„Ist das weniger wert?“

Am Wochenende beginnen die Paralympics in Vancouver. Mit dabei ist Verena Bentele aus München, die ihre Bilanz auf ein Dutzend Goldene schrauben kann und dennoch nicht zufrieden ist.
von  Abendzeitung
Holte schon sieben Goldene bei den Paralympics: Verena Bentele.
Holte schon sieben Goldene bei den Paralympics: Verena Bentele. © Baumann/Augenklick

Am Wochenende beginnen die Paralympics in Vancouver. Mit dabei ist Verena Bentele aus München, die ihre Bilanz auf ein Dutzend Goldene schrauben kann und dennoch nicht zufrieden ist.

AZ: Frau Bentele, haben Sie denn schon geträumt von der Siegerehrung auf der Medal’s Plaza in Whistler?

VERENA BENTELE: Ja. Habe ich. Vor allem, als ich die ganzen Erfolge bei Olympia mitbekommen habe. Lena Neuner, Maria Riesch, da denkst du dann schon dran, ob das bei dir selbst dann auch so wird, ein paar Wochen später. Die Winterspiele waren eine schöne Einstimmung.

Wie haben Sie Olympia denn verfolgt?

Am Fernseher. Da war ja die ganze Mannschaft im Trainingslager. Nicht nur Blinde, auch Körperbehinderte, die sehen können. Die haben mir dann immer erzählt, was gerade passiert. Da habe ich mir im Kopf schon einmal vorstellen können, wie das aussieht. Und mein Begleitläufer Thomas Friedrich hat mir auch viel erzählt, vor allem über das Streckenprofil. Abfahrten, Steigungen, Kurven.

Auf dessen Ansagen müssen Sie sich ja auch im Rennen verlassen.

Ja, dem muss ich blind vertrauen können. Im wahrsten Sinne. Normalerweise dauert das zwei Jahre, bis man sich auf einen Begleiter einstellt. Wie er was meint, auch was die Zeitverzögerung angeht. Wann nach seiner Ansage die Kurve auch wirklich kommt. Bei den Paralympics starten sie zweimal im Biathlon, dreimal im Langlauf. Sie sind jedesmal Favoritin, da könnten Sie Ihre Gesamt-Bilanz auf ein Dutzend Goldmedaillen aufstocken. Nur Geld gibt es dafür kaum. Während die Sporthilfe Olympiasiegern 15000 Euro zahlt, bekommen Sie bei den Paralympics nur 4500 Euro. Warum?

Warum?

Das würde ich auch gerne wissen. Ich weiß nicht, ob das politische oder sonstige Hintergründe hat. War aber immer schon so, und es wird sich so schnell nicht ändern. Ich habe schon oft gehört, das sei doch gar nicht so, dass wir schlechter wegkommen. Die Realität sieht aber anders aus. Wenn die Sporthilfe meine Leistungen an den Prämien gemessen einschätzt, frage ich mich schon: Ist meine Leistung weniger wert?

Zumal olympische Stars wie Riesch und Neuner ihr Gold versilbern können, etwa was Werbeverträge angeht.

Ja. Die verdienen ein zigfaches von dem, was wir bekommen. Fairness ist das nicht.

Ist die Beteuerung seitens der Funktionäre, dass die Erfolge von Behindertensportlern genauso hoch einzuschätzen sind wie bei nicht eingeschränkter Athleten, also nur Gerede?

Man sieht einfach, dass es in der Praxis sehr lange dauert, bis die Barrieren in den Köpfen fallen. Man hört immer Gedanke der Gleichberechtigung und bla. Und Würdigung der Menschenrechte und hin und her. Schön, aber wenn es dann in die Praxis umgesetzt werden soll, ist das schon immer schwieriger. Das hat sich alles nicht so verbessert.

Eine Umfrage des Marktforschungsinstituts ergab, dass sich 58 Prozent mehr Berichte im Fernsehen über Behindertensport wünschen.

An der Bevölkerung liegt das ja nicht. Und auch nicht an den olympischen Sportlern. Wenn ich mit denen spreche, sind die immer ganz erstaunt, wenn die hören, dass das bei uns ganz anders ist. Was Prämien angeht, dass wir auch keine professionellen Festanstellungen bei Bundeswehr, Zoll oder Bundespolizei haben. Ich gönne es den Olympiasiegern von ganzen Herzen, wenn sie durch ihr Gold profitieren, da ist kein Neid da. Nur eben die Fragen, warum wir so viel weniger bekommen.

Was muss noch besser werden?

Viele Menschen sind einfach noch unsicher, was sie mit uns machen sollen. Wie uns ansprechen. Sie sehen ja, dass ich blind bin, wenn ich mit dem weißen Stock durch die Stadt gehe. Sie meinen es schon gut, aber wenn sie einen dann gleich anfassen, ist das auch nicht so toll. Wir sind kein Sozialfall, nur weil wir ein Handicap haben. Da kann der Sport schon mithelfen, noch Aufklärung zu betreiben.

Interview: Florian Kinast

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