese Stärken hat er im Schwergewicht nicht mehr. Da ist er eher klein. Ein Kampf wird von Boxstilen geprägt. Das ist kein Duell Puncher gegen Boxer, sondern es fightet ein Boxer, Gomez, gegen einen größeren und besseren Boxer. Klitschko gewinnt. Ganz klar.
Wo liegen die Unterschiede zwischen Klitschko vor neun Jahren und Klitschko jetzt?
Sie sind enorm. Die Physis hatte er immer, aber er hat gelernt, sie in jeder Situation zu seinem Vorteil zu nutzen. Und auch seine Schwächen hat er zu Stärken gemacht. Er lässt sich nämlich nie in eine Situation bringen, in der die Schwächen zum tragen kommen. Vitali ist mit den Jahren unglaublich klug im Ring geworden. Ich habe von mir immer gedacht, ich könnte sie alle mit Ringintelligenz schlagen. Jetzt im Sparring war es so, dass ich gesehen habe, dass er mich auch da schlägt.
Können Sie das erklären?
Ich bin ein Boxer durch und durch. Ich analysiere jede Situation. Es war so, dass Vitali sich klein gemacht und den Kopf vorgestreckt hat, ich habe einen blitzschnellen Jab rausgeschossen und ihn getroffen. Einen Tag später hatten wir die gleiche Situation, ich habe innerlich schon gelächelt, als ich den Jab rausschießen will und in dem Moment hatte ich schon voll die Faust drin. Er hat mir das Lächeln mit seiner Eisenfaust vom Gesicht gewischt. Er lernt aus jedem Fehler. Er ist ein Schachspieler, der immer mehr Züge, also Schläge, vorausdenkt. Normalerweise bin ich der Lehrer, aber er hat mich zum Schüler degradiert. Er ist wirklich Dr. Faust. Wir Sparringspartner hatten uns sogar mal überlegt, ob wir – damit wir eine Chance haben – ihn mal alle gleichzeitig angreifen. Und wissen Sie was? Ich bin nicht sicher, dass wir eine Chance hätten. Vitali ist mental so unglaublich stark.
Dabei hat man ihn nach seiner verletzungsbedingten Aufgabe gegen Sie sogar als „Dr. Weichei“ verspottet.
Das hat sogar mir in der Seele wehgetan, das hatte er nicht verdient. Denn er ist der härteste Hund im Boxen. Mit seiner Größe, seinem Können, vor allem aber diesem extremen Druck, den er mental auf dich ausübt. Klitschko bricht alle Herzen seiner Gegner im Ring. Er zieht sich nie zurück, steckt die härtesten Schläge weg. Du kannst dich nicht eine Sekunde ausruhen gegen ihn. Er muss dich nicht ausknocken. Er hat 1000 Wege, um dich zu brechen und zu besiegen. Und dann kommen diese Schläge noch aus Winkeln, da sollte Einstein mal nachrechnen, ob das physikalisch überhaupt möglich ist. Am Ende bricht Vitali dich mental. Viele Boxer im Schwergewicht haben kein Kämpfer-Herz. Sie sind gewohnt, die Gegner mit ihrer Physis zu schlagen. Sie müssen nie tief in sich die Kraft finden. Aber wenn man diese Leute psychisch so fertig macht, wie Vitali es tut, zerbrechen sie, dann geben Sie auf.
So wie Weltmeister Sam Peter bei Vitalis Comeback nach vierjähriger Ringpause.
Exakt. Jeder normale Mensch hätte sich gefragt, kann ich das nach vier Jahren? Vitali hat sich diese Frage nie gestellt. Er wusste, dass er auch gegen einen Sam Peter gewinnt. Er ging rein: Bumm, bumm! Feuer frei, keine Deckung, er hat Peter gebrochen. Vitali ist der Jäger. Er spielt mit dir Katz und Maus. Ich halte Vitali im Moment für unschlagbar – und darüber hinaus sogar für untreffbar. Er scheint die Schläge zu spüren, bevor sie geschlagen werden und weicht aus. Es gibt nichts Frustrierenderes als einen Gegner, der nicht zu treffen ist.
Peter hat das nicht geschafft, er war hilflos.
Das war schlimm, ich habe es mir gar nicht zu Ende angesehen. Vitali ist zudem eine angsteinflößende Gestalt im Ring. Wenn man ihm das erste Mal im Ring gegenübersteht, denkt man sich nur: Warum bin ich hier? Er schüchtert durch seine Präsenz ein, durch diesen Blick. Er schaut, als wäre man Mike Tyson und hätte ihm gesagt: „Ich verspeise deine Kinder zum Frühstück.“ Meist hat Vitali da schon gewonnen. Man kann nicht in den Krieg ziehen, wenn man im Kopf schon fast die weiße Fahne schwenkt.
Wer ist denn für Sie der bessere Klitschko: Vitali oder Wladimir?
Eine böse Frage, denn der den ich nicht nenne, wird mich verprügeln wollen. Aber wenn ich wählen muss, würde ich lieber ein drittes Mal gegen Wladimir boxen, der mich zwei Mal im Ring vernichtet hat, als noch ein Mal gegen Vitali. Verstehen Sie mich nicht falsch: Wladimir ist fantastisch, er schlägt sogar etwas härter als Vitali, er kann dir mit nur einem Treffer den Schädel von den Schultern schlagen, aber Vitali zu boxen, ist schlimmer. Sein Stil ist so frustrierend, man trifft ihn nie – und er dich dauernd. Wladimir kann selbst im Kampf mental einbrechen, Vitali nicht. Er hat diese Aura des Unbesiegbaren. Und er wird mit jedem Kampf härter. Wenn ich also einen Klitschko wählen müsste, dann Wladimir. Und wenn ich Vitali boxen muss, dann bitte den Vitali von vor neun Jahren.
- Themen:
- Vitali Klitschko