„Heute die Streif – da wird dir anders“

Marco Büchel (38), Liechtensteins Ein-Mann-Team, beendet nach der Saison seine Karriere. Den Rummel wird er vermissen, nicht aber den Blick aus dem Starthaus in Kitz. Er kämpft für sicherere Pisten: „Wir sind an einem Punkt, wo es nicht mehr weitergeht.“
von  Abendzeitung
Die gefürchteste Abfahrt der Welt - die Streif: Hier versucht sich der Amerikaner Bode Miller.
Die gefürchteste Abfahrt der Welt - die Streif: Hier versucht sich der Amerikaner Bode Miller. © ap

Marco Büchel (38), Liechtensteins Ein-Mann-Team, beendet nach der Saison seine Karriere. Den Rummel wird er vermissen, nicht aber den Blick aus dem Starthaus in Kitz. Er kämpft für sicherere Pisten: „Wir sind an einem Punkt, wo es nicht mehr weitergeht.“

AZ: Herr Büchel, ein allerletztes Mal Mausefalle und Steilhang, Seidlalm und Hausberg. Empfinden Sie Wehmut bei Ihrem Abschiedsrennen in Kitzbühel, oder Freude, weil Sie den Wahnsinn Steif dann endlich hinter sich haben?

MARCO BÜCHEL: Ach, das Ambiente, das Drumherum, das werde ich sicher vermissen. Dieser Moment, wo du in die Traverse vor dem Zielhang einfährst, und du siehst da unten nur dieses Schwarz. Diese Menschenmassen, zehntausende Fans. Das ist Gänsehaut, einmalig, das hast du nirgendwo sonst auf der Welt. Nur was mir nicht abgehen wird, ist dieses Gefühl oben im Starthaus. Dieses Gefühl nie mehr haben zu müssen, ist eine schöne Aussicht.

Wie ist dieses Gefühl denn?

Eine Mischung aus Heidenrespekt und Angriffslust. Wenn du den Berg nicht richtig attackierst, wirft er dich ab. Es ist dieses emotionale Wechselbad. Das geht schon am Morgen los, wenn du aufwachst. Der erste Moment, wo dir bewusst wird, dass heute die Streif ansteht, da wird dir anders. Ab da bist du fürchterlich nervös.

Sie sind die Streif aber immer heil heruntergekommen.

Verschreien Sie es nicht, aber es stimmt. Ich habe ihre Zähne kennengelernt, aber gebissen hat sie mich nie.

Anders als Kollegen von Ihnen. Die schlimmen Stürze von Scott McCartney und Daniel Albrecht, da gab es viele Fragen, ob die Sicherheit auf der Streif und im Ski-Rennsport nicht schon über dem Limit ist.

Ja, es ist gefährlich. Ja, wir gehen extreme Risiken ein. Und ja, eine Abfahrt muss immer eine Herausforderung bleiben. Aber die Sicherheitsdiskussion muss weitergehen. Die ganzen Beschlüsse von der FIS (Ski-Weltverband, d.Red.), Flaggen an die Tore zu hängen oder da und dort eine Strecke sicherer zu machen, das ist doch nur Kosmetik. Kosmetik, um für den ersten Moment den Wind rauszunehmen, die Leute zu beruhigen.

Was sollte dann wirklich passieren?

Ein harter Schnitt. Und der geht nur über das Material. Die Evolution der Ski wird immer extremer. Und wir werden immer schneller. Wir sind an einem Punkt, wo es nicht mehr weitergehen kann. In Beaver Creek war die Abfahrt in diesem Winter runder gesteckt als im Jahr davor. Und dennoch war ich fünf Stundenkilometer schneller als damals. Das ist doch nicht mehr normal.

Woran liegt das?

Weil dich diese Skier in den Kurven noch mehr beschleunigen, als wenn du nur geradeaus fährst. Die Fliehkräfte werden da immer größer und unberechenbarer und plötzlich liegst du im Fangnetz. Darum, wenn sie wirklich etwas ändern wollen, dann müssen sie beim Material zwei Schritte zurückgehen.

Also weg vom Carving-Ski?

Ja, nur da ist das dann das nächste Problem. Der Ski-Weltcup ist eine Werbung für den Ski-Tourismus. Und der Ski-Tourist will nun einmal carven. Wenn wir uns jetzt wieder unsere alten schnurgeraden Latten anschnallen, dann sind das nicht mehr so schöne Bilder für das Fernsehen, dann sieht das nicht mehr spektakulär aus. Darum denke ich nicht, dass die Ski-Industrie da mitspielen wird.

Das klingt nach Resignation. Ist das auch ein Grund für Ihren Rücktritt?

Mein Kopf ist einfach nicht mehr bereit, diese Risiken einzugehen. Ich habe schon letzten Frühling gespürt, meine Zeit ist abgelaufen. Aber dann hatte ich Angst, ich könnte es noch bereuen, dass ich die Emotion und die Faszination doch zu sehr vermisse. Also habe ich weitergemacht und mir noch ein Ziel gesetzt.

Die Olympischen Spiele, oder?

Falsch, einen Stockerlplatz am Lauberhorn, bei meinem Lieblingsrennen.

Und den haben Sie ja letzten Samstag als Dritter bei der Abfahrt von Wengen tatsächlich geschafft. Herzlichen Glückwunsch.

Danke. Kitzbühel, Vancouver – was jetzt noch kommt ist Schaulaufen. Jetzt kann ich mit einem breiten Grinsen in meinem Gesicht aufhören.

Und was macht Marco Büchel bei der Streif 2011

Da stehe ich dann in dieser schwarzen Menschenmasse. Als Tourist, ich will es genießen, nicht früh ins Bett gehen zu müssen. Und das allerschönste wird sein, wenn ich am nächsten Tag aufwache und nicht mehr an die Streif denke. Dann drehe ich mich um und Freude mich, dass ich nicht mehr hoch muss ins Starthaus.

Interview: Florian Kinast

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