"Ich bin eine gespaltene Persönlichkeit"
AZ: Herr Klitschko, Ihr Trainer Emanuel Steward sagte, der Kampf jetzt gegen David Haye wäre der Fight, der Ihre Karriere definieren würde. Falls Sie ihn gewinnen, wäre Ihr Platz in der Box-Geschichte sicher...
WLADIMIR KLITSCHKO: Entschuldigen Sie, wenn ich hier gleich unterbreche, aber Ihre Wortwahl ist falsch. Es gibt kein „falls“. Ich werde gewinnen, keine Frage.
Also wird es keine Rache des Bruders geben? Schon zwei Mal in Ihren Karrieren rächte der eine Klitschko die Niederlage des Bruders.
Die Rache des Bruders ist jetzt. Ich werde mich dafür rächen, dass Haye sich mit einem Shirt abgebildet hat, auf dem er das abgeschlagene Haupt meines Bruders hochhält. Er hat die Familie beleidigt. Dafür muss er bezahlen.
Klingt nach einer schmerzhaften Lehrstunde.
Ich denke, Haye ist eigentlich gar kein übler Kerl. Aber der Ruhm ist ihm zu Kopf gestiegen und er hat dadurch seinen Verstand verloren. Ich sehe es als meine Aufgabe an, Haye den Kopf gerade zu rücken. Das wird schmerzhaft, aber er wird mir irgendwann dafür dankbar sein. Als Mensch. Denn er hat Grenzen überschritten. Wie würde es seine Mutter mögen, wenn ich solche Shirts von ihm getragen hätte? Ich werde nun aber nicht mehr viel dazu sagen. Ich hoffe nur, dass Haye Manns genug ist, nach der Niederlage zur Pressekonferenz zu erscheinen. Da werde ich ihm einiges zu sagen haben.
Haye hat keine Gelegenheit ausgelassen, Sie schlecht zu machen. Er sagte, Sie seien nur eine Hyäne, die sich an totem Fleisch weiden würde, weil Sie nur gegen Boxer antreten würden, die ihren Zenith überschritten hätten.
Haye redet viel. Zu viel. Aber er redet immer nur, wenn ich weit weg bin. Wenn ich in seiner Nähe bin, ist er sehr handzahm. Er behauptet ja gerne, er hätte mich aus der Ruhe gebracht. Ich denke, dass es eher andersrum ist.
Er sagte auch, Sie wären immer noch der Boxer, der gegen Corrie Sanders nach mehreren Niederschlägen am Boden gekrochen ist.
Ich bin der gleiche Mann und doch ein ganz anderer. Nach meinen Niederlagen starb alles Weiche in mir. Ich schmecke immer noch den bitteren Geschmack dieser Pleiten. Man hat mich als gebrochenen Mann bezeichnet und vieles mehr. Haye plappert jetzt die ganze Zeit. Ich halte es da mit Muhammad Ali, der nach seinem Sensationssieg gegen Sonny Liston seinen Kritikern zurief: „Eat your words!“ Esst jetzt eure Worte, gesteht ein, dass ihr Unrecht hattet. So wird es auch jetzt sein.
Wenn Sie nicht boxen, sind Sie ein charmanter, netter Kerl, im Ring knocken Sie die Gegner aus. Können Sie diesen Widerspruch erklären?
Ich bin eine gespaltene Persönlichkeit. Wladimir im Ring und Wladimir außerhalb haben gar nicht so viel gemein. Nach einem Kampf brauche ich etwa zwei Wochen, um wieder ich selbst zu werden, wieder der Mensch und nicht der Kämpfer zu sein. Es gibt Leute, die als Kämpfer zur Welt kamen. Mein Bruder Vitali etwa hat das Kämpfen in seinem Blut. Ich musste es lernen, ich musste erst die Talente in mir finden, die mich zu einem guten Boxer machten. Das habe ich getan.
Also guter Wladimir, böser Wladimir?
Ich bin mir bewusst, dass die Talente, die mich im Ring zu etwas Besonderem machen, im normalen Leben nicht akzeptabel sind. Im Ring kenne ich keine Gnade. Wenn ich die gleichen Mittel außerhalb des Rings einsetzen würde, würde ich vor Gericht landen. Wegen Angriffs mit einer tödlichen Waffe. Meine Hände könnten Nichtboxer töten. Deswegen habe ich auch privat nie eine Schlägerei gehabt. Bis auf einmal, als kleiner Junge, da ging es um ein Mädchen, aber das war etwas anderes.
Klingt gar nicht so weich, wie Haye Sie gerne darstellt.
Ich erzähle Ihnen mal eine Geschichte. Ich wollte Arzt werden, aber dann bin ich auf eine Sportuniversität geschickt worden. Was dort, in der damaligen Sowjetunion, abging, war teilweise unmenschlich. Man setzte darauf, uns zu brechen. Das war so brutal, dass wirklich viele daran kaputt gegangen sind. Aber ich habe diese Schule überlebt. Ich will das nicht gutheißen, es ist der falsche Weg, aber viele, die damit kokettieren, mit dem Gesetz der Straße groß geworden zu sein, haben dieses System des Charakter-Brechens nie erlebt. Wer das überstanden hat, hat in sich eine besondere Härte gefunden, die sich aber nicht unbedingt, in einem Auftreten widerspiegelt, bei dem man sich wie ein harter Hund verkauft. Nicht das Äußere entscheidet, wie hart du bist, sondern, was du in dir hast.