Hambüchens Gold-Gala: "Kurz vor perfekt!"

Kunstturn-Legende Eberhard Gienger adelt in der AZ Fabian Hambüchen, der am Reck sensationell den Olympiasieg holte. "Diese Dramaturgie zu Gold war einfach toll", sagt der 65-Jährige, der live dabei war.
von  Interview: Thomas Becker
Fabian Hambüchen feierte seinen Olympiasieg am Reck. Mit 28 Jahren will er nun seine Turn-Karriere beeenden.
Fabian Hambüchen feierte seinen Olympiasieg am Reck. Mit 28 Jahren will er nun seine Turn-Karriere beeenden. © dpa/AZ

Rio de Janeiro - Die AZ sprach mit Eberhard Gienger, der deutschen Kunstturn-Legende der 70er Jahre. Gienger spricht über Hambüchens Reck-Gala in Rio und warum er sich an seinem 65. Geburtstag nochmal ans Reck wagte.

AZ: Herr Gienger, entschuldigen Sie die Störung. Bei Ihnen in Rio ist es früh am Morgen...
EBERHARD GIENGER: Kein Problem, ich bin schon wieder unterwegs. Neben dem Sport gibt es für mich als Politiker hier noch andere interessante Termine.

Wie haben Sie, der frühere Reck-Weltmeister, den Triumph von Hambüchen erlebt?
Ich bin ja mit Superlativen sparsam, aber er hat alles in den Punkt geturnt, und hätte er den Abgang auch noch gestanden, hätte ich gesagt: Das war kurz vor perfekt. Er hat mit diesem Abstand gerecht gewonnen.

Er musste ja als Erster ran.
Nachdem er diese großartige Leistung vorgelegt hatte, haben sich die anderen die Zähne daran ausgebissen. Sein direkter Gegner Epke Zonderland musste beim zweiten Flugelement das Reck verlassen. Ich kann mir vorstellen, wie das für Fabi war: wie der Löwe im Käfig, nichts mehr tun können, nur auf Fehler der Anderen hoffen – schwierig. Man ist völlig unruhig, aufgelöst, weiß nicht mehr, wo man sich hin bewegen soll. Diese Dramaturgie zu Gold vom dritten Stock der Tribüne aus mitzuerleben, war einfach toll. Allein dafür hat sich die Reise nach Rio gelohnt.

Und danach ging’s zum Feiern ins Deutsche Haus?
Nein, wir sind ins Generalkonsulat gefahren, haben mehr in uns hinein genossen. Der Fabi hatte sicher genügend andere, mit denen er feiern konnte.

Mit 28 will Hambüchen seine Karriere beenden.
Ich kann mir vorstellen, dass er sich langsam aus dem Rampenlicht rausturnt. Aber warum soll er da nicht bei Wettkämpfen und Schau-Veranstaltungen weitermachen? Es wäre Perlen vor die Säue geworfen, wenn er sich ganz zurückziehen würde. Andererseits ist jetzt die Zeit gekommen, wo er seinen zweiten Lebensabschnitt vorbereiten muss: den Beruf. Da wird er mindestens genauso viel Ehrgeiz reinlegen wie in den Leistungssport.

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In den 70ern war Turnen in Deutschland gleichbedeutend mit Eberhard Gienger, in den letzten zehn Jahren war Hambüchen der große Dominator.
Ich sage immer: Ich war der Hambüchen der 70er.

Er hat sie auch bei den deutschen Meistertiteln geschlagen: 40:36, stand bei Olympia vier Mal im Reck-Finale. Einmalig, oder?
Auf jeden Fall. Man hat schon 2004 bei seinem ersten Finale gesehen, dass er der nervlichen Belastung gewachsen ist. Damals gab es vor seiner Übung ein 20-minütiges Pfeifkonzert, weil das Publikum mit einer Wertung unzufrieden war. Als das Reck dann endlich freigegeben wurde, hat er nicht verzagt, sondern eine Übung auf Weltklasse-Niveau hingelegt. Das war der Durchbruch.

Das Ganze gleicht heute einer Flugshow. Kann man das mit Ihrer Zeit noch vergleichen?
Nein. Mit meiner Übung von früher würde ich nicht mal ins Finale kommen. Wir hatten natürlich andere Wertungsvorschriften, an denen wir uns orientiert haben. Deswegen haben die Übungen anders ausgesehen. Wir konnten uns in den 70ern auch nicht mit den Turnern von 1936 vergleichen.

Die einarmige Riesenfelge war damals ein Hingucker...
Die sieht man nur noch selten. Das war damals eine Phase, wo man mit Seltenheitswert etwas erreichen konnte. Für ein neues Element gab es Originalitätspunkte: zwei Zehntel – das war nicht wenig.

Mit dem Gienger-Salto sind Sie in die Geschichte eingegangen. Wird der noch geturnt?
Bei den Männern am Reck selten, weil ich da "nichts mehr wert" bin, es zu wenig Punkte gibt. Am Barren manchmal. Und bei den Frauen am Stufenbarren wird er geturnt.

Nach Hambüchen ist noch kein Element benannt...
Naja, ein Olympiasieg ist ja auch nicht schlecht.

Was macht man eigentlicher als Turner nach der Karriere?
Ich gehe heute noch ans Reck. Zu meinem 65. Geburtstag im Juli hab ich mir einen Gienger-Salto geschenkt.

Ach nee!
Im vierten Versuch hab’ ich zugepackt.

Also drei Mal hart gelandet?
Nee, wir haben Weichbodenmatten. Da tut man sich nichts. Als ich ihn gefangen hab’, hab’ ich sofort das Training abgebrochen. Bin Champagnertrinken gegangen. Ich glaube, das war auch mein letzter Gienger-Salto.

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