„Ich sehe die Kerzen brennen“
Die blinde Paralympics-Siegerin Verena Bentele freut sich auf Weihnachten und den Lichterschein am Christbaum. Mit nur noch einer Niere will sie in Vancouver weitere Goldmedaillen gewinnen
TETTNANG Dienstag am Abend war Verena Bentele dann doch daheim. Nach einer Odyssee von Oslo nach Oberschwaben, auf Umwegen, dank gesperrter Flughäfen, verschneiter Straßen und verspäteter Züge.
Für die siebenmalige Paralympics-Siegerin war es eine mühsame Heimreise vom Weltcup, und doch ein leichtes, verglichen zu diesem schweren Jahr mit ihrem schlimmen Unfall. Dass sie froh sei, wenn sie jetzt in Ruhe mit der Familie Weihnachten feiern könne, meint sie, und dann ergänzt sie: „Ich Freude mich schon, wenn ich Heiligabend am Baum die Kerzen sehe.“ Sagt eine, die seit ihrer Geburt blind ist.
Sieben Mal hat sie schon Gold geholt bei den Paralympics, im Biathlon und im Langlauf, zum ersten Mal 1998 in Nagano. Beim Blinden-Biathlon schießt sie auf die Scheiben nach Gehör. Mit Infrarotgewehren, die mit umso höheren Signaltönen pfeifen, je mehr die Waffe in die Mitte der Scheibe zielt.
Und natürlich hat sie auch einen sehenden Begleiter, der vorne weg läuft und Richtungskommandos gibt. So war sie auch am 10. Januar unterwegs, bei den Deutschen Meisterschaften in Nesselwang, aber da gab es auf einmal ein Kommunkationsproblem mit dem Begleiter. Und das in einer steilen Abfahrt, Bentele stürzte, und sie stürzte sogar sehr schwer.
Sie riss sich im Finger eine Kapsel und im Knie das Kreuzband, viel schlimmer aber war das mit dem Rücken und dem Bauch, da hörten die Schmerzen gar nicht mehr auf.
Erst nach ein paar Tagen ging sie in München in die Klinik, und da sagten ihr die Ärzte, dass die rechte Niere erwischt hatte, da war die Blutzufuhr abgequetscht. Operationen blieben ohne Erfolg, nun arbeitet nur noch die linke.
Wochenlang lag sie daheim bei Mama Monika und Papa Peter im Allgäu, zweifelte an der Zukunft, an der Fortsetzung der Laufbahn. „Aber nach ein paar Monaten war die Lust wieder da“, sagt sie jetzt, „da habe ich mir gedacht, jetzt probierst du es wieder und schaust, wie es funktioniert.“ Offensichtlich funktioniert es ganz gut.
Am Wochenende startete sie in Norwegen mit ihrem neuen Begleiter in den ersten vier Weltcup-Rennen der Saison. In allen vier Rennen gewann Verena Bentele. „So ist es noch schöner, Weihnachten zu feiern“, sagt sie.
Weihnachten hat sie immer gerne gefeiert, natürlich. Das Raclette der Mama, die ganzen Gerüche. Zimt und Nelken von Platzerln und Glühwein und freilich auch Duft vom Christbaum, bei dem es dann auch immer ganz besonders war, wenn die Eltern die Kerzen anzündeten. „Wenn das Zimmer finster ist und die Kerzen brennen“, sagt sie, „dann kann ich im Dunkeln den hellen Schein erkennen. Das ist ein ganz spezieller Moment.“
Und auch wenn sie bei den Behinderten startet, als Behinderte haben die Eltern sie nie gesehen. Es war nie so, dass sie beim Herrichten am Heiligabend tatenlos auf der Couch saß, nein. „Meine Eltern sind da ganz normal damit umgegangen“, sagt sie, „sie haben mir schon als Kind die Krippenfiguren gegeben, damit ich sie mit aufstelle, haben mich beim Baumschmücken mithelfen lassen oder die Christbaumkugeln polieren. Und wenn sie dann richtig geglänzt haben, dann haben sie gesagt: So, jetzt sehen sie schön aus.“ Wie es mit der Sportler-Karriere aussieht, weiß sie auch nicht. Eigentlich wollte sie nach dem Winter Schluss machen, um dann auch an der Münchner LMU ihren Magister in Literturwissenschaft zu machen, wo sie gerade über die akustische Gestaltung von Hörbüchern schreibt.
Aber jetzt, wo es gerade wieder so viel Spaß macht, macht sie wohl doch weiter. Erst einmal sind im März die Paralympics in Vancouver, und vermutlich wird Verena Bentele wieder viele Goldmedaillen mit heimnehmen, und die werden dann wahrscheinlich auch so glänzen wie die Christbaumkugeln.
Und dann werden ihr die Eltern sagen, dass auch die Medaillen sehr schön aussehen.
Florian Kinast