Jogi Löwenherz

TENERO - Viel Selbstvertrauen, wenig Sicherheitsdenken - das zeichnet Jogi Löw aus, damit hatte er Erfolg beim EM-Auftakt. Wegbegleiter erklären den Bundestrainer.
Nein, Jogi Löw ist nicht im Tunnel. In jenem Konzentrationstunnel, in den sich Sportler begeben und dann rechts und links von sich nichts mehr wahrnehmen. Löw behält stets den Blick für seine Umwelt. Absolut. Was im Übrigen einer seiner Lieblingsausdrücke ist – mit dieser badischen Betonung auf dem ersten Vokal.
Er macht sich auch keine großen Gedanken, was andere über ihn denken. Ob im Training, wenn er mal eben den Ball nimmt, ihn ein wenig auf seinem Oberschenkel tanzen lässt und zum Spaß jongliert. Ob es misslingt oder nicht – egal, er lacht herüber zu den Fotografen, die Freude abgedrückt hatten. Oder man nehme die Momente kurz vor dem ersten Spiel gegen Polen, dem EM-Auftakt, dem ersten Turnierspiel unter seiner Verantwortung. Löws Auge suchen den Blickkontakt Richtung Tribüne, er grüßt Leute, die er kennt mit Kopfnicken. Als wäre er im Urlaub.
Absolut gelassen
Kroatien steht an, das zweite Spiel. Freundlich referierte Löw auf der dienstägigen Pressekonferenz in Tenero über Fragen der Taktik, ohne inhaltlich etwas zu verraten, stets beantwortet er jede Frage freundlich – auch wenn es die dritte nach der Aufstellung ist. Löw bleibt gelassen. Absolut. Es gibt andere Trainer, denen der Job, die Aufgabe über den Kopf wächst. Trainer, die sich überhöhen, arrogant werden. „Das wird ihm nicht passieren, da lege ich meine Hand für ihn ins Feuer“, sagt Roland Eitel sein Berater, „er ist fast zu höflich, kann auch bei Autogrammwünschen kaum nein sagen. Er hat einfach ein gutes Herz.“
Und obwohl er außer der souveränen EM-Qualifikation und dem Helferdasein für WM-Bundestrainer Jürgen Klinsmann mit der Nationalelf noch keine großen Erfolge vorzuweisen hat, zeigt er ungewöhnlichen Mut, sein Löwenherz. Der Turnierverlauf, möglicherweise sein Job, hing am Auftaktspiel gegen Polen, und Löw wählte die offensive, riskante Aufstellung mit Lukas Podolski als Linksaußen. Mit Bastian Schweinsteiger wäre die Mannschaft eingespielter gewesen. Doch Sicherheitsdenken ist Löw fremd. Er ist sich seiner Sache sicher.
Überall etwas abgeschaut
„Er hat sich überall etwas abgeschaut, bei jedem Trainer, in jedem Land“, sagte Rolf Fringer, der ihn 1996 als seinen Assistenten zum VfB Stuttgart mitnahm, „dadurch hat er sich eine hohe fachliche Kompetenz erworben. Was ihn im Laufe der Zeit immer selbstsicherer gemacht hat, daher rührt auch die Autorität bei den Spielern. Sie vertrauen dem, was er sagt.“ Dabei hat Löw kein einziges Länderspiel gemacht. Doch als Spieler dachte er sich immer schon in den Trainerjob rein.
„Er war stets interessiert, immer mit offenen Ohren für alles Neue“, erzählt Fritz Fuchs, der ihn in der Saison 1983/84 beim SC Freiburg trainierte und zum Kapitän machte. „Gegen Polen hat man doch anhand der offensiven Aufstellung sehen können, was er für ein unglaubliches Selbstvertrauen, das ist Jogi Löw pur.“
Zudem wirkt alles so selbstverständlich. „Er stellt sich immer der Aufgabe, die er gerade zu bewerkstelligen hat“, sagt Berater Eitel, „der Jogi könnte auch nächstes Jahr den FC Ascona (2. Schweizer Liga, d. Red.) hier für 15000 Euro im Monat trainieren, da würde er auch total aufgehen in dieser Aufgabe. Er macht sein Ding, geht in jedem Job voll auf. Er war auch noch nie einer, der sich groß mit Karriereplanung beschäftigt hat.“
Lieber mit dem Gegner, der nächsten Aufgabe. „Die Kroaten haben eine raffinierte Mannschaft mit sehr, sehr guten Einzelspielern“, sagte Löw gestern, „aber wir wollen unsere Taktik ausspielen, unsere Linie durchziehen. Natürlich richten wir uns auch nach dem jeweiligen Gegner, versuchen aber grundsätzlich, selbst Akzente zu setzen.“ Seine Akzente.
Patrick Strasser