Jansrud, das "medizinische Wunder": Gold im Super-G
Sotschi – Kjetil Jansrud liegt mit gerissenem Kreuzband in einem Krankenhaus in Österreich und greift zu seinem Handy. "Jetzt habe ich einen Vorsprung auf die anderen Fahrer vor Olympia in Sotschi", tippt er mit einer gehörigen Portion Galgenhumor in seinen Twitterkanal und erklärt: "Morgen wird der erste Tag der neuen Saison sein." Jansrud quält sich zurück auf Ski – und ist 375 Tage nach dem Schicksalsschlag bei der WM in Schladming Olympiasieger im Super-G.
"Diesen Moment hatte ich seit meiner Verletzung immer im Kopf, während der ganzen Reha", sagte Jansrud über seinen goldenen Coup: "Aber es ist etwas völlig anderes, es wirklich geschafft zu haben." Sein Aufstieg vom Krankenbett auf den Olymp kam ihm selbst wie ein "kitschiges Märchen" vor. Immer wieder stieß er Freudenschreie aus seinem massiven Brustkorb hervor, bei der Siegerehrung schüttelte er ungläubig seinen von einer hellblauen Schlumpfmütze gewärmten Kopf.
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"Das ist völlig verrückt. Ich habe das nicht kommen sehen", sagte Jansrud. Schon sein sensationeller dritter Rang in der Olympia-Abfahrt war in der Heimat als größtes Comeback seit Lazarus gefeiert worden. Teamarzt Lars Engebretsen sprach von einem "medizinischen Wunder". Im Super-G setzte Jansrud nun einen drauf und die Siegesserie seines Landes in dieser Disziplin fort: Nach Kjetil Andre Aamodt (1992, 2002 und 2006) und Aksel Lund Svindal (2010) ist er der dritte Super-G-Olympiasieger aus Norwegen. "Er ist geisteskrank geil gefahren", lobte der mitfavorisierte Svindal, der nur Siebter wurde, seinen Landsmann.
Bei Temperaturen deutlich über dem Gefrierpunkt und weicher Piste schien sich zunächst ein Hundertstel-Krimi zu entwickeln, bis Jansrud die bis dahin eng beieinander liegende Konkurrenz deklassierte. Nur der Amerikaner Andrew Weibrecht kam ihm noch bedrohlich nahe. "Ich hatte Puddingknie, als er gefahren ist", bekannte Jansrud. Doch es reichte ja für ihn. Weibrecht, der 2010 bereits überraschend zu Bronze gerast war, gewann 0,30 Sekunden hinter Jansrud Silber. Bode Miller (USA) und Jan Hudec aus Kanada belegten zeitgleich den Bronze-Rang.
Jansrud, der erst ein Weltcup-Rennen gewonnen hat, hatte ebenfalls bereits 2010 aufhorchen lassen – mit Silber im Riesenslalom. Doch sein Sturz beim WM-Super-G vor einem Jahr schien ihn jäh ausgebremst zu haben. Erst Ende November war er in den Weltcup zurückgekehrt. Um sich für sein großes Ziel zu motivieren, hatte er "Sotschi 2014" auf die Geräte im Reha-Zentrum in Oslo geschrieben. "Jetzt", sagte er lachend, "muss ich das wohl abwaschen – und 'Pyeongchang 2018' draufschreiben."
Nach seinem Bronze-Coup in der Abfahrt hatte der Fan des FC Liverpool ein Original-Trikot von Reds-Kapitän Steven Gerrard geschenkt bekommen. "Für Kjetil. Gratuliere zu Bronze. You'll never walk alone", schrieb der englische Fußballstar auf das rote Hemd. "Jetzt müsste er ein Shirt von Kevin Keegan bekommen", schrieb ein norwegischer Kommentator kurz nach dem Super-G-Rennen im Internet. Keegan ist schließlich eine noch größere Legende als Gerrard. Wie jetzt auch Jansrud.