„Ihr fehlt mir“

MÜNCHEN - Der Immer-weiter-Macher macht am Dienstag Schluss. Ex-Bayern-Torhüter Oliver Kahn wird in den Ruhestand verabschiedet, wenn der FC Bayern um 20 Uhr in der Allianz Arena die deutsche Nationalmannschaft empfängt. Ob er etwas vermisst?
Der Kapitän ging von Bord. Doch den Zeitungen vor Ort, ob an der französischen Cote d’Azur oder auf Sardinien, war das keine Zeile wert. Oliver Kahn kehrte zurück – ein Landgang. Weil er, der Gnadenlose zu sich selbst, etwas nicht gepackt hatte. Unvorstellbar. Oliver Kahn, 39, musste sich einer höheren Gewalt fügen: Dem Wellengang, dem Rhythmus des Meeres.
Am 17. Mai hatte Kahn sein letztes Pflichtspiel als Bayern-Torhüter bestritten, sich aus der Bundesliga mit einem letzten Double verabschiedet. Danach ging er auf See, schipperte im Mittelmeer umher. Und schon war das erste Ziel für die Zeit nach der Karriere dahin. „Ich hatte mal den Traum, wochenlang nur auf dem Boot zu leben“, erzählte er am Montag, „aber nach ein paar Tagen wird es dir kotzübel und du musst ein paar Tage leiden. Du wirst seekrank oder du ziehst es durch – das habe ich bis heute nicht gepackt.“ Der Kapitän ging an Land.
Dienstag Abend (Vorprogramm ab 19.30 Uhr, Anpfiff 20 Uhr, ZDF live) geht er noch einmal in sein Land, in die Strafräume der Allianz Arena. Kahn, der Immer-Weiter-Macher, macht Schluss mit einem Servus-Kick gegen die deutsche Nationalelf. Ein Festakt.
Loslassen für ein neues Leben
Übel wird ihm nicht werden, womöglich aber einen sentimentalen Anfall erleiden, wie er zugibt. Ein letztes Mal in kurzen Hosen, ein letztes Mal in Handschuhen – danach lässt er los. Leinen los für sein neues Leben. „In drei Monaten fällt so viel von einem ab“, sagt Kahn, „ich habe über nichts mehr zu lamentieren.“ Ein Leben ohne Terminhatz, bei dem man nach mehr als 20 Jahren Leistungssport auch „mal in den Tag hineinleben könne“. Nicht immer. Nächsten Mittwoch hat er seinen ersten Auftritt als ZDF-Experte beim Länderspiel in Finnland, ansonsten besucht er bayerische Schulen mit dem Projekt „Ich-schaffe-es“, hält mal Vorträge oder nimmt an Managerseminaren teil. Wenn er nicht in Asien ist. In China werden Torhüter-Talente in einer Art Casting-Show im TV gesucht. Genug zu tun. Auch in langen Hosen.
Kahn wird heute zum ehrenspielführer des FC Bayern ernannt. Vor dem Anpfiff. Womöglich weil er weiß, dass es unangenehm werden könnte. „Ich habe mich zwar mit Golfen und Jogging fit gehalten“, sagte er und fügte lachend hinzu: „Ich bin selbst gespannt, was ich nach drei Monaten Pause noch drauf habe, verlasse mich da ganz auf meine Erfahrung.“ Geflunkert. Nicht nur. Montag Nachmittag trainierte er ein letztes Mal mit dem ehemaligen Torwartrainer Sepp Maier, seinem Intimus über so viele Jahre. „Ich muss diese 75 Minuten irgendwie überleben.“ Das wird er. Eines aber vermisst er: „Das Mannschaftserlebnis“, wie er sagte. Jürgen Klinsmann zeigte ihm gestern das umgebaute Trainingsgelände, zur Mannschaft sagte Kahn: „Ihr fehlt mir.“
Er uns auch.
P. Strasser