„Ich habe den Krebs besiegt“
Schwimm-Weltmeisterin Janine Pietsch erzählt über ihre schwere Erkrankung, über Mitleid, Freunde und ihre Wut auf die Krankenkassen.
AZ: Frau Pietsch, wie fühlt es sich denn an, endlich nicht mehr in Drei-Wochen-Intervallen, nämlich von Chemo-Therapie zu Chemo-Therapie denken zu müssen?
JANINE PIETSCH: Es ist eine Erlösung, ich hatte Mitte April meine letzte Chemotherapie, und es ist ein wunderbares Gefühl, zu wissen, dass man das jetzt hinter sich hat. Klar, ich werde weiter täglich bestrahlt, leide auch an Nebenwirkungen, die sicher noch Monate, vielleicht auch länger, andauern werden. Aber das macht nichts. Ich habe die letzte Chemo relativ gut überstanden. Ich denke, das Wissen, dass das Leiden bald ein Ende hat, hat mir diese letzte Dosis sehr erleichtert. Da hat der Kopf den Körper besiegt. Ich weiß für mich, dass ich den Brustkrebs mit der Operation besiegt habe. Man hat ihn völlig entfernt, er hatte keine Metastasen und auch keine Lymphknoten befallen. Alles, was ich jetzt tue, ist in meinen Augen Vorsorge. Vorsorge, wie sie jeder machen sollte. Ans Schwimmen verschwende ich aber zur Zeit keinen Gedanken. Ich bin ja schon auf dem Ergo außer Atem.
Sie sind es als Sportler ja gewohnt, Schmerzen zu erdulden. Hat das während der Chemotherapie geholfen?
Ich denke, dass Sportler den Schmerz noch intensiver empfinden, weil sie ein anderes Körpergefühl haben. Weil sie zwar auf der einen Seite Schmerzen zur Seite schieben, aber auf der anderen Seite anders in sich reinhören. Bei mir war es so, dass die Schmerzen ein bisschen wie ein Überraschungspaket waren. Bei jeder Anwendung war es etwas anderes, was besonders schlimm schmerzte. Ich wusste nie, wo und wie es auf mich zukommt, nur, dass es brutal unangenehm wird.
Als Leistungssportler war bis jetzt der Körper Ihr Kapital, plötzlich wendet sich dieser Körper gegen Sie, beginnt, Sie von innen aufzufressen.
Ich glaube ans Schicksal, dass die Erkrankung nicht ohne Grund passiert ist. Ich habe meinen Körper jahrelang gequält, ihn über Grenzen getrieben. Ich habe krank trainiert, bin mit Antibiotika ins Wasser gegangen. Ich habe all die Signale, die der Körper sendet, ignoriert. Dann sendete er mir ein Signal, das ich nicht mehr ignorieren konnte. Mein Körper hat eingefordert, was ich ihm freiwillig nicht gegeben habe. Ich denke, dass der Leistungssport dazu beigetragen hat, dass ich Brustkrebs kriegte. Gesund ist das nicht. Das kann man zwar nicht wissenschaftlich belegen, aber ich für mich glaube es.
Sie sprachen das Schicksal an, wie haben Sie diesen und die ganzen anderen Schicksalsschläge verkraftet? Sie hatten davor eine schwere Schilddrüsenerkrankung, bei Ihrer Mutter wurde Gebärmutterhalskrebs diagnostiziert.
Manchmal frage ich mich selber, wie ich das alles wegstecke. Mich persönlich hat die Erkrankung meiner Mutter psychisch mehr mitgenommen als meine eigene. Ich habe während der Erkrankung einen Psychologen, der auf Krebspatienten spezialisiert ist, zu Hilfe gezogen. Wenn wir geredet haben, ging es für mich fast immer nur um meine Mutter, nicht um mich. Es war viel schwerer, sie leiden zu sehen, ihren Schmerz zu erleben. Das hat mir das Herz gebrochen. Mir ist es lieber, selber mit den Schmerzen umzugehen, als einen meiner Lieben leiden zu sehen. Und irgendwo hat mir diese schlimmer Erfahrung auch geholfen. Dadurch, dass ich das bei ihr alles gesehen habe, wusste ich, was auf mich zukommt.
Haben Sie Trost bei Gott gefunden?
Ich habe mit Gott nichts am Hut, sondern glaube an Schicksal. Dem kann man sich ergeben – oder es angehen. Klar habe ich viel geheult, aber ich bin ein Kämpfer, ich habe nie eine Sekunde daran gedacht, aufzugeben. Ich habe meiner Mutter bei ihrer Erkrankung ein Amulett geschenkt. Als ich die Diagnose erhielt, schenkte sie mir das identische. Das gibt uns Kraft, das verbindet uns und das nehmen wir nie ab. Unter keinen Umständen. Ich habe auch das Buch von Lance Armstrong gelesen, das war sehr inspirierend. Leider macht er jetzt mit den ganzen Dopingsachen das alles wieder kaputt.
Viele Krebspatienten sagen, dass der Moment des größten Schocks nicht die Diagnose, sondern der Moment ist, in dem die Haare ausfallen.
Ich bin mir eines Tages durch die Haare gestrichen und hatte dann ein Büschel Haare in der Hand. Da war ich schon eineinhalb Tage deprimiert, aber dann habe ich mir gesagt: Geh’ es an. Also habe ich am 24. Dezember, an Weihnachten, eine Freundin gebeten, mir die Haare abzurasieren. Dann habe ich mir eine Echthaarperücke gekauft, auf damit – und weiter ging es. Ich schminke mich auch mehr als früher. Ich wollte mich einfach nicht in der Opferrolle sehen, deswegen die Perücke und die Schminke.
Sie wirken sehr tough, aber die dunklen Momente, die konnte man sicher nicht immer verdrängen, oder?
Nein, und auch ich habe viel geheult. Das Schlimmste für mich war Mitleid. Das wollte ich gar nicht, man bemitleidet sich eh genug. Härte hat mir mehr geholfen. Etwa von meinen Eltern. Klar waren die auch zum Trösten da, aber eben auch, um mich aus dem Bett zu holen, mich zu einem Spaziergang zu zwingen. Auch die Freunde haben mir sehr geholfen. Ansonsten habe ich mir immer Ziele gesetzt. Ich habe mich nach jeder Chemo belohnt. Etwa Skifahren oder ein Konzert. Das war schon fast zuviel mit dem Belohnen.
Konzerte, etwa der Toten Hosen mit Campino, mit dem Sie gut befreundet sind?
Ja, wir haben uns 2004 über Franzi van Almsick und ihren damaligen Freund Stefan Kretzschmar kennen gelernt. Campino hat ja beide Eltern durch Darmkrebs verloren, er war immer für mich da, hat mich angefeuert. „Du Kampfsau, du packst das.“ Und sein Lied „Steh auf, wenn du am Boden bist“, ist mein Lied. Das war es schon vor meiner Erkrankung. Campino ist ein echter Freund. So wie auch Franzi. Sie hat mir viel geholfen.
Anders als etwa Weltmeisterin Britta Steffen.
Sie hat sich nie gemeldet, aber das ist mir wurscht. Das muss sie wissen. Ich finde, dass es sich gehört hätte, sich zu melden. Aber sie denkt wohl anders. Damit hat es sich.
Sie sind 26, wie sehr ärgert es Sie, dass im Gesundheitswesen immer mehr gespart wird, dass etwa Mammographien erst ab 50 von den Kassen übernommen werden? Sie, Anastacia, Kylie Minogue, Christina Applegate, Sheryl Crow, Melissa Etheridge, Sie alle erkrankten an Brustkrebs, sind aber keine 50.
Diese Altersregelung finde ich zum Kotzen! Bald wird es nur noch tödliche Befunde geben, weil man alles so spät entdeckt. Der Trend geht eh dahin, dass immer mehr junge Frauen an Brustkrebs erkranken. Ich kann nur an die Mädchen appellieren: Tastet euch ab, lasst euch untersuchen! Auch wenn ihr es zahlen müsst, das musste ich auch, aber es kann euer Leben retten. Meines hat es gerettet.
Interview: Matthias Kerber
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