Haas - "Wie in Trance!"
Tommy Haas legt in Paris beim Fünfsatzsieg gegen John Isner das Spiel seines Lebens hin. Nach zwölf vergebenen Matchbällen zieht er am Ende doch noch mit 10:8 ins Achtelfinale ein
PARIS Es war nicht sein wichtigster Sieg. Und auch nicht sein schönster. Aber was der unverwüstliche Tommy Haas am Samstag in den roten Sand von Roland Garros zeichnete, war nicht weniger als der größte Sieg und das Spiel seines Tennis-Lebens. Ein Sieg der Moral und Leidenschaft, der die späten Karrierejahre des deutschen Tennis-Alterspräsidenten noch einmal mit einem Ausrufezeichen versah.
„Jeder hat heute gesehen, wie sehr ich meinen Sport noch liebe. Wie sehr ich diese Duelle da draußen genieße", sagte Haas nach dem 7:5, 7:6 (7:4), 4:6, 6:7 (10:12), 10:8-Triumph bei den French Open gegen den Amerikaner John Isner, bei dem er sage und schreibe zwölf Matchbälle vergab, selbst einen Siegpunkt abwehren musste, ehe er mit seinem dreizehnten Matchball die Achterbahnfahrt beendete. Und so weiter im Turnier blieb und nun am Montag im Achtelfinale auf den Russen Michail Juschni traf.
Ex-Superstar John McEnroe ist begeistert: „Eines der aufwühlendsten Spiele der letzten zehn Jahre" habe er da gesehen, gab zu Protokoll, „mit einem Tommy Haas, vor dem man nur niederknien kann." Frankreichs Davis Cup-Kapitän Guy Forget nannte den Deutschen schlicht ein „Phänomen", „einen Profi wie aus dem Lehrbuch."
Ein Tennis-Marathon am Rande der totalen Erschöpfung. Wer hätte einen solchen Haas-Sieg auf der Rechnung gehabt - im zarten Alter von 35 Jahren, gegen den Aufschlagriesen John Isner, der vor zwei Jahren das epische Wimbledonduell mit dem Franzosen Nicolas Mahut 70:68 im fünften Satz entschied. Was musste Haas da nicht alles verkraften und verdauen, bevor er nach vier Stunden und 37 Minuten die Faust in den Abendhimmel reckte?
„Du wirst verrückt, wenn du so eine Achterbahnfahrt erlebst. Aber du gibst halt nie auf", sagte Haas hinterher, „so ein Sieg, der entschädigt für vieles, was ich durchlitten habe. Und für die Mühen im Kraftraum, auf dem Trainingsplatz." Deshalb war es auch ein Glücksmoment ohne Beispiel. „Mit diesem Sieg hat Tommy sich fast noch mal ein Denkmal gesetzt. Das sind Momente, die den Blick auf einen Spieler prägen und verändern", sagte Schwedens alter Champion Mats Wilander. Nach zwei knapp gewonnen Auftaktsätzen und dem verlorenen dritten Akt steuert das Drama Ende des vierten Durchgangs seinem Höhepunkt zu.
Neun Matchbälle hat Haas bei einer 6:5-Führung, doch immer wieder rasseln Asse oder Aufschläge des 206 Zentimeter langen Amis ins Feld, die der 35-jährige nicht returnieren kann. Haas ist der Verzeiflung nahe: „Er serviert dir Bälle rein, da geht halt nix. Dumm nur, dass du dauernd Matchball hast. Du wirst verrückt, bist am Platzen vor Wut.”
Haas-Manager Edwin Weindorfer schwant im dicksten Kampfgetümmel Schlimmes: „Wenn Tommy das verliert, hängt er mindestens zwei, drei Monate durch. Das kriegt er nicht so schnell aus dem Kopf." Im Tiebreak hat Haas noch einmal drei Siegchancen, bei 7:6, bei 8:7 und bei 9:8. Nur einmal bei eigenem Aufschlag freilich, doch was passiert: Haas serviert einen Doppelfehler, fühlt sich da „wie der absolute Depp." Mit 10:12 geht der Satz schliesslich verloren, es steht 2:2, alles zurück auf Null, auf Anfang.
Haas fällt in ein tiefes Loch, mental wie körperlich. So tief, dass keiner mehr einen Cent auf ihn setzt. Vor allem nach dem 1:4 im fünften Satz ist er gefühlt ganz weg von einem Sieg. Und doch: Der Spezialist für verwegene Comebacks schafft die unfassbare Rückkehrmission. „Ich war einfach schrecklich müde. Das einzig Gute war wohl, dass ich sah, wie müde auch John Isner war. Noch kaputter als ich”, erinnert sich Haas.. „Das hat mich gerettet. Und so bin ich auch den Hass losgeworden, den ich auf mich selbst hatte.”
Er gleicht auf 4:4 aus, wehrt dann bei 4:5 einen Matchball Isners ab, zieht immer wieder nach, wenn Isner vorlegt. 6:5, 6:6, 7:6, 7:7, 8:7, 8:8.
„Du hast dauernd das Gefühl hast, dass es dich in einer Achterbahnfahrt hoch und runter zieht”, sagt Haas später über diese an Spannung nicht zu überbietenden Thrillers.
Der Riese hat Krämpfe, kann sich kaum noch auf den Beinen halten. Und Haas schlägt entscheidend zu, mit dem Break zum 9:8. Der Rest ist eine leichte Übung, mit dem gewonnenen Spiel zum 10:8. „Am Ende bin ich wie in Trance unterwegs gewesen", sagte Haas da, „So etwas erlebst du nicht alle Tage." Manchmal nie in einer ganzen Karriere.