"Ihr könnt nach Hause fahren" oder "Evinize Dönebilirsiniz!"

Integration? Harmonisches Miteinander? Am Mittwoch um 20.45 Uhr trifft Deutschland im Halbfinale der EM auf die Türkei – und man spielt, Entschuldigung, gegeneinander. Was Fußballer und Trainer sagen, die beide Länder aus eigener Erfahrung kennen - eine AZ-Umfrage.
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Deutsche und türkische Fahnen in Berlin vor dem Spiel mit ganz besonderer Brisanz
dpa Deutsche und türkische Fahnen in Berlin vor dem Spiel mit ganz besonderer Brisanz

Integration? Harmonisches Miteinander? Am Mittwoch um 20.45 Uhr trifft Deutschland im Halbfinale der EM auf die Türkei – und man spielt, Entschuldigung, gegeneinander. Was Fußballer und Trainer sagen, die beide Länder aus eigener Erfahrung kennen - eine AZ-Umfrage.

Völkerverständigung ist wichtig, Integration auch. Doch Mittwochabend wird Fußball gespielt. Es geht ums Weiterkommen. Es geht ums Prestige. Es geht um den Einzug ins Finale. Und bei allen Sympathien und trotz der gut 1,7 Millionen in Deutschland lebenden Türken, Fußball spielt man eben auch gegeneinander! Wie sich das in einem EM-Halbfinale gehört.

Deutschland gegen die Türkei, das birgt nicht nur aufgrund der gesellschaftlichen Verflechtungen beider Länder Spannung – sondern auch sportlich ist es ein besonderes Spiel: einer der Topfavoriten trifft auf den krassen Außenseiter (20.45 Uhr, ZDF live).

Bis zu 100 000 Anhänger beider Teams werden in Basel erwartet. Dass es vor und nach dem wichtigen Match friedlich zugehen möge, das wünschen sich alle – die Nationaltrainer Joachim Löw und Fatih Terim, die Politiker beider Länder sowieso. Viele Fußballer und Trainer, die beide Welten kennen, die in der Türkei aktiv waren oder sind – oder andersherum – hat die AZ zur brisanten Partie befragt.

Das Ergebnis der großen Umfrage? Auf dem Feld ist Kampf – mit fairen Mitteln – erwünscht. Und auch die Fans sollen selbstverständlich zu Rivalen werden – für 90 oder 120 Minuten und natürlich nur mit Worten.

Was Fußballer und Trainer zu dem Spiel sagen, die die Türkei und Deutschland aus eigener Erfahrung kennen:

"Deutschland - klar"

Hans-Peter Briegel (52), früher 1. FC Kaiserslautern, Trainer bei Besiktas Istanbul (1999-2000), Trabzonspor (2001) und Ankaragücü (2007) : „Ich bin für Deutschland, klar. Ich kann mich ja dunkel erinnern, dass ich auch mal für Deutschland gespielt habe. Es wird ein sehr schwieriges Spiel werden. Im Halbfinale einer EM unterschätzt man keinen Gegner. Mit vier aus dem türkischen Kader habe ich als Trainer zusammen gearbeitet. Mit Nihat, der damals 20 war. Mit Mehmet Aurelio, mit Emre Güngör und mit Gökdeniz Karadeniz."

"Ein knapper Sieg für uns"

Erdal Keser (47), gebürtiger Türke mit deutschem Pass, war Spieler bei Borussia Dortmund, später Spieler und Co-Trainer bei Galatasaray: „Natürlich werde ich meine Wurzeln bei diesem Duell nicht verleugnen. Ich hoffe, dass die Türkei knapp gewinnt. Ansonsten werden sich Türken und Deutsche schon vertragen, das klappt 364 Tage im Jahr. In meiner Dortmunder Zeit Anfang der Achtziger gab es noch richtig Ausländerhass. Türken raus, haben sie gebrüllt. Nicht einzelne Bekloppte, die ganze Tribüne! Gut, dass es sowas heute nicht mehr gibt.“

"Das Finale ist Pflicht"

Karlheinz Feldkamp (74), früher Trainer bei Bayer Uerdingen, 1. FC Kaiserslautern, sowie bei Besiktas (1998-99) und Galatasaray Istanbul (1992-93/2007-08): „In meiner Brust schlagen zwei Herzen. Bis März war ich noch Trainer bei Galatasaray, sechs meiner Spieler stehen im EM-Aufgebot. Vom Auftreten der Türken bin ich begeistert. Mit einem Tipp halte ich mich aber zurück. Die deutsche Mannschaft hat die Verpflichtung, ins Finale vorzustoßen, zumal die Türkei mehrere Stammspieler ersetzen muss.“

"Ohne Angst bis ins Finale"

Hamit Altintop (25), früher Schalke 04, heute FC Bayern, türkischer Nationalspieler, geboren in Gelsenkirchen: „Wir haben absolut keine Angst vor Deutschland. Ich glaube, dass wir spielerisch sogar ein bisschen besser sind als sie. Natürlich sind wir ziemlich müde, die letzten Spiele waren kräftezehrend für uns. Aber wir sind alle voller Adrenalin, wir haben ein gutes Herz. Wir wollen diesen Sieg, wir werden mit aller Leidenschaft, Aggressivität und Spielwitz für den Finaleinzug kämpfen. Mit unserer Leidenschaft können wir gewinnen.“

"Ein gefährliches Spiel"

Toni Schumacher (53), früher 1. FC Köln, Schalke 04, spielte 1988-1991 bei Fenerbahce: „Deutschland wird gewinnen. Aber es ist gefährliches Spiel! Meine drei Jahre in der Türkei waren die schönsten in meiner Karriere. Wir sind im ersten Jahr Meister geworden, und in der Türkei bekommt man viel mehr zurück von den Fans. Wenn ich den Raum betreten habe, sind die Leute aufgestanden, haben mir nach Siegen kistenweise Wein geschenkt. Aber es kann auch schnell mal in das andere Extrem umschlagen“.

"Diesmal reicht es nicht"

Maurizio Gaudino (41), früher Waldhof, Stuttgart, Frankfurt, spielte 1999—2002 bei Antalyaspor: „Ich denke, Deutschland kommt weiter – auf jeden Fall. Die Türken haben bislang in jedem Spiel absolut am Limit gespielt und diesmal wird es bestimmt nicht reichen. Ich drücke natürlich Deutschland die Daumen, aber ich habe auch eine gewisse Sympathie für die Türkei. Besonders gerne denke ich übrigens an Antalya zurück: 300 Sonnentage im Jahr! Es gibt ja nichts Schöneres, als mit Sonnenschein aufzuwachen und dann Fußball zu spielen.“

"Extremes Glück"

Erhan Önal (50), war der erste Türke in der Bundesliga, er spielte 1976-77 für den FC Bayern: „Natürlich zittere ich in erster Linie mit der Türkei. Aber es ist irgendwie blöd, als Migrantenkind bin ich genau dazwischen. Spielerisch hätte ich von den Türken viel mehr erwartet, sie haben ja auch extremes Glück gehabt, vor allem in der Gruppenphase. Ich hätte lieber Bastürk und Sükür mitgenommen. Die Zeit bei Bayern war großartig. Als 18-Jähriger mit Beckenbauer, Gerd Müller und Hoeneß zusammenzuspielen, das war sensationell.“

"Es gibt Elfmeterschießen"

Necat Aygün (28), FC Ingolstadt 04, früher bei 1860, Unterhaching, Duisburg, Besiktas (2001), hat türkische Eltern, aber einen deutschen Pass: „Meine Gefühle sind geteilt. Ich tippe auf ein Elfmeterschießen. Für wen kann ich nicht sagen. Der Unterschied zwischen beiden Ländern? Wenn du in Deutschland eine Stunde vor Spielbeginn den Rasen antestest, sind gerade mal 200 Fans im Stadion. In Istanbul herrscht mehr Leidenschaft, da ist die Hütte schon drei Stunden vorm Anpfiff rammelvoll. Da kriegt man echt Respekt vor der Kulisse.“

"Am Limit"

Thomas Berthold (43), früher Frankfurt, Stuttgart, Bayern, Weltmeister 1990, spielte bei Adanaspor (2001): „Die Türken können nach Hause fahren! Deutschland wird gewinnen. Die Türken spielen die ganze EM schon am Limit, die werden nicht noch einmal in der Lage sein, eine Partie zu drehen. Und die personellen Optionen sind begrenzt. Außerdem: Welche Rolle spielen die Türken denn im europäischen Fußball? Keine. Die Vereine nicht, und die Nationalmannschaft war nur einmal WMDritter, 2002. Aber gegen Südkorea.“

"Konditionell stärker"

Stefan Kuntz (45), früher VfL Bochum, 1. FC Kaiserslautern, Europameister 1996, Spieler bei Besiktas Istanbul (1995-96): „Natürlich halte ich zu Deutschland, ist doch klar!Wir gewinnen, denn wir sind konditionell stärker. Ich warne aber vor den Türken, sie haben dreimal einen Rückstand umgebogen. Mein Türkei-Erlebnis: Als ich nach dem ersten Training in die Dusche kam, natürlich nackt, trugen etliche gläubige Spieler Unterwäsche. Ich dachte, ich hätte etwas falsch gemacht. Aber der Kapitän sagte mir, ich soll mich frei bewegen.“

"Fatih Terim mein Freund"

Rüdiger Abramczik (52) spielte bei Galatasaray (1984-85) und war Trainer bei Antalyaspor (1999-2000): „Ich habe noch mit Fatih Terim zusammengespielt, heute sind wir befreundet. Der Trainer ist sehr aggressiv, aber privat ein Supertyp. Trotzdem fiebere ich mit Deutschland. Wir gewinnen 2:0. Das extremste Erlebnis: Wir haben mal in Bursa 0:0 gespielt. Den Galatasaray-Fans war das zu wenig, sie stoppten unseren Bus auf der Autobahn. Jupp Derwall wollte die Fans beruhigen. Als ein Stein in die Scheibe flog, sind wir schnell abgehauen.“

"Trainer mit Papa-Funktion"

Zafer Yelen (21), Hansa Rostock, in Berlin geborener Deutsch-Türke, spielt für die U 21 der Türkei: „Ich werde das Spiel wohl als Co-Moderator auf der Fanmeile am Brandenburger Tor in Berlin verfolgen. Ich bin natürlich für die Türkei, obwohl die Truppe bisher nicht so überzeugend war. Das Match wird bestimmt sehr spannend. Trainer Fatih Terim ist ein ganz besonderer Fall. Der hat die Papa-Funktion, mit dem würde ich mich nicht anlegen. Er ist wirklich sehr direkt, aber das finde ich schon ganz okay.“

"Verbessert und lernwillig"

Siegfried Held (65), Spieler bei Borussia Dortmund, Kickers Offenbach, Vizeweltmeister 1966, Trainer bei Galatasaray (1989-90). „Ich gehe davon aus, dass wir 2:0 gewinnen. Wenn aber Altintop & Co. gewinnen, ist ganz Deutschland in türkischer Hand. Die Türken haben sich verbessert, sie sind sehr lernwillig. Das war schon immer so. Genauso wie die Begeisterung. Dies ist einmalig. Einmal war ich in Antalya in Urlaub. Da hat mich jemand erkannt und sofort kamen 60 Galatasaray-Fans angerannt. Wir haben ein Erinnerungs-Foto gemacht.“

"2:0 für Deutschland"

Horst Hrubesch (57), früher Hamburger SV, Europameister 1980, 1997 Trainer bei Samsunspor: „Ein EM-Halbfinale ist ja nie leicht. Ich tippe aber auf einen deutschen Sieg – 2:0. Ein besonderes Erlebnis in der Türkei? Meine ganze Zeit dort war ein einziges Erlebnis. Ich habe so viel Herzlichkeit erfahren, eine so große Gastfreundschaft. Ganz toll. Die Atmosphäre in den Stadien war einfach unglaublich. Die Fans feierten schon Stunden vor dem Spiel im Stadion – und was dann bei einem Sieg los war, kann sich hier niemand vorstellen.“

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