Hajo Seppelt: An sauberen Sport glaube ich schon lange nicht mehr

Hajo Seppelt veröffentlichte vor kurzem sein Buch "Feinde des Sports". Im AZ-Interview erklärt er, warum es so wichtig ist, über das Thema Doping öffentlich zu diskutieren.
von  Matthias Kerber
"Sport ohne Doping wird es genauso wenig geben wie eine Gesellschaft ohne Verbrechen", sagt Hajo Seppelt.
"Sport ohne Doping wird es genauso wenig geben wie eine Gesellschaft ohne Verbrechen", sagt Hajo Seppelt. © dpa

Hajo Seppelt veröffentlichte vor kurzem sein Buch "Feinde des Sports". Im AZ-Interview erklärt der Doping-Experte, warum es so wichtig ist, über das Thema Doping öffentlich zu diskutieren.

AZ: Herr Seppelt, Sie sind der investigative Journalisten in Dopingfragen und veröffentlichen nun Ihr Buch "Feinde des Sports". Gibt es für Sie diesen Moment, an dem Sie den Glauben an die Unschuld des Sports verloren haben?
Hajo Seppelt: Ich muss zugeben, dass ich früher eher naiv war und mir viele Fragen nicht gestellt habe. Irgendwann stand aber unübersehbar die Frage im Raum, wie die Leistungen der DDR-Schwimmerinnen zu erklären sind. Ein Schlüsselmoment war auch, als ich Anfang der Neunziger angefangen habe, mich intensiver mit Sportpolitik zu beschäftigen. Als Berlin sich um die Olympischen Spiele beworben hat, habe ich festgestellt, dass schnell unter Druck geraten kann, wer kritische Fragen stellt. Da wurde mir klar, dass Sport mehr ist als nur 1:0-Berichterstattung, mehr als die Oberfläche, die man mithilfe der glamourösen Bilder zu sehen bekommt.

Was treibt Sie an? Sie schreiben, dass die, die im Dreck wühlen, oft als Schmuddelkinder angesehen werden.
Das hat mich nie gestört, weil mich diese Heuchelei im Sport, diese Heldeninszenierung immer geärgert hat. Dieses Augenverschließen, obwohl man wusste oder zumindest ahnte, was läuft. Oder das Duzen vor der Kamera, die Distanzlosigkeit. Auch im Sportjournalismus sind Reporter keine Partner derer, über die sie berichten. Wir rudern vielleicht den gleichen Fluss runter, sitzen aber in verschiedenen Booten. Mich hat immer gestört, dass uns die heile Welt vorgegaukelt wurde. Vielleicht liegt es daran, dass ich schon als Kind anders gedacht habe. Wenn ich beim Fußball gefoult habe, habe ich die Hand gehoben und gab das zu. Meine Mitspieler haben sich dann gefragt, wie man nur so blöd sein kann. Ich aber habe dieses Betrügen nie verstanden. Ich war schon damals für manche ein Sonderling.

"Sport ohne Doping wird es genauso wenig geben wie eine Gesellschaft ohne Verbrechen", sagt Hajo Seppelt.
"Sport ohne Doping wird es genauso wenig geben wie eine Gesellschaft ohne Verbrechen", sagt Hajo Seppelt. © dpa

Ist Wahrheit, die auf dem achten Gebot "Du sollst nicht lügen" fußt, für Sie das höchste und auch gefährdetste Gut?
Gesellschaftlich sehe ich das so. Die Antwort auf Fake und Hetze kann für mich als Journalisten nur gute Arbeit sein, welche die Wahrheit herausfinden will. Wobei wir nicht frei von Fehlern sind, Journalisten sind ja keine Übermenschen. Ich denke aber, dass wir aufs falsche Pferd setzen, wenn wir auf Leute, die im Internet irgendetwas von sich geben, immer sofort reagieren. Ich bin froh, dass wir in der ARD-Dopingredaktion einen Kontrapunkt setzen können mit ruhigen, investigativ recherchierten Geschichten.

Seppelt: "Donald Trump vergiftet den gesellschaftlichen Diskurs"

Wie gefährdet ist die Wahrheit in Zeiten, in denen Donald Trump alles, was ihm unlieb ist, als Fake News diffamiert?
Wir stumpfen wohl alle ab. Je mehr mediale Säue durchs Dorf getrieben werden, je mehr Leute die Wahrheit immer wieder mit Lügen herausfordern, desto weiter löst sich der Dialog aus der Wirklichkeit heraus. Wer hätte sich vor fünf Jahren vorstellen können, dass ein Mensch US-Präsident ist, der etliche Unwahrheiten von sich gibt? Das vergiftet den gesellschaftlichen Diskurs.

Wer sind die Feinde des Sports?
Nicht allein die Doper. Natürlich sind sie Täter und verantwortlich für ihr Tun. Aber sie sind eingebunden in ein System von Abhängigkeiten, von Leistungsdruck. Zu diesem darwinistischen Streben, das der Sport per se innehat, haben die Verbände entscheidend beigetragen. Es wurde Doping im großen Stil vertuscht, daher kann man Funktionäre und Hintermänner nicht von ihrer Verantwortung freisprechen.

Das System des Vertuschens.
Der Sport hat über Jahrzehnte nicht Doping als Problem angesehen, sondern das Reden über Doping. Das empfand man als geschäftsschädigend. Wenn eine Leistung durch Doping verbessert wird und das nicht auffliegt, steigert es die Attraktivität des Wettbewerbs. Der Sportler verdient mehr. Der Sponsor kann seine Produkte besser vermarkten. Die TV-Anstalten haben höhere Einschaltquoten, können die Werbezeiten besser verkaufen. Die Politik freut sich, weil sie sich im Medaillenglanz sonnen kann. Alles super. Wenn aber Doping auffliegt, wird aus dieser Win-win- eine Lose-lose-Situation. Der Athlet verdient weniger, verliert Sponsoren, der Verband verliert ebenfalls Werbepartner, seine Sportart wird nicht mehr so lange im Fernsehen übertragen. Alles ganz schlecht. Wenn man es so zu Ende denkt, ist es für einen Verband wohl nicht das Wichtigste, dass es kein Doping gibt, sondern dass das Thema möglichst nicht allzu öffentlich diskutiert wird – oder Doping gar unbemerkt bleibt. Die Geschichte des Sports hat genug Beispiele dafür.

"Mitleid hatte ich nie, bisweilen aber Verständnis", sagt der Experte Seppelt über überführte Doper wie Katrin Krabbe (Mitte).
"Mitleid hatte ich nie, bisweilen aber Verständnis", sagt der Experte Seppelt über überführte Doper wie Katrin Krabbe (Mitte). © dpa, Rauchensteiner/AK

Viele Whistleblower sind für Doping-Experten Seppelt Vorbilder

Gab es je einen Doper, bei dem Sie Mitleid hatten?
Nein. Aber bisweilen Verständnis.

Gerade bei Ihren Enthüllungen über russisches Staatsdoping bei Olympia 2014 waren Sie auf die Unterstützung von Whistleblowern wie Julia Stepanowa angewiesen. Wie denken Sie über Whistleblower?
Viele sind für mich Vorbilder. Wir haben in den letzten Jahren einen Paradigmenwechsel erlebt. Früher hätte man Informanten meist nur Denunzianten genannt, heute gelten Informanten vor allem als mutige Menschen, die nötige und bittere Wahrheiten aussprechen. Dieser Wandel in der Wahrnehmung ist schon interessant.

Die Öffentlichkeit wüsste ohne Edward Snowden nicht, wie extrem in Ihre Freiheitsrechte eingegriffen wurde.
Man kann ihm nur danken. Es ist auch interessant, wie verschnupft manche reagieren, wenn Whistleblower tätig werden. Dabei sind die, die am lautesten bellen, immer die, die betroffen sind. Wenn ich in Russland recherchiert habe, wurde mir vorgeworfen, ich sei russophob, aber viele in anderen Ländern haben applaudiert, auch deutsche Athleten. Habe ich in Deutschland nachgeforscht und etwas gefunden, wurde mir vorgeworfen, dass ich Sportler hierzulande unter Verdacht stelle. Es ist bemerkenswert zu beobachten, wie und wer sich warum über unsere Arbeit echauffiert. Aber wir machen keine Gefälligkeitsberichterstattung.

"Heute gelten Informanten als mutige Menschen", sagt Seppelt über Whistleblower wie Edward Snowden.
"Heute gelten Informanten als mutige Menschen", sagt Seppelt über Whistleblower wie Edward Snowden. © dpa

Es wurde über einen Ausschluss aller russischen Athleten für die Spiele 2018 wegen Staatsdopings diskutiert: Dadurch wären Unschuldige betroffen gewesen. Im Strafrecht gilt der Grundsatz, lieber hundert Schuldige laufen lassen, als ein Unschuldiger hinter Gittern, im Sportrecht nicht.
In der Politik ist das anders gelagert. Die Sanktionspolitik der EU gegenüber Russland trifft das gesamte Land. Die Großmutter in Sibirien ist auch betroffen, wenn Putin eine Politik macht, die der EU nicht gefällt und diese Sanktionen verhängt. Bei Sanktionspolitik gibt es immer Kollateralschäden. Sie lassen sich nicht vermeiden. Sie erhöhen den Druck auf die Entscheidungsträger.

Freigabe von Doping? "Man würde die Büchse der Pandora öffnen"

Wie mitschuldig machen sich Fifa und IOC, wenn sie ihre Events in autokratische Länder vergeben, die den Sport zur Imagepflege missbrauchen?
Man hat zuletzt schon sehr gespürt, wie sehr das IOC bemüht war, die Spiele wieder in andere Länder zu bekommen. Allzu viele Interessenten gab es ja nicht. Vorher war es in der Tat so, dass man bevorzugt in autokratischen Ländern zu Gast war. Da geht alles wohl so, wie es sich das IOC wünscht: schneller, einfacher, ohne wirkliche Mitbestimmung der Bevölkerung vor Ort. Das sagt eine Menge aus. Was ich interessant finde: Das IOC sagt auf der einen Seite, sie sind politisch, sagen aber gleichzeitig, sie sind keine politischen Akteure. Da frage ich mich, warum man stets das hohe Lied von Antidiskriminierung singt, aber sich sozusagen mit Autokratien ins Bett legt, wo genau so etwas an der Tagesordnung ist. IOC-Präsident Thomas Bach ist das beste Beispiel dafür, dass in bestimmten Situationen, wenn offenkundige Rechtsverletzungen zu registrieren waren, meist keine entscheidende Reaktion folgte.

Bach ist in Ihren Augen eher Teil des Problems als Lösung?
Er ist die Lösung, was die Kommerzialisierung des Sports betrifft. Seine Cleverness hat das IOC noch reicher gemacht. Er ist keine Lösung, um das Kulturgut Sport aus der jahrelangen Krise zu holen.

Was halten Sie von der Idee, Doping freizugeben?
Das geht gar nicht. Man würde die Büchse der Pandora öffnen. Es drohte etwa, dass Jugendliche und Kinder in die noch größere Gefahr kommen, dass an ihnen nicht getestete Substanzen ausprobiert werden. Jeder Staat könnte sich seine Mittelchen quasi selbst zusammenbrauen. Wer mehr Geld und Know-how hat, würde so etwas wie menschliche Motoren nach Formel-1-Muster kreieren können. Der Rest der Welt wird noch mehr abgehängt. Ist das mehr Chancengleichheit oder das Ende der Heuchelei im Sport?

Thema Alltagsdoping: In der Wirtschaft interessiert niemanden, ob sich einer zukokst, um Leistung zu bringen.
Wenn jeder die Regeln anders auslegt, funktioniert der Wettbewerb nicht. Zum Wettkampf gehört, dass Menschen mit relativ gleichen Startvoraussetzungen antreten. Natürlich ist die Selbstschädigung ein hohes Rechtsgut. Jeder kann saufen, rauchen, so viel er will. Wenn er sich aber in einen Wettbewerb unter der Hoheit eines Verbands begibt, gelten Regeln, an die er sich halten muss. Er ist nicht gezwungen teilzunehmen. Er kann 42 Kilometer allein durch den Wald laufen, wenn er am Berlin-Marathon nicht teilnehmen will. Da sagt ihm keiner, dass er nicht dopen darf. Das ist wie mit der Straßenverkehrsordnung: Wenn man am Verkehr teilnimmt, hat man sich Regeln zu unterwerfen. Wer eine private Rennstrecke hat, kann dort immer 180 fahren.

Träumen Sie noch von einem sauberen Sport?
Schon lange nicht mehr. Sport ohne Doping wird es genauso wenig geben wie eine Gesellschaft ohne Verbrechen. Die Frage ist nur, ob der Sport genug Sportpolizisten aufstellt und auch willens ist, die Regelverstöße zu sanktionieren.

Lesen Sie hier: Russlands Leichtathletik-Verband bleibt gesperrt

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