Interview

Kasim Edebali im AZ-Interview: "Jeder wird einen Geschmack davon bekommen, wie toll Football ist"

Vor dem Munich Game spricht der ehemalige deutsche NFL-Star Kasim Edebali in der AZ über den Football-Hype hierzulande, seine eigene Karriere in den USA – und das Reizthema Kopfverletzungen.
von  Ruben Stark
Kasim Edebali
Kasim Edebali © picture alliance/dpa

AZ-Interview mit Kasim Edebali: Der 33-jährige Hamburger war als Defensive End in der NFL unter anderem bei den New Orleans Saints und den Denver Broncos aktiv.

AZ: Herr Edebali, München fiebert dem ersten regulären NFL-Saisonspiel entgegen. Superstar Tom Brady mit seinen Tampa Bay Buccaneers gegen die Seattle Seahawks – was wird von dieser Riesenshow am Sonntag in Erinnerung bleiben?
KASIM EDEBALI: Ich glaube, das wird so sein, wie wenn du ein Gewürz probierst und denkst: Whoah, das brauch' ich nochmal. Jeder wird einen Geschmack davon bekommen wie die NFL, wie Football, wie toll die Atmosphäre ist und dass darauf weiter aufgebaut werden kann.

Was kann von diesem Ereignis für eine Wirkung ausgehen?
Ich bin mir sicher, das ist nur der erste Schritt von vielen, wenn es darum geht, die NFL als große Sensation nach Deutschland zu holen. Bei den Spielen in London habe ich das Gefühl, die Hälfte der Zuschauer ist dort aus Deutschland. Ich bekomme da immer so viele Nachrichten. Ich kann mir vorstellen, dass es wie in London wird und du nicht nur ein Spiel, sondern mehrere hast in einer Saison. In München, in Frankfurt oder in Berlin. Der Boom ist hier – und dann ist es eine Win-Win-Situation für beide Parteien, für das NFL-Business im Ausland und für die Fans.

Sie haben Ihren NFL-Traum schon gelebt, in Ihrem Buch "Dreamchaser" beschreiben Sie den Weg durch Ihre Karriere. Warum wurde American Football zu Ihrem Sport?
Ich war einfach im perfekten Moment, am perfekten Ort mit den perfekten Menschen – für mein Leben. Ich habe mit Turnen angefangen, meine Mama hat mir Basketball beigebracht, ich habe auch Karate gemacht. Dann habe ich einmal Football im Fernsehen gesehen und gedacht: Kann ich das ausprobieren? Und beim allerersten Training war das wie bei der ersten Liebe. Ich bin den ganzen Tag mit Herzchen über dem Kopf rumgelaufen.

Edebali: "It's a winning business"

Die NFL verzeiht keine Fehler, das Business ist knallhart. Wie haben Sie den Durchbruch geschafft?
Bei den Saints hat mein Coach Sean Payton immer gesagt: It's a winning business. Die Sekunde, in der du irgendwas machst, was nicht zum Gewinnen hilft, dann müssen wir uns jemand anderes holen. Ab und zu kann das sehr hart sein, weil du nur eine Chance bekommst. Es war bei mir auch so. Ich war der siebte Defensive End bei den Saints, sechs Leute vor mir, vielleicht erfahrener, vielleicht talentierter, alle haben einen Fehler gemacht. Dann war ich dran, hab keinen Fehler gemacht und den Job gekriegt.

Ein Hamburger in der NFL: Kasim Edebali (hier im Trikot der New Orleans Saints) war einer der erfolgreichsten deutschen Footballer in der berühmten US-Liga.
Ein Hamburger in der NFL: Kasim Edebali (hier im Trikot der New Orleans Saints) war einer der erfolgreichsten deutschen Footballer in der berühmten US-Liga. © imago images/ZUMA Wire

Nur wenige deutsche Spieler haben es bisher wie Sie in die NFL geschafft. In welcher Rolle sehen Sie sich jetzt nach dem Karriereende?
Ich gehe jetzt langsam in eine Mentorenrolle – und genieße es. Ich war in den letzten zwei Jahren in der European League of Football fast schon mehr Trainer als Spieler. Dinge zu erklären und zu sehen, wie die Jungs das dann umsetzen und die Spieler um mich herum dann besser werden – daraus ziehe ich jetzt meine Motivation. Es gibt Spieler bei vielen Teams, nicht nur in Hamburg, die mich anrufen, wenn sie Hilfe brauchen. Und da sehe meine Rolle, anderen zu helfen, aufs nächste Level zu kommen.

Was ist insgesamt von dem NFL-Hype in Deutschland zu halten? Wie viel Substanz steckt da dahinter?
In den letzten Jahren ist es wie so ein Schneeball, der den Berg runter rollt und immer größer wird. Ich weiß noch, in meinem ersten NFL-Jahr 2014, da boomte Football auch gerade. Björn Werner gedraftet, Markus Kuhn spielte, Sebastian Vollmer war zu der Zeit eine Maschine und sie alle merkten, wie die Leute zu Hause wieder Football guckten. Der Unterschied: Damals ging's darum, alles zu erklären: was ein First Down ist, warum man dies und das macht. Ich hab' das Gefühl, jetzt ist das Spielverständnis viel größer geworden. Jetzt können wir im Fernsehen auch die Details erklären. Ich kann mir auch vorstellen, dass es mehr Eltern als früher gibt, die ihren Kindern sagen: Hey, guck dir das mal an.

"Angebot und Nachfrage sind auf jeden Fall da"

Wie weit kann dieser Hype noch ausstrahlen?
Ich vergleiche das immer mit der Zeit, als die Hamburg Freezers neu bei uns in der Stadt waren, das Eishockeyteam. Ganz viele Leute kamen zu mir: 'Kasim, du musst mal mitkommen zu den Hamburg Freezers. Ich habe zwar keine Ahnung, was abgeht, aber die Atmosphäre ist einfach toll.' American Football ist genauso ansteckend, hat so eine positive Energie. Selbst, wenn du nicht viel über Football weißt, das Spiel nicht verstehst, willst du mehr darüber erfahren, wenn du es einmal gesehen hast. Es gibt allein um Hamburg herum glaube ich 16 Teams und die haben alle auch Nachwuchsteams. Im Ruhrpott sind es gefühlt allein 50 Teams. Also, Angebot und Nachfrage sind auf jeden Fall da.

Wirkt sich der Boom auch bei den aktiven Spielern aus?
Am meisten kann man das erkennen bei den Talenten, die jetzt von Deutschland an die Highschool oder an die Colleges gehen. Gefühlt sehe ich jede Woche einen neuen Post, wo irgendein deutsches Talent die Chance bekommt. Es gibt eine Liste von über einem Dutzend deutscher Collegespieler, der Talentpool aus Deutschland ist zehnmal größer als vor zehn Jahren. Ich glaube, da spiegelt es sich sofort wider. Und es werden mehr und mehr Talente gesehen und kriegen die Chance, weil sie gescoutet werden.

Heißt das, dass künftig auch noch mehr in Deutschland ausgebildete Spieler den Weg in die NFL finden werden?
Die Amerikaner, die nach Deutschland kommen, spüren und sehen, was hier abgeht. Mich hat ein NFL-Coach angeschrieben, dass er gerne in Deutschland coachen würde. Gerade in der NFL geht so viel über Connections und wen du kennst. So bin ich ans College gekommen, weil mein Highschool-Trainer gesagt hat: 'Ich hab' da einen, der kann was. Vertrau' mir, gib dem eine Chance.' Das Gleiche kann ich mir bei deutschen Talenten vorstellen, wenn mehr amerikanischen Trainer hier sind und das Land besser kennenlernen. So können dann auch mehr deutsche Spieler drüben eine Chance bekommen. Das größte Ziel ist immer, in der NFL zu spielen. Die Scouts sehen alles. Wenn du gut spielst irgendwo auf der Welt, besonders hier in Deutschland: Es wird jemand sehen.

"Eins muss klar sein: Der Spieler ist das Wichtigste"

Wie stehen Sie zum Reizthema Kopfverletzungen?
Ich rede gerne drüber. In den 80ern und 90ern war Football einfach ein anderes Spiel. Es wurde nicht so viel Rücksicht auf die Spielersicherheit genommen. Damals gab es noch eine echte Schädelmentalität. Das Spiel ist sicherer, dieses Old-School-Ding, Kopf runter und drauf, das gibt's nicht mehr. Als Leute wirklich reingegangen sind, als wollten sie jemandem aus dem Leben schießen – heute ist so was illegal und wird bestraft. In jeder Off-Season gibt es heute Meetings, werden die neuesten Helmmodelle gezeigt. In meinen ersten Jahren hatte ich gefühlt nur Plastik auf dem Kopf. Heute sind die Helme gepolstert, die Technologien von Militärhelmen werden genutzt, um so viel Schock wie möglich zu absorbieren. Die Spielsicherheit ist größer und wichtiger, der Spieler wird mehr in den Vordergrund gestellt. Ich bin mir sicher, dass auch Sachen wie CTE (degenerative Hirnerkrankung, d. Red.) zurückgehen.

Lässt sich mit noch härteren Sanktionen hier auch noch mehr Fortschritt erreichen? Die Spieler würden sich dem ja vermutlich anpassen.
Zu 100 Prozent. Wenn man heute den Quarterback tackelt, darf man nicht mehr auf ihn drauffallen. Da kriegst du sofort 20.000 Dollar Strafe, wenn du es nochmal machst, wirst du ein Spiel gesperrt. Das war zu meiner Zeit ganz anders. Früher konntest du jemandem direkt ins Gesicht schlagen, heute gibt es sofort eine Flagge. Der nächste Schritt ist es, noch konsequenter zu sein, bei Spielern, die umgehauen wurden und nicht mehr stehen können. Da gab es auch in den letzten Monaten ein paar Situationen und diese Spieler sollten nicht weiterspielen dürfen. Da muss das Regelwerk klarer sein. Es ist in jedem Falle immer noch verbesserungswürdig. Eins muss klar sein: Der Spieler ist das Wichtigste.

Hatten oder haben Sie Angst um Ihre Gesundheit?
Besonders wenn du ein paar Studien liest, kriegst du mehr und mehr mit. Auch als ich legale Schmerzmittel in der NFL genommen habe, dann liest du, was das mit deinem Körper macht, wenn du das ein Jahr lang nimmst. Ich habe Frau und zwei Kinder, dann denkst du: Alles schön und gut, aber ich will so lange wie möglich für meine Familie auf der Welt sein. Dann machst du dir schon Sorgen. Früher hast du deinen Körper geopfert und schmeißt dich da voll rein. Das machst du dann auch nicht mehr, wenn du ein bisschen älter bist. Die Sorgen packst schon auch in deine Spielweise rein, es ist schon im Hinterkopf. Letztlich ist es wie als Boxer, das Risiko kannst du nicht ganz ausschalten. Aber wann immer du deinen Kopf schützen kannst, tu es.

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