Heide Ecker-Rosendahl im AZ-Interview: "Wir können froh sein, dass wir die Malaika haben"

AZ: Frau Ecker-Rosendahl, Sie waren am Donnerstag im Stadion. Haben Sie sehr mitgelitten mit Malaika Mihambo?
HEIDE ECKER-ROSENDAHL: Das habe ich, sehr sogar. Es war ein super Wettkampf von ihr und am Ende so knapp. Sie hat einen großen Kampf geliefert. Sehr schade und sehr verständlich, dass sie erst einmal enttäuscht war. Aber für mich hat sie nicht Gold verloren, sondern Silber gewonnen. Dass sie danach zusammenbrach, habe ich auch erst Freitagfrüh in der Zeitung gelesen. Da sieht man, dass diese zwei Stunden Wettkampf enorm viel Kraft kosteten. Ich bin sicher, dass sie auch von ihrer Ausstrahlung noch einige Jahre eine Galionsfigur des deutschen Sports sein wird. Wir können froh sein, dass wir die Malaika haben.
Mihambo verpasste den Titel um drei Zentimeter, bei Ihnen war es vor 50 Jahren noch knapper. Mit dem Unterschied, dass Sie vorne lagen, um genau einen Zentimeter, bei Ihrem Olympiasieg 1972. Vor einigen Wochen waren Sie mal wieder im Olympiapark, bei einer Einladung für alle deutschen Medaillengewinner von 1972. Wie war's denn beim Klassentreffen?
Wunderschön. Das waren drei Tage, in denen viele Erinnerungen wieder hochkamen. Allein die Anlage wieder zu sehen, das einzigartige Zeltdach, das längst zu einem weltberühmten Münchner Wahrzeichen wurde, und natürlich die vielen Gesichter von damals, das war sehr bewegend.

"Es war sehr schön, Renate Stecher wiederzusehen"
Über welche Begegnung haben Sie sich am meisten gefreut?
Da gab es so viele Athleten, auch aus anderen Sportarten, die mir fremd waren. Die mal näher kennenzulernen, war spannend. Mit Rita Wilden habe ich viel gesprochen, der Olympia-Zweiten über 400 Meter, mit Hildegard Falck, die über 800 Meter gewann, oder auch mit Speerwurf-Olympiasieger Klaus Wolfermann. Und natürlich war es auch sehr schön, Renate Stecher wiederzusehen.
Ihre große Konkurrentin aus der DDR, mit der Sie sich als Schlussläuferin bei der 4x100 Meter-Staffel einen epischen Zweikampf lieferten und am Ende Gold holten. War Ihnen die Brisanz dieses deutsch-deutschen Duells damals bewusst?
Es war mehr das mediale Umfeld, das das Staffelrennen damals auf eine politische Ebene hob. Mit Renate damals Kontakt aufzunehmen, war natürlich sehr schwer. Das hätte sie in Schwierigkeiten gebracht, sie hatte immer drei Aufpasser dabei. Zwischendrin gelang es uns wenigstens auf der Toilette mal, heimlich miteinander zu sprechen. Wir waren vielleicht nicht die engsten Freundinnen, hatten aber gegenseitig hohen Respekt voreinander.
Wie nahmen Sie die anfangs so heiteren Spiele von München denn wahr, die weltoffenen Spiele, die in ihrem Geist, den bunten Farben und der leichten Architektur ein demokratischer Gegenpol zu den Nazi-Spielen von Berlin 1936 sein sollten?
Die Bedeutung, was die Spiele für das Ansehen Deutschlands in der Welt geleistet haben, wie wichtig 1972 auch für die Stadtentwicklung Münchens war, das habe ich sicher erst im Nachhinein so wahrgenommen. Der zunächst so fröhlichen Stimmung konnte ich mich freilich nicht entziehen. Vor Olympia war ich fast noch enttäuscht, dass die Spiele nach München vergeben wurden. Ich hätte sehr gern ein anderes, neues Land gesehen, so irre viel kamen wir damals ja nicht herum um die Welt. Aber je näher das Ereignis dann rückte, umso glücklicher war ich. Das Staffelfinale vor dem Heimpublikum werde ich nie vergessen, wenn 80 000 deinen Namen rufen, da kriege ich heute noch Gänsehaut.
Und dann änderte sich alles mit dem 5. September.
Ich war ja im Olympischen Frauendorf, hatte aber von meinem Zimmer eine gute Sicht auf das Haus in der Conollystraße, in der die Terroristen die Israelis als Geiseln genommen hatten. Gegenüber standen die Scharfschützen im Trainingsanzug, das war ein sehr beklemmendes Gefühl. Die Entwicklungen verfolgten wir dann im Fernseher, am nächsten Tag war die Trauerfeier. Ich fand und finde es noch immer eine richtige Entscheidung, dass die Spiele nicht abgebrochen wurden, sondern weitergingen. Auch wenn es mit den heiteren Spielen natürlich vorbei war. Und dann bekam ja auch ich noch eine Morddrohung.
"Nach dem Attentat bekam ich eine Morddrohung"
Sie? Warum das?
Weiß ich bis heute nicht. Vermutlich ein Trittbrettfahrer. Ich wurde für zwei Nächte in ein Hotel ausquartiert, danach ging ich zurück ins Dorf.
Mit Doppel-Gold in Staffel und Weitsprung waren Sie 1972 nicht nur eine der erfolgreichsten Sportlerinnen, Sie galten außerdem als Prototyp einer selbstbewussten, emanzipierten Frauengeneration, als, wie es damals in einem Porträt hieß, "Vorzeige-Fräulein der Flower-Power-Ära." Sahen Sie sich auch so?
Nein, ich war nicht wirklich politisch engagiert, habe die rebellische Stimmung bei den Studenten aber sehr wohl gespürt. Ich dozierte ja schon seit 1969 an der Deutschen Sporthochschule in Köln, da diskutierten wir uns in den Kursen auch oft die Köpfe heiß. Es herrschte bei den jungen Menschen eine enorme Aufbruchstimmung, ich fand das auch faszinierend. Selbst aktiv mitgestalten, das war aber nichts für mich.

Sie sollen sich 1969 immerhin im Wahlkampf für Kanzler Willy Brandt stark gemacht haben.
Eine absolute Ente. Stimmt nicht. Woran ich mich erinnere, dass mir nach meinem Weitsprung-Gold SPD-Politiker im Fernsehen im Namen von Willy Brandt einen roten Blumenstrauß überreichen wollten, parallel dazu auch Unionsvertreter einen Strauß von Rainer Barzel. Zum Glück intervenierte das ZDF rechtzeitig und untersagte das. Mir wäre das unangenehm gewesen, mich vor einen politischen Karren spannen zu lassen.
Was blieb denn in Deutschland vom Olympischen Geist? Es gibt schon Entscheidungsträger, die den Erfolg der European Championships als Schub für eine neue Bewerbung sehen. Wann erleben wir wieder Olympische Spiele im eigenen Land?
Schwer zu sagen. Unser Land kann das sicher stemmen, nur sind die Spiele einfach so groß und so gigantisch geworden, dass man sie den Menschen nur noch schwer vermitteln kann. Man muss die Spieler verkleinern, das Programm reduzieren, man muss den Bürgern vor allem klar aufzeigen, welchen Mehrwert sie über die zweieinhalb Wochen hinaus dann haben. Kurz: Was es ihnen bringt. Dann bekämen wir eine höhere Akzeptanz.
"Die ganze IOC-Spitze hat zuletzt sehr schlechte Entscheidungen getroffen"
2013 bezeichneten Sie die Wahl von Thomas Bach zum IOC-Präsidenten als "Glücksfall". Sehen Sie das heute auch noch so?
Die Missstände im IOC möchte ich nicht allein an der Person Thomas Bach aufhängen. Klar ist aber: Die ganze IOC-Spitze hat sich völlig verrannt und auch mit der Vergabe von Spielen an autokratische Nationen wie zuletzt China sehr schlechte Entscheidungen getroffen, weshalb der Wert, aber auch das Image Olympischer Spiele drastisch gesunken ist. Immerhin kommen bald Sommerspiele in sporthistorisch traditionsreichen Orten wie Paris und Los Angeles, dazu Winterspiele in Norditalien, das könnte dazu beitragen, dass das Ansehen Olympias wieder besser wird.
Stimmt es übrigens, dass Sie eigentlich fast alpine Skirennläuferin geworden wären und dann vielleicht gar mit Rosi Mittermaier um Gold bei den Winterspielen gekämpft hätten?
Mit meinen Eltern war ich im Winter oft im Allgäu beim Skifahren. Als ich 14 war, wurde ich von einem Trainer angesprochen, der auch Heidi Biebl betreute, die Abfahrts-Olympiasiegerin von 1960. Offensichtlich hatte ich Talent, zumindest fragte er mich, ob ich nicht bei den Juniorinnen des Skiverbands mit einsteigen möchte. Wollte ich als Flachländerin aber nicht, damit hätte sich so weit von zuhause mein ganzes Leben zu sehr verändert. Und ob es wirklich für die Rosi gereicht hätte, da hab ich meine Zweifel. War doch eine gute Entscheidung, für die Laufbahn und gegen die Skipiste.