„Ich schau da nicht mehr hin“
Ex-Radprofi und Doping-Kronzeuge Jörg Jaksche zieht eine bittere Tour-Bilanz. Er zweifelt an der Selbstheilung des „kranken, maroden Systems“.
AZ: Herr Jaksche, die Tour im Jahr eins nach den großen Dopingskandalen geht zu Ende. Es gab wieder Dopingfälle, wieder Ärger. Ihr Fazit?
JÖRG JAKSCHE: Ich habe vor der Tour gesagt, das Schlimmste, was uns passieren kann, ist, dass wir es nicht schaffen, unsere Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen. Und ich glaube, die Quintessenz dieser Tour ist, dass wir die Glaubwürdigkeit nicht wieder hergestellt haben. Und auch ein weiterer Beweis ist angetreten. Diese vollmundige Aussage, dass es jetzt eine neue, bessere Generation gibt, hat sich als Märchen entpuppt. Es geht hier nicht um einen Generationenkonflikt, sondern um ein System. Wenn man in diesem System ist, ist es egal, ob du 23 oder 33 bist.
Angeblich wollte man das System ja von innen reinigen. Plötzlich wollte jeder ein Vorreiter im Dopingkampf sein.
Reden Sie doch mal mit Soziologen über das Thema. Die werden Ihnen sagen, dass sich ein krankes System nie reinigen kann, wenn die gleichen Leute weitermachen. Da ist es egal, um welches System es sich handelt. Ob Korruption oder Kriminalität oder Doping. Es wird immer so sein, dass ein marodes, krankes System ausschließlich von außen durchbrochen werden kann.
Bjarne Riis, der zugab, seinen Tour-Sieg 1996 nur gedopt erreicht zu haben, ist weiter Teamdirektor bei CSC. Und dieses Team fährt voran.
Gut, man muss auch sagen, die haben auch die weltbesten Fahrer, da kommen keine Anfänger zusammen. Aber wenn man dann sieht, in welcher Art und Weise die teilweise dominieren, dann können einem nur die Ohren schlackern. Ich finde es sehr schwer, Riis als echten Vertreter des neuen Radsports zu sehen.
Er ist eher ein Teil des Problems als der Lösung?
Ja, so sehe ich es. Und auch solche Auftritte wie von Jens Voigt im Sportstudio...
...der sagte, das mit dem Doping sei vorbei und habe es so extrem auch nie gegeben.
Ja, einen solchen Auftritt, den kann er sich sparen. Jeder weiß, wie die Vergangenheit war, und man sollte sich nicht auf Kosten anderer profilieren. Besonders, wenn man die Vergangenheit nicht offen und ehrlich diskutiert.
Wie haben Sie denn selber die Tour erlebt?
Gar nicht. Ich schau da nicht mehr hin. Das ist eine bewusste Entscheidung. Ich gehe lieber selber auf eine Radtour mit ein paar Freunden, ich habe immer noch Spaß am Radfahren, aber die Tour? Warum sollte ich mir das antun? Was hat sich geändert? Gar nichts! Der Einzige, der draußen ist, der nicht mehr dabei ist, das bin ich. Also, warum sollte ich mir die Tour noch anschauen? Es ist immer noch alles beim Alten.
Werden Sie sich die Tour nochmal wieder anschauen?
Ich weiß es nicht. Vielleicht, wenn ich mal Kinder habe, dann werde ich es ihnen zeigen: Da schaut, da ist der Papa auch mal hochgefahren. Und dann bringe ich sie zum Tennis-Unterricht und nicht zum Radsport. Wenn ich bei Freunden bin und die in die Tour reinschalten, dann Freude ich mich, wenn die Kommentatoren mir etwas von französischem Käse erzählen, damit ich mich kulturell etwas fortbilde. Aber damit hat es sich. Aber eines Tages würde ich nochmal bei einer Etappe sein und den Direktoren zuwinken: Seht her, es geht auch ohne Doping. Man ist vielleicht ein bisschen langsamer, aber es geht. Ihr wolltet mich aus dem Sport raushaben, gabt mir keinen Vertrag mehr, obwohl erwischte Sünder immer unterkommen, nur ich, der Kronzeuge nicht. Aber ich, ich bin immer noch hier. Das ist mein Traum.
Interview: Matthias Kerber
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