Holczer: „Ich glaube nichts mehr“

Er galt mal als Anti-Doping-Kämpfer – bis seine eigenen Fahrer überführt wurden. Hier spricht der frühere Gerolsteiner-Chef Holczer über die Tour, bittere Erkenntnisse und ewige Zweifel.
Abendzeitung |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Ab Samstag strampeln sie wieder durch Frankreich: Doch bei der Tour de France fährt auch heuer wieder der böse Verdacht mit.
Roth/Augenklick Ab Samstag strampeln sie wieder durch Frankreich: Doch bei der Tour de France fährt auch heuer wieder der böse Verdacht mit.

Er galt mal als Anti-Doping-Kämpfer – bis seine eigenen Fahrer überführt wurden. Hier spricht der frühere Gerolsteiner-Chef Holczer über die Tour, bittere Erkenntnisse und ewige Zweifel.

AZ: Herr Holczer, die letzten sechs Jahre waren Sie im Juli immer in Frankreich unterwegs. Was machen Sie heuer die nächsten drei Wochen?

HANS-MICHAEL HOLCZER: Sie werden es nicht glauben: Ich fahre zur Tour de France. Beim Start am Samstag bin ich da und dann auch noch hin und wieder an einzelnen Tagen bei VIP-Einladungen.

Als Fan?

Nein. Die Emotionen sind längst geschwunden. Ich bin zwar sehr gespannt, wie ich das Ganze empfinden werde, wieder dort zu sein. Einige werden sicher weggucken, wenn sie mich sehen, andere werden mir um den Hals fallen. Aber gefühlsmäßig bin ich da nicht mehr drin. Seit 2006 hat sich mein Bezug sukzessive versachlicht, endgültig dann in den letzten neun Monaten.

Durch die enthüllten Dopingfälle Kohl und Schumacher, zwei der Stars in ihrem Team Gerolsteiner?

Kohl und Schumacher habe ich ja noch einigermaßen verdaut. Nur als dann bei den Nachkontrollen der Sommerspiele von Peking auch noch Davide Rebellin positiv getestet wurde, bin ich vom Glauben abgefallen. Das war der Fahrer, der wie kein anderer für diesen Sport gelebt hat. Dass der auch zu Mitteln wie Cera greifen musste, war ziemlich ernüchternd. Seitdem glaube ich an nichts mehr im Sport.

Ex-Profi Jörg Jaksche hat gesagt, auch der Tour-Sieger 2009 werde gedopt sein.

Das ist mir zu populistisch. Ich sage nur, dass ich bei großen Erfolgen, egal von wem, immer skeptisch sein werde. Ich glaube nichts mehr. Punkt.

Waren Sie bei Rebellin nicht viel zu lange gutgläubig? Der war doch schon seit 2001 stark unter Verdacht, als er noch für Liquigas fuhr, wo der berüchtigte Teamarzt Dr. Enrico Lazzaro am Werk war.

Das Problem war ja, wir sind nicht an Beweise rangekommen. Dann hätte ich anders reagiert. Aber die Indizien haben nicht annähernd gereicht, ihn aus dem Vertrag zu bekommen. Juristisch hatten wir keine Chance. Und bei uns hat er sich ja dann immer einwandfrei benommen. Es gab in den dann folgenden sieben Jahren keinerlei Auffälligkeiten, die Anlass zu einem Verdacht gegeben hätten, dass da ein Trickser am Werk war. Zu sehen, dass es doch anders war, war ernüchternd. Heute würden mich seine Erfolge stutzig machen – ein grausamer Rückschluss. Mittlerweile bin ich der Überzeugung, dass wir uns von der Vorstellung verabschieden müssen eine bedenkenlos glaubwürdige, auch nur annähernd dopingfreie Szene im Sport hinzubekommen.

Fühlen Sie sich betrogen, durch Kohl, Schumacher, Rebellin?

Ja. Natürlich wusste ich, wo ich bin, was das für eine Szene ist. Dass der Radsport von Doping unterwandert ist. Ich bin offen damit umgegangen, klar war mir aber nicht, dass ich es nicht nur mit Gaunern und Spitzbuben zu tun hatte, sondern eben auch mit Leuten mit hoher krimineller Energie. Leute, die zwar die Mittel nicht im Koffer mit dabei haben, weil das bei einer Razzia im Hotel zu riskant wäre, die sich das Blut zur Infusion aber extra bringen lassen, das war schon eine bittere Erkenntnis.

Für viele waren Sie zu naiv und wollten vielleicht auch nicht alles wissen. Patrik Sinkewitz unterstellte Ihnen Betriebsblindheit, Altstar Didi Thurau meinte, das könne nicht sein, dass der Holczer vom Doping gar nichts mitbekommen habe. Hätten Sie nicht genauer hinschauen müssen?

Gegenfrage: Was hätte ich denn noch kontrollieren sollen? Selbst interne Kontrollsysteme sind wirkungslos. Was passiert, wenn ich einen Fahrer nur wegen Indizien rausnehme? Dann bekomme ich doch gleich einen Brief von seinem Anwalt. Das Problem ist, dass diese Leute, die im Radsport so verhaftet sind, gar nicht mehr den Horizont haben, sich vorzustellen, dass man es versucht hat, anders zu machen. Und zwar nicht doof, sondern intelligent. Bei Gerolsteiner hatten wir ja eine ganz große Masse an Fahrern, die ihren Job so gemacht haben, wie wir uns das vorgestellt haben. Dass sie alle nicht erfolgreich waren, ist eine andere Geschichte. Die Leute, die Sie nannten, das sind private Rachefeldzüge. Die hatten alle nachweislich den Wunsch bei Gerolsteiner dabei zu sein. Ich finde das ganz nett. Da können Sie auch gerne noch den Herrn Jaksche dazunehmen, bitteschön. Aber ich gehöre nicht zu denen die das in der Öffentlichkeit austragen.

Öffentlich sind aber die Klagen gegen Ihre Ex-Fahrer.

Die laufen, das ist richtig. Stefan Schumacher habe ich verklagt auf Rückzahlung des Gehalts ab Juli 2008. Er hat gegen seine Kündigung geklagt, wir haben die Gegenklage eingereicht. Das ist schon ganz anständig, um was wir uns da streiten. Bei Rebellin kenne ich noch kein Ergebnis der B-Probe. Gegen Bernhard Kohl habe ich bisher noch nichts unternommen, weil er auspackt und die Hintermänner nennt. Mir geht es nicht ums Geld, mir geht es um die Wahrheit.

Mit der ist es aber nicht weit her im Radsport.

Das ist ja das Schlimme. Selbst wenn sie jetzt bei der Tour keinen erwischen, glaubt dann ernsthaft jemand dass jetzt auf einmal alle sauber sind? Wir müssen uns an die Zweifel nicht nur im Radsport gewöhnen. Wenn wir in die Zukunft schauen, werden wir es wohl nie so in den Griff bekommen, wie die Allgemeinheit sich das wünscht.

Wenn Sie in die Vergangenheit schauen, was würden Sie als Teamchef mit dem heutigen Wissen anders machen, würden Sie noch einmal wie vor elf Jahren bei Gerolsteiner anfangen?

Ich denke, nichts Grundsätzliches. Ich wäre sicher von Anfang an noch misstrauischer. Ich würde wahrscheinlich versuchen noch mehr die Chancenlosigkeit zu betonen, dass man auch im eigenen Team nicht sicher sein kann, dass solche Dinge passieren.

Eine Kapitulation also.

Sicher. Mit dem Anspruch, mit dem ich in die Sache hineingegangen bin, bin ich gescheitert. Nur bin ich auch heute noch davon überzeugt, dass man ohne Manipulation Radprofi werden und die Tour de France durchfahren kann.

Mitfahren schon, aber nicht gewinnen.

Das habe ich auch nicht gesagt.

Können Sie sich vorstellen, wieder ein Team zu leiten?

Im Moment schwer. Da fehlt mir der Zugang. Mit meinem Anspruch geht das nicht. Mein Anspruch ist, dass ich das so sauber hinkriege, dass ich ruhigen Gewissens da stehen kann. Das ruhige Gewissen hatte ich ja. Nur war es im Nachhinein eine Fehleinschätzung. Ich mache derzeit Trainingsprogramme für Hobby-Rennfahrer oder bin kürzlich in Berlin den Velothon mitgefahren, ein Straßenrennen für Jedermann. Ich bin im Radsport, seit ich 15 bin, ein Leben ohne Radsport geht gar nicht mehr. Nur beim Profi-Radsport sieht es aus, als würde ich mir ihn wohl künftig nur noch aus der Ferne anschauen.

Interview: Florian Kinast

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.