Jaromir Jagr: Die 68er-Generation

Mit seinen 43 Jahren tritt Superstar Jaromir Jagr bei der Heim-WM für Tschechien an. Seine Nummer soll an den Prager Frühling erinnern.
Prag - Die Schläfen sind ein wenig ergraut, der Schritt auf dem Eis nicht mehr ganz so dynamisch, und wenn man ihn so gehen sieht, dann gibt es wohl keine Stelle, die nicht ein wenig schmerzt. Doch dieser Mann mit seinen 43 Jahren ist Tschechiens Wunderwaffe bei der Eishockey-Heim-WM, die am 1. Mai beginnt: Jaromir Jagr.
Der NHL-Superstar, der im vergangenen Jahr seine Nationalmannschaftskarriere für beendet erklärt hatte, steht im WM-Kader, ist der Assistenzkapitän der Tschechen. Jagr, der bei den Florida Panthers immer noch in der NHL (1752 Spiele, 800 Tore, 1201 Assists) spielt, ist einer der Eishackler, der das Spiel mit seinen Fähigkeiten, seinem Talent verändert hat. Der Mann mit der Nummer 68 hat eine Generation von Eishacklern inspiriert – die 68er-Generation. Seine Nummer ist genauso unsterblich wie die 99 von Wayne Gretzky, die 66 von Mario Lemieux oder die 9 von Gordie Howe.
Doch die 68 ist für Jagr immer auch ein Statement gewesen. Er will damit an den Prager Frühling im Jahre 1968 erinnern. Damals versuchte eine Demokratiebewegung in der Tschechoslowakei sich von der Sowjetunion loszusagen. Ein weitgehend friedlicher Protest. Doch am 21. August begann die größte Militäraktion in Europa seit Ende des 2. Weltkrieges. Verbände des Warschauer Paktes starteten mit einer halben Million Soldaten eine Invasion, russische Panzer rollten in Prag ein, die Freiheitsbewegung wurde niedergeschlagen. 98 Tschechen und Slowaken fanden den Tod. Jaromirs Großvater, der ebenfalls Jaromir hieß, starb 1968 krankheitsbedingt während der Aufstände.
In den 20 Jahren zuvor hatte der Großvater viele Jahre im Gefängnis zubringen müssen. Die Jagrs, die große Ländereien in Böhmen besaßen, waren zwangsenteignet worden. Der Opa hatte sich nach der Enteignung geweigert, ohne Bezahlung auf seinem alten Land für die Kommunisten zu arbeiten. „Ich bin sehr glücklich, dass mein Großvater als freier Mann und nicht im Gefängnis gestorben ist“, sagt Jagr, der vier Jahre nach dem Tod des Opas geboren wurde. „Ich habe viel Zeit bei meiner Oma verbracht. Sie hat mir eine Menge Geschichten von ihm erzählt und dem Unrecht, das uns angetan wurde.“
Der junge Jagr, der mit drei Jahren erstmals auf dem Eis stand, rebelliert auf seine Art gegen die kommunistische Führung. Mit Symbolen. Der Nummer 68. Er ritzte sie in seinen Hockey-Helm. Zu Ehren des Opas, zu Ehren des Prager Frühlings. Jaromir hasste die Restriktion in seinem Vaterland. Nahrung, Kleidung oder Toilettenpapier – alles Mangelware. Er lobte später ausdrücklich, dass die tschechoslowakische Tennis-Spielerin Martina Navratilova Mitte der 70er Jahre nach den US Open um politisches Asyl in Amerika nachgesucht hatte. Doch Jagrs großer Heros war US-Präsident Ronald Reagan, der größte Hardliner gegen den Kommunismus. Jahrelang trug er dessen Foto im Geldbeutel.
In der Ära von Glasnost und dem Ende des Kommunismus wagte Jagr selber den Sprung nach Nordamerika in die NHL. 1990 kam er zu den Pittsburgh Penguins. Jagr und sein kongenialer Sturmpartner Mario Lemieux waren eines der besten Offensiv-Duos aller Zeiten.
Jagr wurde in den USA, dem Land seiner Kindheitsträume, zum Superstar. Er sprach zwar nur gebrochen englisch. Doch er hatte die Aura des Außergewöhnlichen. Mit seinem damaligen Markenzeichen, dem Vokuhila-Haarschnitt, der in seiner Heimat bei allen Friseuren als „Jagr“ bekannt ist, startete er eine einzigartige Karriere. 1991 und 1992 holte er den Stanley Cup mit Pittsburgh, sechs Jahre später führte er Tschechien bei Olympia zu Gold, 2005 und 2010 zum WM-Titel.
Damit war Jagr Mitglied des illustren Triple Gold Club. Der Spieler, die sowohl den Stanley Cup holen konnten, als auch Gold bei Olympia und einer Weltmeisterschaft gewannen. Fünf Mal gewann er zudem die Art Ross Trophy als bester Scorer der NHL, 1999 holte er auch die Hart Memorial Trophy als bester Spieler der regulären Saison, 2011 wurde er in die tschechische Ruhmeshalle aufgenommen. „Ich spiele für mein Land, das ich liebe. Ich will auch etwas zurückgeben. Und ich liebe dieses Spiel“, sagte er jetzt und will die Legende der 68 weiterschreiben. Bei der Heim-WM.