Interview

Kickboxerin Marie Lang im AZ-Interview: "Ich habe mir eine Fressliste erstellt"

Noch zwei Mal steigt Marie Lang in den Ring. Vor ihrem vorletzten Kampf spricht die Kickbox-Queen in der AZ über das nahe Karriereende, Schwitzanzüge und Telefonate mit ihrer Mutter nach einer Niederlage.
von  Matthias Kerber
Ein vorletztes Mal: Zwei Kämpfe noch, dann ist die große Karriere von Marie Lang zu Ende.
Ein vorletztes Mal: Zwei Kämpfe noch, dann ist die große Karriere von Marie Lang zu Ende. © Steko

München - AZ-Interview mit Marie Lang: Die 35-Jährige ist Kickbox-Weltmeisterin und arbeitet zusätzlich noch als Model und Modedesignerin.

"In der Vorbereitung war der Wurm drin"

AZ: Hallo, Frau Lang, am Samstag bestreiten Sie gegen die Portugiesin Ines Casqueiro den vorletzten Kampf Ihrer illustren Kickbox-Karriere. Was überwiegt: Freude oder Wehmut?
MARIE LANG: Es ist eine sehr gemischte Gefühlslage. Von allem ein bisschen, würde ich sagen. Auf der einen Seite sage ich mir, genieß alles richtig, so oft wirst du es nicht mehr erleben. Und es ist schon so, dass ich liebe, was ich tue. Aber ich mache mir natürlich noch mal Extradruck, weil ich diese letzten beiden Kämpfe auf jeden Fall gewinnen will. Ich will meine Karriere zu einem Abschluss bringen, der mir den Abschied auch schwer macht. Dass man sich am Ende sag: Alles richtig gemacht und nicht: Wäre ich doch früher gegangen, dann wäre mir das erspart geblieben.

Und auf der anderen Seite?
Zeigt mir diese Vorbereitung, wie richtig meine Entscheidung ist, demnächst abzutreten. Irgendwie war in der Vorbereitung der Wurm drin. Ich komme nur schwer auf mein Kampfgewicht. Ich musste mich richtig quälen, die 62,5 Kilogramm zu schaffen. Mitte der Woche hatte ich noch zwei Kilo zu viel auf den Rippen. Irgendwo wusste ich nicht, wo die noch sein sollen.

"Ich habe mir Sachen gekauft, die ich mir nach dem Kampf gönnen will"

Also Training im Schwitzanzug - ziemlich ekelig.
Aber so was von. Ich bin aufs Laufband in dem Anzug und danach, wenn ich den Arm runtergenommen habe, ist der Schweiß aus dem Ärmel gelaufen. Und das, obwohl ich ja Klamotten unter den Anzug trage, die den Schweiß aufsaugen sollten. Aber es war so viel, dass ein kleiner Schweißbach rauskam. Nicht das, was ich mir unter Spaß vorstelle.

Wie motiviert man sich in diesen Momenten?
Ich war zum Beispiel einkaufen, habe mir Sachen gekauft, die ich mir nach dem Kampf gönnen will. Schokolade, süße Waffeln. Ich habe mir eine echte Fressliste erstellt (lacht).

Was steht da drauf?
Viel. Und es wird fast stündlich länger mehr. (lacht) Aber am Ende macht man fast nichts davon. Die Vorfreude ist wichtiger, als es durchzuziehen. Wahrscheinlich kommt ganz schnell der Moment, wo man feststellt, dass einen all die ungesunden Sachen gar nicht richtig schmecken.

"Da stehe ich da, wie ein kleines Küken"

Sie sprachen den Druck an. Wie sehr leidet man darunter? Gerade Kampfsport ist ja auch eine mentale Sache.
Absolut. Egal, wie gut man vorbereitet ist, man weiß nie, wie es ausgeht. Ich kann mir einen einzigen Glückstreffer einfangen, und alles ist vorbei. Ich denke, dass alle Sportarten, in denen man Eins gegen Eins antritt, sind vom Druck her noch härter zu verarbeiten, zu verkraften. Jeder trägt irgendwo eine Maske, versucht Schwächen zu überspielen. Wenn ich mir manche Gegnerin ansehe, wie böse sie schaut, denkt man kurz: Oje, die hat es drauf. Und bei einem selber rattern auch mal die Zweifel. Aber wenn man ehrlich wäre, in der anderen sieht es nicht anders aus - egal, wie böse sie schaut.

Wenn man Marie Lang zum Beginn der Karriere und Marie Lang jetzt vergleicht, sind da Welten dazwischen, was das Selbstvertrauen, die Ausstrahlung angeht.
Krass, oder? Ich habe erst kürzlich Bilder von mir von früher angesehen, da stehe ich da, wie ein kleines Küken - und schaue auch so. Selbst nach gewonnen Kämpfe. Das Selbstvertrauen ist bei mir wirklich sehr gewachsen - damit meine ich nicht nur im Ring, sondern im Leben. Nur mit Selbstvertrauen kann man echte Ausstrahlung haben. Ich werde immer wieder von jungen Mädchen kontaktiert, die scheu, die ängstlich sind. Ich rate ihnen: Macht Kampfsport, ihr werdet so viel Selbstvertrauen aufbauen. Ihr müsst ja nicht in den Ring steigen, aber es wird euch für euch selber sehr viel bringen.

"Die meisten Menschen legen Nettigkeit als Schwäche aus"

Selbstvertrauen ist gerade in der heutigen Zeit, in der es Cyber-Mobbing ohne Ende gibt, extrem wichtig.
Absolut. Was da zum Teil im Netz abgeht, ist krank und widerlich. Ich muss ganz ehrlich sagen, ich habe mich der Öffentlichkeit, in den Sozialen Medien nie vollständig geöffnet. Zum einen, weil ich es einfach komisch finde, jedes Essen, jeden Drink zu posten, zum anderen, weil man sich nicht angreifbar machen will. Ich bin von Natur aus, eine private Person, ich bin niemand, der sich zur Schau stellt, immer im Mittelpunkt stehen will. Ich bin vielleicht ein bisschen zu nett. Ich bin die, die sich immer tausend Mal entschuldigt, die Harmonie will. Selbst, wenn ich im Training jemand hart treffe, entschuldige ich mich, will, dass es der Person gut geht.

Ein bisschen schizophren für eine Kickboxweltmeisterin.
Das stimmt schon. Ich denke, dass ich da einiges kompensiere. Dass ich es dann auch mag, mal nicht nett zu sein. Denn man muss sich nichts vormachen: Die meisten Menschen da draußen legen Nettigkeit als Schwäche aus, wollen das ausnutzen. So ist das leider.

"Das beste Präsent, das ich ihr machen konnte"

Wie froh und dankbar ist Ihre Mama, dass Sie die Karriere beenden werden?
Für sie war das schon immer hart. Sie wird dieses Mal nicht live dabei sein, das ist fast noch härter. Gleich nach dem Kampf schickt mein Freund oder ich - wer immer schneller Zeit hat - eine Whatsapp an die Mama, dass alles in Ordnung ist. Und sobald es geht, rufe ich dann direkt an.

Wie war der Anruf, als Sie vor einem Jahr erstmals nach einer Niederlage durchklingeln mussten?
Ich war eigentlich die ganze Zeit sehr gefangen und sachlich, aber als ich die Mama am Telefon hatte, brach es regelrecht aus mir hervor. Ich bin in Tränen ausgebrochen, habe gejammert. "Ich habe verloren, ich habe mir den Zeh gebrochen." Wenn man mit der Mama spricht, die einen immer beschützt, immer versorgt und getröstet hat, ist das eben ganz was anderes als jedes andere Gespräch. Sie freut sich sehr, dass sie sich diese Sorgen bald nicht mehr machen muss.

Das schönste Geschenk für die Mama.
Obwohl sie mich immer voll unterstützt hat, ist es wahrscheinlich das beste Präsent, was ich ihr machen konnte, ja. (lacht)

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