Im Angesicht der roten Maschine

St. Petersburg - Sbornaja – ein Wort, das für Eishockey-Fans jahrzehntelang einen fast mystischen Klang hatte. Die Auswahl der Sowjetunion (und später Russlands) stand stets für unglaubliche Technik, ein blindes Spielverständnis, es war Eishockey vom anderen Stern. Die Sowjetstars schienen zwar nicht über Wasser gehen, aber zumindest über Eis schweben zu können. 22 WM-Titel, acht Siege bei Olympia die schier unglaubliche Bilanz der Sowjetunion, die Russen packten noch mal fünf WM-Titel drauf. Doch ein bisschen ist der Lack ab bei der „roten Maschine“, wie die Mannschaft aufgrund der blutroten Trikots auch genannt wird.
Deswegen ist das Team um Alleskönner Alexander Owetschkin nun bei dieser WM im eigenen Land zum Siegen verdammt. Staatschef Wladimir Putin, der es sich nicht nehmen lässt, bei Promispielen selber in die Eishockeykluft zu schlüpfen und dabei – aufgrund des Nichteingreifens aller Gegenspieler – regelmäßig Torrekorde aufstellt, hat unmissverständlich klar gemacht, dass bei dieser WM nur eines zählt: Gold! Noch einmal so eine Schmach, eine Demütigung wie bei den Olympischen Spielen 2014 in Sotschi, als die mit Superstars gespickte Truppe im Viertelfinale aus dem Turnier geschossen wurde, darf es nicht geben. Nicht in Putins Reich! „Wir dürfen nicht versagen“, fordert Sportminister Witali Mutko unumwunden. Nach den zahlreichen Doping-Vorwürfen in der jüngsten Vergangenheit, die auch die komplette russische Eishockey-Nationalmannschaft der Frauen bei den Spielen in Sotschi betreffen, hofft der in Verruf gekommene russische Sport, mit Erfolg auf dem Eis von den Negativschlagzeilen abzulenken. „Ich bin mir sicher“, sagt Mutko, „dass die Mannschaft uns erfreuen und viele positive Emotionen schenken wird.“
Jetzt stellt sich der roten Maschine das deutsche Team am Donnerstag (19.15 Uhr, Sport1) im Viertelfinale entgegen. Die Mannschaft von Neu-Bundestrainer Marco Sturm hat zwar – genau wie Russland – einen Fehlstart ins Turnier hingelegt, sich dann aber gewaltig gesteigert. „Die haben teilweise hervorragend gespielt“, sagt Deutschlands Rekordnationaltorwart Peppi Heiß der AZ, „die Deutschen können befreit aufspielen, sie haben nichts zu verlieren. Wenn sie clever agieren, haben sie vielleicht eine kleine Chance, die Sensation zu schaffen. Die Russen müssen mit dem Druck erst fertig werden, vielleicht unterschätzen sie uns.“
Überheblichkeit ist der russischen Volksseele in Sachen Eishockey alles andere als fremd. Es wurde bereits von einem Glückslos gesprochen. „Ich kann nichts über die Deutschen sagen“, erklärte Stürmerstar Artemi Panarin nach dem 4:1 zum Vorrundenabschluss gegen Turniermitfavorit Schweden. Gegen die Sbornaja sind die Deutschen, die erstmals seit 2011 im Viertelfinale stehen, klarer Außenseiter. Bundestrainer Sturm muss außerdem auf die verletzten Tobias Rieder, Torsten Ankert, Gerrit Fauser und Felix Schütz verzichten. „Gegen Russland in Russland zu spielen“, sagt Kapitän Marcel Goc, „etwas Schöneres kann es für einen Eishockeyspieler nicht geben.“
Das lässt sich nur noch toppen, indem man die Russen in Russland aus dem Turnier kegelt. . .