Intermezzo im Eiskanal: Sprinterin Burghardt hofft auf Gold im Zweierbob

Peking - Zehnkämpfer Guido Kratschmer hat es getan, US-Sprinter Tyson Gay ebenso, und in Peking werden es auch die US-Girls Lolo Jones und Kaysha tun: einen Bob anschieben. Obwohl sie sonst eher in kurzen Hosen unterwegs sind und der Abteilung Leichtathletik angehören.
Auf den Spuren von Kevin Kuske
Dass Sommersportler auch mal bei Winter-Olympia starten, ist nicht neu: Sprinter Kevin Kuske wurde mit vier Olympiasiegen sogar der weltweit erfolgreichste Bob-Anschieber, Leichtathletik-Bundestrainer Ronald Stein ist im Bob einst Junioren-Weltmeister geworden. Was sie alle nicht geschafft haben: innerhalb eines halben Jahres sowohl bei Sommer- als auch bei Winterspielen anzutreten - und das nicht als Exot, sondern sogar mit guten Medaillenchancen. Damit zu Alexandra Burghardt.
Alexandra Burghardt: Verletzungen werfen sie immer wieder zurück
Die 27-Jährige war Halbfinalistin über 100 Meter in Tokio und wird am Freitag Anschieberin des Zweierbobs in Peking sein. Geboren ist sie in Mühldorf, aufgewachsen in Töging, mit fünf in den Tennisclub, bei den Bundesjugendspielen schneller als die Jungs, mit neun zum SV Teising, zur Leichtathletik, Mehrkampf.
Sie wächst schnell, was zu Verletzungen führt: Weil das Knie schmerzt, lässt sie den Weitsprung aus, wegen Fuß- und Hüft-Problemen später die Hürden - und konzentriert sich aufs Sprinten. Mit Erfolg: Staffel-Gold und -Silber bei der U20-EM und -WM 2011 und 2012.

Im Jahr darauf der nächste Rückschlag: Ermüdungsbruch. Sie wechselt nach Mannheim, zur damals besten deutschen Sprinterin Verena Sailer, wird vier Mal deutsche Staffelmeisterin, steigert ihre Bestzeit auf 11,32 Sekunden, holt Silber bei der U23-EM und Gold mit der Staffel, mit der sie auch WM-Fünfte wird. Bei Olympia in Rio und der WM in London ist sie dabei, bleibt aber ohne Einsatz.
Alexandra Burghardt: "Ich konnte nie zeigen, was in mir steckt"
Danach: Stagnation, Zweifel, Unzufriedenheit. 2018 kehrt sie zurück nach Bayern. Was bleibt, sind die gesundheitlichen Probleme, die sie bald den Kaderstatus kosten. Der Tiefpunkt. Und die Wende.
Jahrelang hatte sich die 1,82 Meter lange und 72 Kilo schwere Athletin von Wettkampf zu Wettkampf gehangelt - ohne Rücksicht auf den Körper. Der reagierte oft beleidigt und streikte. "Ich konnte nie zeigen, was in mir steckt", sagt sie. Es brauchte eine Pandemie, dass Burghardt 2020 endlich die Stopp-Taste drückt: sechs Monate Wettkampfpause, Körper und Geist von Grund auf neu zusammen bauen - bei CrossFit Altötting.
Der Bob-Job war Alexandra Burghardt schon mehrfach angeboten worden
Dort haben sie einen guten Job gemacht: Seit April 2021 ist Burghardt beschwerdefrei, fliegt von Bestzeit zu Bestzeit (von 11,32 auf 11,01 Sekunden) und war am Ende der Saison in 15 von 16 Rennen schneller als die Bestleistung, mit der sie in die Saison gegangen war.
Erstmals im Bob: Der Sprung ins kalte Wasser endet auf Platz vier
Trainiert wird sie von Patrick Saile. Einem Ex-Sprinter, der seit 2018 im bayerischen Leichtathletikverband war, als Nationaltrainer in die Schweiz wechselte - und auch für den Bobsport-Verband München arbeitete. Der Bob-Job war ihr schon mehrfach angeboten worden, doch sie hatte stets das Gefühl: Die Zeit ist noch nicht reif.
Als nach Tokio der nächste Anruf kam und sie die Pilotin, die Bob-Olympiasiegerin und Ex-Diskus- und Hammerwerferin Mariama Jamanka getroffen hatte, sagte sie zu.
Dann geht es schnell: im September Anschub-Test in Oberhof, im November erste Trainingsfahrten. "Das war aufregend. Ich wusste gar nicht, was auf mich zu kommt. Mariana meinte, ich soll mir auf Youtube ein paar Videos anschauen, damit ich ungefähr weiß, wie es ausschaut." Nach drei Trainingssausen der erste Weltcup, Ende November in Innsbruck. "Alle sagten, dass es da so schwierig ist zu bremsen - das hat es nicht einfacher gemacht", erzählt sie, "war ne wilde Fahrt für mich, aber wir haben rechtzeitig gebremst." Der Sprung ins kalte Wasser endet auf Platz vier.
Bundestrainer Rene Spies: "Sie bringt exzellente Voraussetzungen mit"
"Ich habe schnell gemerkt, was besser werden muss, damit das überhaupt funktionieren kann", sagt Burghardt. Mitte Dezember ist das Neu-Duo schon mehr zur Einheit geworden: Platz zwei in Winterberg bedeutet die Qualifikation für Peking - und fertig ist die Doppel-Olympionikin!
Doch wie gut kann eine Novizin den 170 Kilo schweren Bob auf der 40 Meter langen Startrampe beschleunigen? Bundestrainer Rene Spies sagt: "Sie bringt exzellente Voraussetzungen mit. Wer bei Olympia im Halbfinale über 100 m steht: Da brauchen wir nicht zu diskutieren." Burghardt verfüge über "exzellente Hebelverhältnisse, die für unsere Sportart herausragend wichtig sind".
Alexandra Burghardt: "Ich musste lernen, die Kraft aufs Gerät zu übertragen"
Die Qualifikation habe sie sich aber nicht über den Sprint verdient, sondern die Anschubleistung: "Die war am Anfang noch mit technischen Mängeln behaftet, aber sie hat gezeigt, was für ein Potenzial sie hat. Jetzt hat sie an der Technik gearbeitet und ein paar Entwicklungsschritte übersprungen."
Burghardt sagt zum Wechsel von Tartan auf Eis: "Es ist in allen Bereichen ähnlich, nur dass ich ein Gerät schiebe statt frei zu laufen. In den ersten Versuchen war es weniger ein Schieben als ein Mit-dem-Schlitten-mit-Laufen. Ich musste lernen, die Kraft aufs Gerät zu übertragen. Klappt immer besser." Auch wenn das Duo Anfang Januar beim Weltcup in Winterberg einen Slapstick-Start hinlegt und gegen die Bande rumpelt.
Ausgemacht ist ihr Ausflug in den Eiskanal als Intermezzo - aber wer weiß?
Zwei Punkte waren für die Entscheidung pro Bob maßgeblich: Dass sie das reguläre Leichtathletik-Training fortführen kann und dass die Saisonhöhepunkte in beiden Sportarten im Februar liegen. Denn wenn die Bobfahrerin Burghardt aus China zurückkommt, verwandelt sie sich in die Sprinterin Burghardt zurück, die ein paar Tage später womöglich bei der deutschen Hallenmeisterschaft in Leipzig die 60 Meter sprintet, bevor im Sommer die Heim-EM in München und die WM in Eugene anstehen.
Ausgemacht ist ihr Ausflug in den Eiskanal als Intermezzo. Die Koordination sei nicht immer stressfrei, gibt sie zu: "Beides auf Dauer auf Top-Niveau: Kann man nicht machen. Da würde der Körper irgendwann sagen: Hier zwickt's. Aber für die drei, vier Monate funktioniert das sehr gut."
Ob es ihr einziger Ausflug ins Eis bleibt? Sie sagt: "Vorerst ja." Kurze Pause. "Aber man soll nie nie sagen."