"Höchst kriminell": Anti-Doping-Experte Sörgel im AZ-Interview

AZ: Herr Sörgel, der Mammut-Prozess um die Operation Aderlass und die Machenschaften des Erfurter Doping-Arztes Mark S. beginnt am heutigen Mittwoch in München. Erwarten Sie neue Erkenntnisse?
FRITZ SÖRGEL: Naja, was damals passiert ist, weiß man ja von dem berühmten Video: Die Polizei kommt rein und erwischt diesen Langläufer, dieses Häuflein Mensch, mit der Nadel im Arm. Ich habe da sogar Mitleid empfunden. Was mich deshalb nun viel mehr interessiert, sind die Details und das Drumherum.
Doping-Experte: "Solche Aktionen sind medizinisch nicht ungefährlich"
Zum Beispiel?
Ob die Geschichte stimmt, dass ein von Mark S. betreuter Sportler mit dem aufbereiteten Blut im Körper zu den Olympischen Spielen nach Pyeongchang geflogen ist. Dort wurde es ihm dann, da ja sonst bei den Tests der Blutwert ausschlagen würde, wieder entnommen und dann kurz vor dem Wettbewerb wieder infundiert.
Das klingt ziemlich gruselig.
Das ist höchst kriminell! Ich wundere mich nur, dass man kaum von medizinischen Zwischenfällen hört, solche Aktionen sind ja medizinisch nicht ungefährlich. Aber andererseits: Wer geht schon zur Presse oder Polizei und berichtet, dass beim Dopen etwas schief gegangen ist.
Gibt es eine Doping-Mafia?
Interessant sind ja neben den Namen der Kunden auch die möglicher Hintermänner. Viele Experten vermuten eine Art Doping-Mafia. Sie auch?
Die Sportler sind in diesem Fall eigentlich gar nicht so wichtig, es war ja nicht durchgehend der A-Kader betroffen. Interessant sind aber die Details über das Netzwerk. Wie lief der Transport - die sollen ja alles mit dem Auto gefahren sein, teilweise bis ins Baltikum. Und auch die Rolle des Vaters, der eigentlich Anwalt ist und trotzdem auch Infusionen gegeben haben soll. Auch woher die Mitarbeiter von Mark S. rekrutiert wurden, es waren alles Sanitäter und Arzthelferinnen.
"Da ist nicht ein Prozent ärztliche Ethik noch übrig"
Mark S. droht eine lange Haftstrafe. Glauben Sie, dass dieser Prozess abschreckende Wirkung hat?
Tja, es hat wahrscheinlich eine Wirkung auf die kleinen Fische, aber die Großen, die auch über Leichen gehen, auf die wird der Prozess keine Auswirkung haben. Und ich muss auch mal sagen: Ich verstehe die Motivation von diesem Mark S. überhaupt nicht. Ich habe gehört, dass er mit seinen Doping-Geschäften rund 200.000 Euro im Jahr eingenommen hat. Als normaler Arzt verdient er ja auch einen sechsstelligen Betrag brutto, wie viel und ob er von den Blutdoping-Einnahmen überhaupt versteuert hat, wissen wir nicht. Es müssen also noch andere Gründe dazukommen.
Welche?
Wahrscheinlich gefällt es ihm, Sportler zu betreuen und sie in gewisser Weise auch von sich abhängig zu machen - im wahrsten Sinne des Wortes. Dafür braucht es kriminelle Energie und ein hohes Maß an Skrupellosigkeit. Da ist nicht ein Prozent ärztliche Ethik noch übrig.
Die Tour de France galt stets als besonders dopinganfällig. Viele Fahrer berichten, dass sie während der Hochphase der Corona-Pandemie kaum oder gar nicht kontrolliert wurden. Die Testfrequenz hat erst kurz vor dem Start wieder das Niveau des Vorjahres erreicht. Glauben sie aktuell an eine saubere Tour?
Da kann man nur spekulieren. Aber es liegt doch auf der Hand, dass, wenn gedopt wird, obwohl das Risiko hoch ist, erwischt zu werden, die Leute dann wahrscheinlich nicht plötzlich weniger dopen, wenn das Risiko deutlich geringer ist, erwischt zu werden.
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