"Jetz bin ich da, wo ich immer hinwollte"
Die AZ-Leser haben Christine Theiss zu Münchens Sportlerin 2007 gewählt. Die Kickboxerin gewann bereits zum dritten Mal. Im Interview erzählt Theiss, wie die Abendzeitung "alles ins Rollen brachte" und was sie von U-Bahn-Schlägern hält.
AZ: Hallo, Frau Theiss, wir gratulieren, Sie sind nicht nur Doppelweltmeisterin im Kickboxen, sondern jetzt auch Triple-Siegerin bei der AZ-Wahl zu Münchens Sportlerin des Jahres.
CHRISTINE THEISS: Wow, wenn das kein genialer Start ins neue Jahr ist! Durch meine erste Wahl zur Sportlerin des Jahres bin ich erst über München hinaus bekannt geworden. Die AZ hat das sicher ins Rollen gebracht. Und jetzt bin ich da, wo ich immer hinwollte: Ich kann von meinem Sport leben, bin zum dritten Mal die Sportlerin der schönsten Stadt der Welt.
"Die sollten sich ihr Leben lang schämen"
Die in den letzten Wochen von brutalen Übergriffen in U-Bahnen erschüttert wurde. Wie sehen Sie, die professionelle Kickboxerin, solche Vorfälle, wenn Gewalttäter auf Rentner einschlagen?
Was mich wahnsinnig aufregt,ist diese unglaubliche Feigheit. Die rotten sich immer zu einer Gruppe zusammen und suchen sich nur Opfer aus, die viel schwächer sind. Wo bitte sind wir gelandet, dass solche Typen einen wehrlosen Rentner von hinten angreifen und ihm gegen den Kopf treten, wenn er am Boden liegt? Das ist die unterste Schublade, die die Welt je gesehen hat. Die sollten sich ihr Leben lang schämen für ihre Armseligkeit. Mit solchen Aktionen zeigen sie doch nur, wie feige sie sind. Diese Täter kennen so gar keine Barriere, keine Hemmschwelle, ihnen fehlt jegliches Mitgefühl. Das erschüttert mich.
Erschütternd war auch, dass keiner der Umstehenden eingegriffen oder Hilfe gerufen hat.
Ich habe schon Verständnis für alle, die nicht aktiv eingreifen. Weil sie eben sehen, mit welcher Brutalität, mit welcher Menschenverachtung auf die Opfer eingeschlagen wird. Dass die meisten sich nicht trauen, verstehe ich. Kein Mensch kann erwarten, dass einer den Helden spielt und mit einem Superman-Schrei dazwischen geht. Aber gar kein Verständnis habe ich, wenn diese Leute dann nicht mal den Notruf betätigen oder sich zumindest als Zeugen zur Verfügung stellen. Das ist auch armselig. Und meistens ist man in U-Bahnen nicht allein, wenn man sich da zusammentut und plötzlich die Täter in der Minderheit sind, dann bin ich mir sicher, dass diese Feiglinge den Schwanz einziehen.
Unser Sport wird sich immer gegen die Gewalt stellen
Es gibt aber auch den Vorwurf an Kampfsportler, dass diese Zurschaustellung von Schlägen und Tritten auch zur allgemeinen Verrohung beitragen.
Dazu würde ich gerne eine Geschichte erzählen. Nach meinem ersten Auftritt bei Günther Jauch in "Stern-TV" hat mir ein Mann einen Brief geschrieben. Der betreibt ein Sozialprojekt mit gewalttätigen Mädchen. Der hat mir Ähnliches vorgeworfen, er hat gesagt, dass er nicht verstehen kann, wie man so einen Sport betreiben und auch noch Werbung dafür machen kann. Ich habe ihm dann sehr lange und ausführlich geantwortet. Er hat dann eine Probegruppe Kickboxen bei den Mädchen eröffnet. Die Mädels haben mir Fragebögen geschickt, die ich alle beantwortet habe. Kürzlich hat er mir geschrieben, dass sich die schulischen Leistungen teilweise dramatisch verbessert haben, weil die Mädels eben ganz anders auftreten und sich nicht mehr wild auf den Straßen prügeln. Er hat sich bedankt. Ich denke, wer unseren Sport ernst nimmt, wird sich immer gegen die Gewalt stellen. Der Sport – so hart er ist – und solche Gewaltexzesse kann und darf man nicht miteinander vergleichen.
Wie sinnvoll erachten Sie grundsätzlich Selbstverteidigungskurse, die immer mehr Frauen besuchen?
Ich halte es für sehr wichtig und positiv. Aber ich bin der Meinung, dass es mit einem Wochenendkurs nicht getan ist, dass der vielleicht sogar eine falsche Sicherheit vorgegaukelt. Ich hab den schwarzen Gurt im Kickboxen, mache seit Jahren Selbstverteidigung. Jeden Schritt, jede Aktion habe ich tausende Mal gemacht. Die sind mechanisiert, automatisiert. Und genau so muss es ein. Eine Attacke ist so eine extreme, emotionale Ausnahmesituation. Da muss das Programm vollautomatisch ablaufen, weil das Hirn blockiert ist. Man muss schon trainieren, was da abläuft.
Interview: Matthias Kerber
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- Günther Jauch