Hansi Hinterseer: "Dann kannst du Sachen, die unmöglich schienen"

AZ: Herr Hinterseer, die Weltcup-Slaloms vor Ihrer Haustür in Kitzbühel wurden nach Flachau verlegt. Mit dabei ist ein halber Kitzbüheler, der aber für den TSV 1860 München startet: Linus Straßer. Wie gut kennen Sie ihn?
HANSI HINTERSEER: Der Skiclub der Sechzger hat ja immer in Kitzbühel trainiert, sensationell machen die das. Ich kenn' den Linus schon, aber leider zu wenig. So wie er fährt, mit dieser wunderbaren Technik, ist er eine Bereicherung für den Weltcup.
Hinterseer über Linus Straßer: "Er ist ein Riesentalent"
Schon lange galt er als großes Talent, konnte die Erwartungen aber nicht erfüllen. Nun ist er in den letzten beiden Rennen auf Platz eins und zwei gerast. Wie kommt's?
Gerade im Slalom sieht man, wie das ist, wenn man mal ein Erfolgserlebnis hat. Da kannst du auf einmal Sachen, die vorher unmöglich schienen. Jetzt geht's ihm irgendwie auf, er ist wie auf einer Welle. Schön zu beobachten. Es hätte ihn sicher gefreut, wenn hier in Kitzbühel zwei Slaloms gewesen wären.
Wie sehen Sie ihn im Vergleich mit den anderen Top-Fahrern?
Die Siegläufer der letzten Saison, Kristoffersen, Julen, Zenhäuser und Noel, fahren nach wie vor super, aber legen immer wieder kleine Fehler ein, die letztes Jahr nicht passiert sind. Besonders im Slalom merkt man, wenn diese Lockerheit und diese Selbstverständlichkeit nicht da sind. Wenn Favoriten plötzlich Druck verspüren und glauben, gewinnen zu müssen, kommen sie in Situationen wie Linus vor drei, vier, fünf Jahren. Im Slalom musst du im Kopf frei sein und jeden Schwung treffen! Linus ist ein Riesentalent, der jetzt durch die Erfolge, die er einfährt, zu dieser Lockerheit gefunden hat. Ein Slalom hat im Schnitt 140 Tore - Schwünge - und zwei Durchläufe. Für die Ski-Fans, die Startnummer, das Material, Fitness, Wetter und Schneeverhältnisse und noch viele Faktoren mehr müssen die Athleten in dieser einen Minute alles auf einen Nenner bringen.
Höhepunkt von Hinterseers Skikarriere: WM-Silber
Henrik Kristoffersen gelingt das gerade nicht so gut. . .
Wir erinnern uns alle noch, wie er so locker gefahren ist, weniger Muskeln hatte, so ein spielerischer Typ war - diese Lockerheit ist weg, warum auch immer.

Sie haben früh angefangen und früh wieder aufgehört: letztes Weltcuprennen mit 23. Höhepunkt war sicher das WM-Silber 1974 - und kurz zuvor der Heimsieg im Kitzbüheler Slalom, korrekt?
Wenn man auf dem Hang, wo man Skifahren gelernt hat, diesen Weltcup-Klassiker Hahnenkammrennen gewinnt, ist das natürlich speziell. Aber der Gewinn der Riesenslalom-Gesamtwertung mit 18 war auch eine geile Sache.
Wenn der Papa Slalom-Olympiasieger ist und man auf der Seidlalm auf der Streif aufwächst, ist klar, dass man eher nicht Fußballer wird.
Ich hab' mal einen Fußball geschenkt bekommen - aber was tust du auf der Seidlalm mit einem Fußball? Mit weißer Farbe hab' ich mir dann außen auf die Stallwand ein Tor hingemalt und Freistöße geübt. Es war damals gar nicht so einfach für mich. Ich hatte zwar Talent, wahrscheinlich weil ich im Winter jeden Tag von der Seidlalm zur Schule gefahren bin. Egal, ob viel oder wenig Schnee lag - da hat man natürliches Skifahren gelernt. Die Schülerrennen hab' ich fast alle gewonnen, aber sofort auch den Druck gespürt: ‚Ah, der Sohn vom Olympiasieger - der muss auch gut fahren.' Dazu lokale Größen wie Toni Sailer - da war schon eine Vorgabe da.
Weg vom deutschen Skisport hin zu Profi-Tour in Amerika
Warum war mit 23 Schluss?
Ich war nicht so einfach zu händeln. Mein Vater, der lange mein Trainer war und mir viel geholfen hat, ist nach zwei Jahren als Trainer ins deutsche Nationalteam gewechselt, damals mit Christian Neureuther. Und ich habe neue Trainer bekommen, die mich plötzlich total anders trainieren wollten. Gefallen habe ich mir auch nichts lassen, ein Wort gab das andere - dann bin ich nach Amerika, zur Profi-Tour. Das hat mich mehr gereizt.
Warum ist Ihr Vater zum DSV gewechselt?
1972 gab es einen Umbruch im ÖSV-Trainersystem: Der Sailer Toni war Chef, mein Vater verantwortlich für die Techniker und der Charly Kahr für die Abfahrer - ein super Gefüge! Nach dem Abgang von Karl Schranz hatten wir ja auch ein gewisses Loch gehabt. Bis 1974 hat das gut funktioniert, wir waren als junge Mannschaft sehr erfolgreich, aber dann hat es irgendwas gegeben, und die neue Aufgabe hat ihn gereizt.