Karl Geiger: "Ich spring' zur Zeit in der Garage"

München - Skisprung-Start Karl Geiger (27) startet für den SC Oberstdorf. Seit 2016 gehört der 27-Jährige dem Zoll-Ski-Team an. Seine größten Erfolge bisher sind die beiden Weltmeister-Titel im Mannschaftswettbewerb und im Mixed-Wettbewerb sowie der zweite Platz im Einzel von der Großschanze bei den Nordischen Skiweltmeisterschaften 2019 im österreichischen Seefeld. Bei den Olympischen Winterspielen 2018 in Pyeongchang gewann Karl Geiger die Silbermedaille im Mannschaftswettbewerb. Die Vierschanzentournee 2019/20 beendete Geiger als Gesamtdritter.
AZ: Herr Geiger, Ihr letzter Weltcupsieg datiert vom 1. März, wenig später wurde die Saison abgebrochen – mit Ihnen auf Platz zwei im Gesamtweltcup. Ärgerlich dieser Abbruch, womöglich hätten Sie den Österreicher Stefan Kraft abfangen können. Aber wenn Ihnen vor der Saison jemand Rang drei bei der Vierschanzentournee und sechs Weltcupsiege prophezeit hätte...
Karl Geiger: Dann hätte ich das sofort unterschrieben.
Was war Ihr schönster Moment vergangene Saison?
Der zweite Platz zum Auftakt der Vierschanzentournee bei mir in der Heimat in Oberstdorf. Da konnte ich in den letzten Jahren nie die Leistung bringen, die ich in den Wochen davor gezeigt habe. Das war immer ein bisserl schade, weil da wollte ich natürlich immer zeigen, was ich kann. Dieses Mal hat’s endlich geklappt. Das war dann schon ein ziemlich emotionaler Moment.

Und dann steht Ihre kleine Schwester Lucia bei der Siegerehrung mit dem Pokal vor Ihnen! Eine Überraschung, oder?
Ja, ich wusste, dass sie im Zeremonie-Team mitgeholfen hat, aber dass sie die Pokale bringt, wusste ich nicht.
Hat sie etwas zu Ihnen gesagt?
Nee, nur gegrinst. War süß.
"Es waren die kleinen Schritte, die das große Ganze besser machen"
In den letzten Jahren lauteten Ihre Platzierungen im Weltcup 75., 30., 18., 14., 10. Was haben Sie jetzt anders gemacht?
Eigentlich nichts. Im Sommer an den Punkten dranbleiben, wo noch Entwicklungspotenzial ist. Es waren die kleinen Schritte, die das große Ganze besser gemacht haben. In der Saison davor konnte ich schon ein paar Podestplätze einfahren – da wusste ich: ‘Okay, das hat Potenzial.’ Aber es war noch zu unkonstant. Das Ziel war dann: Das Niveau stabilisieren und nochmal hochschrauben.
Aber wie schafft man das?
Da gibt’s kein Rezept. Da braucht man auch ein bisschen Glück, damit man auch an den richtigen Dingen arbeitet, sich nicht irgendwo verzettelt – und vom Weg abkommt.
Und das mit neuem Trainer: Stefan Horngacher.
Da musste man sich auf die neue Situation gut einstellen und den neuen Input richtig kanalisieren. Also den neuen Input mit aufnehmen, aber an den alten Sachen dranbleiben. Das ist gut aufgegangen.
Geigers Erfolgsrezept: "Unterm Strich macht's die Erfahrung"
Kommt das mit der Erfahrung? Sie sind jetzt 27 – wird man da ruhiger und kann besser den Kopf runterfahren?
Das ist wirklich eine ganz große Qualität, die man beim Skispringen haben muss. Mit Selbstvertrauen kann man viel retten. Aber die Grundlagen müssen sauber und akribisch erarbeitet werden. Wenn man schlecht trainiert, kann man noch so cool sein: Man kriegt das nicht hin.
Aber es wird einfacher mit den Jahren, oder?
Ja, weil man einen Erfahrungsschatz hat und weiß, wie man an gewisse Wettkampfsituationen hingehen muss – und was man tun kann, wenn man ein bisserl ins Zweifeln gerät. Da kann man sich schon so hinbiegen, dass man sagt: ‘Das funktioniert!’
Gibt es eigentlich Mental-Coaches für das Skisprungteam?
Nein. Da hat jeder so sein eigenes Konzept gefunden. Der eine macht’s nach Gefühl, der andere zieht sich noch was aus der Lektüre. Damit geht jeder anders um. Unterm Strich macht’s dann schon die Erfahrung.

Seit vielen Jahren teilen Sie mit Markus Eisenbichler bereits das Zimmer. Bei der WM in Seefeld hatten Sie vergangene Saison eine spezielle Zeit: Er als dreifacher, Sie als Doppel-Weltmeister und Silbermedaillengewinner hinter Eisenbichler – heuer haben Sie Ihren Spezl weit hinter sich gelassen. Was macht das mit Ihrer verschworenen Zimmer-Gemeinschaft?
Grundsätzlich ist es positiv, wenn es zumindest bei einem funktioniert. Weil das auch Druck von der Mannschaft wegnimmt. Situationen wie beim Eisi im vergangenen Jahr: Das ist nicht einfach. Auch er hat gut trainiert, sich aber irgendwo verhaspelt. Wenn man nicht genau feststellen kann, wo das war, ist das Vertrauen weg. Dann kämpft man die ganze Saison ums Überleben, weiß aber, dass man amtierender Weltmeister ist und um Siege mitspringen kann. Das ist bitter, eine Generalprüfung. Aber er hat das gut gemacht, mir nie das Gefühl gegeben, dass er mir das missgönnt. Bei uns geht’s nicht nur ums Skispringen. Wir sind so viel im Jahr unterwegs und auch mal froh, wenn wir über was anderes reden.
Vorbereitung für die WM in Oberstdorf: Training in der Garage
2021 soll im Februar die Heim-WM in Oberstdorf stattfinden – unnötig zu fragen, wie motiviert Sie sind.
Extrem. Wir haben bis jetzt noch keine Trainingspause gemacht, weil wir wissen: ‘Nächstes Jahr steht eine WM an – da brauchen wir uns jetzt nicht auf die faule Haut legen’. Wir trainieren halt alle daheim.
Skisprungtraining daheim – wie geht das denn?
Ich habe viel Platz zu Hause, kann Sprünge in der Garage machen...

In der Garage? Wie hoch ist die denn?
Die wird so etwa 2,70 Meter hoch sein. Es reicht jedenfalls zum Springen.
Aber nicht vom Küchentisch?
Nein, vom Küchentisch springe ich nicht. Da esse ich!
Ihre Mutter hat mal erzählt, dass Sie schon mit vier von der Ofenbank Springerehrgeiz entwickelt haben...
Damals ging das von der Ofenbank, heute besser nicht mehr.
Corona-Krise: Ob Schanzentraining im Mai klappt, ist noch unklar
Wie trainieren Sie im Corona-Lockout?
Ich laufe und radle, hab mir eine Hantelstange und Gewichte aus der Turnhalle organisiert. Man kann sich schon was einfallen lassen, und das haben wir auch gemacht. Jetzt hoffen wir, dass die WM nächstes Jahr stattfinden kann und es ein cooles Event wird. Es wäre sehr schade, wenn sich das noch so lange ziehen würde oder ohne Zuschauer stattfinden müsste.
Ein Trainingsplan macht in dieser unsicheren Situation ja kaum Sinn, oder? Ende Mai sollte es ja eigentlich auf die Schanze gehen...
Ich bekomme im Moment jede Woche einen Trainingsplan zugeschickt. Ob das im Mai mit dem Schanzentraining klappt, wird wohl eher kurzfristig entschieden.
Abstand hätten Sie ja oben auf der Schanze mehr als genug – da verirrt sich so schnell niemand hin. Dürfen Sie denn wenigstens Ihren geliebten Gleitschirm fliegen?
In letzter Zeit bin ich gar nicht geflogen. Ich weiß gar nicht, ob’s verboten ist. Risiko-Sportarten sollte man derzeit lieber meiden. Aber im Sommer wird’s sicher wieder gehen. Da oben hat man ja schön viel Platz.
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