Handball im Sumpf: Wurden deutsche Schiedsrichter gekauft?
Wurden die deutschen Spitzen-Referees Frank Lemme und Bernd Ullrich geschmiert? Ein russischer Funktionär behauptet, das Duo habe sich vor dem Europapokal-Finale 2006 kaufen lassen. Ein Verdacht, der die Sportart in den Grundfesten erschüttert.
HAMBURG Das Endspiel steigt sechzig Kilometer südlich von Moskau, in der Trabantenstadt Tschechow. Der örtliche Handballklub Medwedi spielt im Final-Rückspiel im Europapokal der Pokalsieger gegen Spaniens Topklub Valladolid. Die Spanier reisen mit einem Vorsprung von sieben Toren aus dem Hinspiel an.
In den Katakomben der Universal Sport Hall „Olimpijski“ sitzen Bernd Ullrich und Frank Lemme, beide 46. Das bekannte deutsche Schiedsrichter-Gespann gilt als souverän, erfahren, zuverlässig. Während sich Ullrich und Lemme aufwärmen, bekommen sie Besuch. Ein Russe, den Lemme kennt, macht ein Angebot: 50000 Dollar, bar auf die Hand – falls Medwedi den Pokal gewinnt. So jedenfalls schildert der „Spiegel“ das Vorspiel dieses Finals.
Es klingt wie ein Krimi. Und es passt ins finstere Bild, das diese Sportart abgibt, seit der THW Kiel sich Manipulationsvorwürfen ausgesetzt sieht. Wie tief ist der Sumpf, in dem Handball derzeit versinkt?
Jetzt also rücken die Schiedsrichter Ullrich und Lemme ins Blickfeld. Das Endspiel in Tschechow fand am 29. April 2006 statt. Wie Lemme dem „Spiegel“ bestätigt hat, war den beiden Referees von einem Russen, dessen Namen Lemme nicht nennen will, Geld angeboten worden. Sie hätten es abgelehnt.
Fakt ist: Tschechow gewann gegen Valladolid sensationell mit acht Toren Vorsprung und holte den Europacup. Fakt ist zudem: Bernd Ullrich wurde anschließend am Moskauer Flughafen aufgehalten, in seiner Tasche fanden Beamte eine Plastiktüte mit 50000 US-Dollar. Die Magdeburger Referees kamen jedoch frei, nachdem sie schriftlich den Verzicht auf das Geld erklärt hatten.
Man sei damals „gelinkt worden", sagt Lemme heute, und Ullrich sagt in der „Hamburger Morgenpost“: „Wir haben kein Spiel verschoben, wir sind reingelegt worden. Wir sind doch nicht so doof, dass wir mit 50000 Dollar Bargeld in den Zoll reinlaufen. Unser Fehler war, dass wir es nicht sofort dem europäischen Verband gemeldet haben.“ Laut „Spiegel“ belastet jedoch ein Spitzenfunktionär des russischen Verbands die beiden Deutschen: Beide seien vor dem Spiel geschmiert worden.
Wie heikel der Fall ist, verdeutlicht ein Blick auf die vielen Partien, die Lemme/Ullrich geleitet haben: Das olympische Finale 2008 in Peking, das WM-Finale 2005 in Tunis, diverse Champions-League-Finals und über 500 DHB-Spiele. Sollte sich bei der nun beginnenden Untersuchung herausstellen, dass sie bestechlich sind, stünden all diese Partien auf dem Prüfstand. Der Sportart drohte ein Desaster.
Doch Ullrich und Lemme beharren auf ihrer Version: Sie seien Opfer eines Komplotts.
Beim DHB ist man längst vorsichtig geworden. Lemme/Ullrich waren am Samstag fürs Bundesliga-Spitzenspiel HSV Hamburg gegen THW Kiel vorgesehen, wurden aber kurzfristig durch Lars Geipel und Marcus Helbig ersetzt. Die bekamen das Misstrauen der Fans gegen Schiedsrichter zu spüren: Kiel siegte 34:33 dank eines Siebenmeters, den Filip Jicha in der Schlusssekunde verwandelte. Hamburgs Anhang tobte. Von Ordnern geschützt, flohen die Referees vom Parkett, schlossen sich in ihrer Kabine ein.
Nur ein weiteres düsteres Kapitel. Ob noch mehr hinzu kommen? Ein massives Korruptionsproblem sei „nicht mehr von der Hand zu weisen ist“, hat Ligaverbands-Boss Frank Bohmann eingestanden. Bundestrainer Heiner Brand fordert in der „WamS“ inzwischen sogar eine Neuformulierung der Regeln, „damit Schiedsrichter weniger Einflussnahme ausüben können“.
Vorher noch müssen Lemme und Ullrich erklären, wie damals in Russland das Geld in die Tasche gekommen ist. Es gilt, das Schlimmste zu verhindern.
Im Programmheft zum Top-Spiel HSV gegen Kiel erschien am Samstag übrigens ein Vorwort von Hamburgs Geschäftsführer Peter Krebs, abgefasst vor dem Schiedsrichter-Wechsel: „Wir freuen uns auf jeden Fall auf einen sportlichen Leckerbissen mit neutralen Schiedsrichtern. Die erfahrenen Sportkameraden Lemme/Ullrich garantieren das. Ein gutes Gefühl.“
Reinhard Keck, Erik Eggers
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