Hoeneß, der Schweiger
Die Sitzplätze auf der Bayern-Bank wurden vor der Saison neu verteilt. Neben Bayern-Trainer Jürgen Klinsmann sitzen sein Assistent Martin Vasquez und Manager Uli Hoeneß. Doch der wird kaum in die Diskussionen während des Spiels eingebunden.
MÜNCHEN Für die Spieler ist es ein Graus, für Uli Hoeneß ein Genuss. Ein Platz auf der Bank, ganz nah am Grün, an fliegenden Rasenstücken, nah dran am Atem der Spieler. Und ganz entscheidend ist die Sitzordnung, eine Prestigesache. Da die Bayern seit Saisonbeginn einen neuen Chefcoach haben, wurde neu sortiert. Zunächst, so hatte es den Anschein, war Hoeneß raus. Weil Klinsmann all seine Assistenten auf der Bank platzieren wollte. Es kam anders.
Hoeneß sitzt weiter. Sogar direkt neben Klinsmann, der rechts von ihm seinen Platz hat. Links von Hoeneß Walter Junghans, nun alleiniger Torwarttrainer, mit dem er von 1977 bis Herbst 1978 sogar noch bei Bayern zusammengespielt hatte. Martin Vasquez, Klinsmanns wichtigster Ansprechpartner, sitzt rechts von seinem Chef.
Und Hoeneß weicht Klinsmann kaum von der Seite, wie ein Bodyguard steht er vor Anpfiff an dessen Seite. „Uli ist mein Chef, aber auch mein Ratgeber“, sagte Klinsmann über seinen Banknachbarn, „das sind 30 Jahre Erfahrung neben mir, es wäre ja dumm, darauf zu verzichten.“ Doch die ersten Spiele zeigen: So oft holt Klinsmann nicht den Rat von Hoeneß ein. „Wir sprechen während des Spiels fast gar nichts miteinander“, sagte Hoeneß zur AZ, „ich schaue mir das Spiel an, beantworte höchstens ein paar Fragen und stehe als Ratgeber zur Verfügung – mehr nicht.“ Bei Klinsmann wird Hoeneß zum Schweiger.
Auch in der Halbzeit. Da schlägt die Viertelstunde von Michael Henke, dem Chefanalytiker. Zum Halbzeitpfiff sprintet Henke, der ehemalige Co-Trainer, von der Tribüne runter in die Katakomben, um eine erste Halbzeitanalyse vorzunehmen. Mit kurzen Einspielungen per Video.
Ottmar Hitzfeld, Klinsmanns Vorgänger, hat während der Partien mit Hoeneß diskutiert – das ist passé. Hitzfeld war ruhiger, beobachtete und notierte alles detailliert. Wenn es etwas zu reklamieren gab, schickte er meist seinen Assistenten Michael Henke an die Linie. Klinsmann war auch ruhig – allerdings nur in der Vorbereitung. Wer beim Spiel um den Franz-Beckenbauer-Pokal gegen Inter Mailand (0:1) in der Allianz Arena war, musste glauben, Klinsmann hätte den Termin verpasst. Der Coach war nahezu unsichtbar, zeigte sich kaum an der Linie, saß meist regungslos auf der Bank.
„Gegen Inter war das doch eine ganz andere Situation, ein Freundschaftsspiel – ein Trainer bringt sich doch erst dann richtig ein, wenn es wirklich um etwas geht“, meinte Hoeneß und fragte rhetorisch: „Ja, glauben Sie denn, ein Klasse-Trainer tanzt bei Freundschaftsspielen die Linie rauf und runter?“
Beim 2:2 gegen den HSV tanzte Klinsmann. Er gestikulierte, rief Anweisungen herein, motivierte – mit aufgekrempelten Ärmeln. Und immer auf dem Sprung zwischen der aufgezeichneten Begrenzung der Coaching Zone und der Bank. Klinsmann über Klinsmann: „Wir Trainer wollen das Adrenalin spüren, das hält uns auf Strom – wenn wir schon nicht mehr selber mitspielen können.“
Dass Klinsmann nun Hoeneß vor der Nase herumtanzt, stört den Manager nicht. „Ich finde es sehr positiv, wenn ein Trainer an der Linie mitlebt, die Spieler anfeuert“, sagte Hoeneß der AZ, „Jürgen ist sehr engagiert, das gefällt mir. Der eine macht es so, der andere so.“ Siehe Jürgen Klopp, den gelb-schwarzen Springinsfeld. Am Samstag stehen sie sich direkt gegenüber: Dortmund gegen Bayern ist Klopp gegen Klinsmann. Hoeneß wird’s genießen – und schweigen.
Patrick Strasser