Hannawalds Erben!
Krasnaja Poljana - Sie standen da, die Gesichter verzerrt, die Anspannung in jeden Gesichtsmuskel gemeißelt. Und sie warteten. Unendlich lang erscheinende Sekunden. Quälende Sekunden. Dann blinkte sie endlich auf, die erlösende Zahl, auf die sie gewartet hatten, die 1 – die Gold-Zahl!
Da entlud sich alle Anspannung in einem kollektiven Freudenschrei, der jeden feierfesten Russen vor Neid erblassen hätte lassen. Andreas Wank, Marinus Kraus und Andreas Wellinger stürzten sich wie Rugby-Spieler auf Schlussspringer Severin Freund, rissen ihn zu Boden.
Eine glückselige Springertraube im Schnee. „Das war der schönste Sturz meines Lebens, mit Sicherheit“, stammelte Freund.
Er, der auf der Normalschanze mit einem Sturz alle Medaillenchancen vergeben hatte, der auf der Großschanze an den eigenen Nerven gescheitert war und sich am Ende mit dem vierten Platz hatte begnügen müssen – zum bereits dritten Mal bei Großereignissen. „Es ist so unbeschreiblich geil“, sagte er jetzt über den Olympiasieg im Teamspringen mit nur 2,7 Punkten Vorsprung auf die favorisierten Österreicher. Bronze ging an Japan.
„Das kann ein Meilenstein in der Karriere von Freund sein“, sagte Erfolgscoach Werner Schuster, der den Glücksschal seines Sohnes Jonas um den Hals trug, „wir haben zusammen eine harte Durststrecke überstanden. Ich empfinde eine tiefe innere Befriedigung. Es war eine lange Reise, die heute ihren vorläufigen Höhepunkt gefunden hat. Ich bin stolz auf die Jungs.“
Und DOSB-Boss Alfons Hörmann meinte: „Ich habe vor dem letzten Sprung ein Stoßgebet gen Himmel geschickt, dass wir die Portion Glück haben, um zu gewinnen.“ Das Stoßgebet kam oben an, die DSV-Adler sind wieder Goldadler. Wank, Kraus, Wellinger und Freund – sie sind Hannawalds Erben.
Deutschlands Skisprunglegende hatte 2002 in Salt Lake City Gold mit der Mannschaft geholt. Jetzt gratulierte er: „Das war eine unglaubliche Leistung, wir haben ein tolles Team gesehen, das verdient Olympiasieger geworden ist. Ich gratuliere von ganzem Herzen.“
Der Skisprung-König feiert seine Erben. Lob gab es auch von ARD-Kommentator Dieter Thoma, der in der AZ den Teamsieg prognostiziert <MD>hatte. Er, der Team-Olympiasieger von 1994, sagte: „Die ganzen vierten Plätze und so, das war alles nur Mist. Wie unglaublich geil ist das denn?“
Ein geiles Wintermärchen der DSV-Adler. Bester im deutschen Quartett war übrigens Marinus Kraus, der am Donnerstag 23 geworden war. „Olympiasieger! Jetzt werden wir feiern. Wir werden feiern!“, sagte er. Feiern, das kann auch ganz besonders Andreas Wank.
Genau 52 Minuten vor seinem 26. Geburtstag konnte er sich schon als Goldjunge von Sotschi hochleben lassen. „Mit fehlen die Worte. Ich kann gar nicht realisieren, was wir geschafft haben.“
Was sie geschafft haben? Wank-Kraus-Wellinger-Freund sind Hannawalds Gold-Erben.
Matthias Kerber