Hannawald haut auf den Putz

Die anhaltende Krise der deutschen Skispringer sei hausgemacht, meint Ex-Tournee-Champion Sven Hannawald. Der heutige Teilzeit-Rennfahrer greift die Verantwortlichen im deutschen Verband an
OBERSTDORF Es wird zapfig im Allgäu. Wenn Skisprung-Bundestrainer Werner Schuster seine Jungs am Montag wieder zum Dienst bittet, meldet der Wetterbericht minus 16 Grad. Das ist nicht lustig für die Athleten, aber von diesem angenehmen Aggregatzustand scheinen die DSV-Adler eh schon lange entwöhnt zu sein.
Schuster selbst hat zuletzt mit einigen harschen Worten einen Teil dazu beigetragen, indem er ankündigte, auf große Namen künftig keine Rücksicht mehr zu nehmen: „Ich werde mich mehr denn je auf die jungen Sportler konzentrieren. Die hören noch anders zu.“ Eine klare Ansage an die Routiniers um Martin Schmitt. Kurz vor Beginn der 59. Vierschanzentournee am Mittwoch in Oberstdorf (16 Uhr) haut nun auch noch eine Ex-Größe des Skisprungs auf den Putz: Sven Hannawald.
Der 36-jährige Außenbahnflitzer der zweiten Fußballmannschaft des TSV Neuried, der 2002 mit vier Siegen in vier Springen für die letzte große Sternstunde der deutschen Skispringer sorgte, meldet sich mit einer Expertenmeinung zur deutschen Misere. Hannawalds These: Die Krise ist hausgemacht. In einem Interview mit dem österreichischen Magazin „SportWoche“ nimmt er die Verantwortlichen des DSV unter Beschuss. „Es fehlen ein bis zwei Spitzenleute“, so Hannawald, „in 15. Platz von Neumayer ist für die Jungen kein Anhaltspunkt!" Mit ein Grund für die Leistungsflaute: Man habe beim Sprungstil die Umstellung verpasst: „Nur noch vorne rausspringen, reicht nicht mehr. Du brauchst auch Kraft vom Tisch. Die Norweger, Finnen und Österreicher können diesen neuen Stil, wir nicht.“ Das Problem: „Wie soll ein Martin Schmitt seinem Körper nach 20 Jahren sagen, dass es auf einmal so geht und nicht so? Das ist schwierig und dauert seine Zeit.“ Zur aktuellen Form seines alten Weggefährten meinte Hannawald: „Den richtigen Zeitpunkt zum Aufhören hat er schon lange verpasst. Er soll so lange weitermachen, wie er will und nicht auf andere hören.“
Gerade so schön in Fahrt ledert der Teilzeit-Rennfahrer (ADAC GT Masters) auch noch gegen die Österreich-Importe im Trainer-Team (Werner Schuster und Stefan Horngacher): „Es ist für deutsche Trainer, die sich jahrelang reingearbeitet haben, nicht motivierend, wenn ihnen an der Spitze nur Österreicher vor die Nase gesetzt werden. Man kriegt das Gefühl, dass deutsche Trainer nichts mehr wert sind." Und weiter: „Die Deutschen haben von den österreichischen Trainern viel lernen können, aber was hilft das, wenn die Chemie nicht passt?" Dicke Freunde werden Schuster und Hannawald wohl eher nicht mehr.
Der Bundestrainer hat nach dem dreitägigen Trainingslager in Oberstdorf 13 Springer für die ersten beiden Wettbewerbe nominiert (siehe Kasten). Nach den Springen in Oberstdorf und Garmisch wird der Kader auf sieben Springer reduziert. Einigen traut Schuster durchaus etwas zu: „Severin Freund macht weiter viel Freude, und Pascal Bodmer kommt jeden Tag mehr in Schwung. Beide können für eine Überraschung sorgen“, glaubt er. Schmitt, für den es die 15. Tournee-Teilnahme ist, beurteilt er skeptischer: „Martin springt zu wechselhaft. Er hatte in Oberstdorf Anpassungsschwierigkeiten. Da muss man mal abwarten.“
Thomas Becker