Harakiri im Zillertal

AZ-Serie „Top Ten der Lieblings-Ski-Reviere der Münchner“, Teil 8: Im Zillertal gibt es – wenn man die grausam anmutende Taleinfahrt hinter sich hat – alles, was ein perfekter Wintertag benötigt
Dieses weiße Gebäude – keine Frage – ist ein Iglu. Doch was gerade heraus tritt, ist kein Inuit. Sondern es ist Stefan aus Haidhausen. Mit Christine im Schlepptau. Die beiden haben die Nacht in dieser Eisbehausung verbracht, auf etwa 2000 Metern Höhe. In einem für gegenseitige Anschmiegsamkeit sorgenden Schlafsack. Jetzt schnallen Sie die Ski an - und ziehen die aller-aller-aller-ersten Spuren dieses Tages in die Mayrhofener Ahorn-Pisten.
Eigentlich würden sie gerne jubeln vor Glück. Sie, weil er sie diese Nacht gefragt hat. Und er, weil sie ja gesagt hat. Und weil dieses romantische Erlebnis irgendwie fast unfassbar perfekt zu diesen ersten Spuren und der gleißenden Morgensonne passt. Doch Stefan und Christine cruisen eher schweigend die fünfeinhalb Kilometer in die Tiefe hinab. Als ob überbordende Ausgelassenheit die einträchtige Andacht dieser ultimativ besten und nie mehr wiederholbaren Skiabfahrt ihres Lebens beschädigen könnte.
In einem Kitsch-Film würden die beiden jetzt Hand in Hand fahren. Aber sie zischen, jeder für sich, in der Realität dahin – zumindest in der Realität des Zillertals. Diese Realität besteht in erster Linie aus Fremdenverkehr. Und Tourismus hat mit zuckersüßer Romantik wenig zu tun. Der harte bis bisweilen knallharte Job dieser Branche ist es viel mehr, für jene Möglichkeiten zu sorgen, die Romantik schafft: für jenes Gäste-Klientel, das Romantik sucht. Andere Gäste suchen Abenteuer, Thrill, Genuss-Pisten, Germknödel, Skitouren-Stille, Winter, Ruhe, Bars, ein beschauliches Kirchlein, Abenteuer...
Um es kurz zu machen: Das Zillertal bietet alles. Es gibt, inklusive der chartstürmenden Schürzenjäger, dem Mount-Everest-stürmenden Peter Habeler und den beiden Olympiasiegern Leo Stock und Stephan Eberharter, nichts im Zillertal, was es nicht gibt für Ski- und Winter-Freaks:
Dieses White Lounge Iglu-Dorf über Mayrhofen etwa.
Oder die Harakiri. So heißt eine Höllen-Abfahrt, gleichfalls über Mayrhofen: Länge: 1,1 Kilometer. Gefälle: 78 Prozent. Die steilste präparierte Skipiste Österreichs. Das Schild bei der Einfahrt trägt einen Warnhinweis: die Bergbahngesellschaft hat einen Totenkopf aufmalen lassen.
Dann gibt es die Schneesicherheit im ewigen Eis des Hintertuxer Gletschers.
Außerdem gibt es die edlen Übernachtungs- und Verköstigungs-Stätten Kristallhütte und Wedelhütte im „Ski optimal“-Gebiet Hochzillertal-Hochfügen.
Zudem gibt es die nach dem Weltcup-Star benannten und bereits legendären Pisten „Olympia Eberharter“ und „Stephan Eberharter Goldpiste“ in der Nähe von Kaltenbach.
Gibt es die klasse Skischaukel Zell-Gerlos-Grimml-Königsleiten, die von Tirol ins Salzburger Land führt.
Wir sagten es bereits: alles gibt es. Inklusive einer landschaftlich grausam anmutenden Tal-Einfahrt mit Möbelmarkt, Einkaufs-Center, Discount-Shop und weiteren optischen Hässlichkeiten. Doch trotz dieses überaus erschreckenden Tal-Starts für alle Münchner, die mit dem Auto kommen: Ein Ski-Tag oder ein ganzes Wochenende im Zillertal wird so gut wie immer zum Erfolg geraten.
Jupp Suttner