Interview

Heike Drechsler in der AZ über Malaika Mihambo bei Olympia: "Ihr Silber ist so viel wie eine Goldmedaille wert"

Weitsprung-Olympiasiegerin Heike Drechsler freut sich über Mihambos Leistung in Paris. In der AZ spricht sie über den starken Silber-Wettkampf, den Abgang im Rollstuhl und die Lage der Leichtathletik.
Ruben Stark
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Jubel und Erschöpfung:Mihambo springt trotz Corona-Folgen zu Silber.
IMAGO/Eibner Jubel und Erschöpfung:Mihambo springt trotz Corona-Folgen zu Silber.

AZ: Frau Drechsler, wie viel Respekt nötigt Ihnen die Leistung von Malaika Mihambo ab - auch wenn es nicht die zweite olympische Goldmedaille Ihrer Karriere geworden ist?
HEIKE DRECHSLER: Sie hat starke Konkurrenz gehabt, sie hat auch im Wettkampf gekontert. Es ist ein starker, ein toller Wettkampf gewesen und ihr Silber ist so viel wie eine Goldmedaille wert, weil sie so eine Kämpferin ist. Sie war an Corona erkrankt, und wenn das so in die Vorbereitung reinknallt, ist das natürlich nicht so schön. Sie hat in der Qualifikation gezeigt, dass sie genauso wie die Siegerin 7,10 m hätte springen können. Malaika muss überhaupt nicht traurig sein.

Offensichtlich hat es sie enorm angestrengt, den Wettkampf durchzustehen. Sie wurde mit dem Rollstuhl aus dem Stadion gebracht, bekam Atemnot und weinte.
Ich glaube, da war auch viel Enttäuschung dabei. Auch wenn die Enttäuschung eigentlich Quatsch ist, aber sie wollte eben ihr volles Leistungsvermögen ausschöpfen. Sie hat alles gegeben und man springt mit Corona nicht 6,98 m. Wenn man sich schwach fühlt, kann man nicht so eine Leistung abrufen. Aber der olympische Wettkampf ging lang, vielleicht hat sie ein bisschen zu wenig getrunken, da kam alles zusammen. Der Druck auf sie war enorm, dann kamen die Emotionen dazu, man kommt von so einer hohen Welle richtig in die Ermüdung rein, und das muss man dann auch alles erstmal verarbeiten.

Drechslers Rat an Mihambo: "Sie soll jetzt einfach feiern und genießen"

Ein Wettkampf am körperlichen Limit. . .
Diese ganze Fokussierung, diese hohe Erwartungshaltung von außen. Aber nochmal: Sie hat einen starken Wettkampf gemacht, für mich sah das nicht schwach aus. Ich hoffe, ihr geht's gut und das alles wieder in eine gewisse Normalität kommt und sie wieder voller Kraft ist. Sie soll jetzt einfach feiern und genießen, das war so ein starker Wettkampf. Ich hoffe, sie kann das und macht dann noch ein paar andere schöne Wettkämpfe in diesem Jahr. Das wünsche ich ihr von Herzen.

Malaika Mihambo ist eine Meisterin der mentalen Stärke. Hat sie diese Kraft durch den Wettkampf getragen, falls es da unterbewusst ein Handicap gab?
Man trainiert es, dass man wirklich bei sich ist. Wenn der Kopf nicht frei ist, kannst du einfach nicht springen. Die Erfahrung und die mentale Stärke, die sie hat: Wie kriege ich auf den Punkt diesen Fokus und die Energie? Schwächen und Empfindungen, die man hat, kann man, glaube ich, nur zu einem bestimmten Teil ausschließen. Am Ende muss man in der richtigen Form sein, physisch muss alles passen. Sie ist nicht das erste Mal in so einem olympischen Finale gewesen, das sind ihre dritten Spiele und das hilft natürlich auch, um sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Die Krankheit hatte sie abgehakt, für mich war sie voll in dem Tunnel: Anlauf ordentlich gestalten, Brett treffen.

Macht Mihambo weiter bis Olympia 2028? "Das muss Malaika für sich selbst fühlen und entscheiden"

Wenn so ein olympischer Zyklus endet, dann fällt Spannung ab – womöglich war auch das zu sehen. Ist ihr zuzutrauen, sie ist jetzt 30 Jahre alt, dass sie die Kraft aufbaut, um noch mal bis Los Angeles 2028 durchzuziehen?
Ich glaube, so weit wird sie nicht denken. Sie hat ja Spaß und Freude an ihrem Sport und wenn das nicht verloren geht, geht sie es Jahr für Jahr an und schaut, was kommt. Das muss Malaika für sich selbst fühlen und entscheiden. Vielleicht gibt es irgendwann andere Prioritäten im Leben, dass sie sagt: ‚Ich habe jetzt alles erlebt im Sport, jetzt lege ich den Schwerpunkt auf andere Sachen.' Ich würde sie gerne noch vier Jahre sehen, es hat so viel Spaß gemacht, zu sehen, wie sie sich entwickelt, wie stark sie mit den Jahren geworden ist und so stabil. Ich habe sie kennengelernt und sie ist auch eine tolle Persönlichkeit. Sie ist so bodenständig und so bescheiden – manchmal vielleicht sogar zu sehr –, aber wenn sie etwas tut, dann ist sie voll dabei.

Es wäre ja auch ein großes Ziel, mit dem zweiten Weitsprung-Olympiasieg zu Ihnen aufzuschließen.
Naja, das ist ja Quatsch, wenn man so denkt. Malaika lebt in 2024, in diesem Jahrzehnt, sie ist jetzt da, unter den Bedingungen, die sie hat. Man kann das nicht vergleichen und sollte es auch nicht. Malaika schreibt ihre eigene Geschichte – und die ist schon groß, es ist schon Wahnsinn, was sie alles erreicht hat.

Wenn wir den Blick weiten auf die gesamte deutsche Leichtathletik: Nach dem Silber im Zehnkampf von Leo Neugebauer war es die zweite Medaille. Wie sehen Sie den Zustand?
Die Leistungsentwicklung ist nicht schlecht, aber die anderen schlafen nicht. Man hat das im Speerwerfen gesehen. Über 87 Meter sind eine Top-Leistung, aber da kriegst du keine Medaille mehr. Wir müssen uns darauf einstellen, dass andere Länder auch in der Breite gute Techniken haben, gute Trainer und vielleicht den Vorteil, manches zentraler zu gestalten - siehe die Holländer oder die Franzosen. Da müssen wir vielleicht auch umdenken. Was wichtig ist: sich einfach mal auf die Basis zu konzentrieren.

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