Haas siegt in Halle - Wimbledon kann kommen!

HALLE - Tommy Haas holt seinen ersten Titel auf Rasen. Im Finale rang er den Weltranglisten-Vierten Novak Djokovic nieder. "Ein Sieg, der mich versöhnt für viel, was ich erdulden musste."
Vor 16 Monaten, als er zum dritten Mal an der Schulter operiert worden war, da wollte Tommy Haas den „Schläger am liebsten schon in die Ecke schmeißen.“ Doch der Tennisspieler, der wie kein anderer in den letzten Jahren von immer neuen Verletzungsqualen und immer neuen Zwangspausen geplagt worden war, gab auch in diesen dunkelsten Momenten seiner bewegten Karriere nicht auf. Und dass dieser unverdrossene, von allen Rückschlägen unbeeindruckte Tommy Haas auch jenseits der 30 noch immer ein Machtfaktor sein kann im Welttennis, das hat der ehemalige Ranglisten-Zweite in einer großartigen Turnierwoche bei den Gerry Weber Open bewiesen: Um genau 15.45 Uhr streckte der sentimentale Publikumsfavorit am Sonntagnachmittag als neuer Rasenkönig den Silberpokal in die Höhe, als völlig verdienter Champion bei den Rasen-Festspielen in Ostwestfalen, als letztlich souveräner 6:3, 6:7 (5:7), 6:1-Sieger gegen die Nummer 4 der ATP-Hitparade, Novak Djokovic aus Serbien. Und als filmreifer Titel-Held, der eine ewige Leidensgeschichte mit diesem unwahrscheinlichen Happy-End krönte.
„Es ist ein Moment, den ich festhalten möchte, ein Sieg, der mich versöhnt für viel, was ich erdulden musste“, sagte der 31-jährige, der nach dem wunderbarsten und wundersamsten Tennismoment in seinem vorerst letzten Comeback auch mit schönen Hoffnungen nach Wimbledon fahren durfte, zum Saisonhöhepunkt auf den Tennis-Grüns des All England Club. „Tommy ist einer von sieben, acht Spielern, die da gewinnen können“, sagte der neun Jahre jüngere Djokovic, der im Endspiel nicht mit der Kraft und Konstanz und dem Wagemut des unverwüstlichen Matadors Haas mithalten konnte. Für Haas war mit dem Triumph das Dutzend Titelgewinne in dreizehn turbulenten und oft auch tragischen Profijahren voll – zuletzt hatte der Davis Cup-Spieler 2007 in Memphis gewonnen.
Wie eine späte Genugtuung für Haas wirkte das berauschende Erfolgserlebnis vor den eigenen Fans nach den French Open – nach dem sensationellen Auftritt und der unglücklichen Niederlage gegen Roger Federer im Achtelfinale, der schon 0:2-Sätze gegen seinen deutschen Freund zurückgelegen hatte. Doch seine bärenstarke Form, die ihn beim Grand Slam-Spektakel auch in den Fokus der internationalen Öffentlichkeit gerückt hatte, konservierte Haas über die Tage im roten Sand hinaus so bestechend, dass er von der ersten Spielminute an die Gerry Weber Open als bester und kampfstärkster Spieler prägte. „Tommy ist der logische Sieger, kein Zweifel“, sagte Experte Klaus Hofsäss, am Centre Court für das ZDF als Beobachter aktiv.
Haas: "So ein toller Momnent, das ist schon der Wahnsinn"
Selbst die kritischste Phase im ganzen Turnier, einen 2:5-Rückstand im dritten Halbfinalsatz gegen Landsmann Philipp Kohlschreiber am Samstag, meisterte Haas mit der ihm eigenen Mischung aus kühler Gelassenheit und trotziger Leidenschaft. „Ich habe gelernt, mich zu beherrschen in solchen Situationen. Und mir immer vorzuhalten: Gib nie auf, du kriegst immer noch eine Chance“, sagte Haas, ein Mann, der in den späten Jahren seiner Karriere endlich wie ein ausgereifter Profi wirkt – mit sich und der Welt im reinen. Wie ein Spiegelbild wirkte da auch das Finalduell mit Djokovic, in dem Haas die dominierende Figur war und auch später, als unglücklich der zweite Satz verloren gegangen war, nie wirklich seine innere Balance verlor. Im dritten Satz machte der gebürtige Hamburger schliesslich einen Sieg perfekt, den er auch dem „geilen Publikum hier in Halle“ widmete: „So ein toller Moment hier in Deutschland, das ist schon der Wahnsinn.“
Vor siebeneinhalb Jahren hatte Haas sein letztes Turnier gewonnen – in Stuttgart in der Halle. Nun gewann er in Halle auf Rasen, auf einem Belag, auf den er früher nur ging, weil es seine Pflicht als Profi von ihm forderte. In Wimbledon sagte Haas einmal in seinen jungen Jahren, er sähe lieber Rindviecher als Menschen auf Gras spielen. „Irgendwann merkst du aber, wie du dich da verrannt hast. Und wie blöd deine Abwehrhaltung ist“, sagte Haas, „schliesslich ist Wimbledon das Turnier der Turniere, ein Platz, wo du dich als Profi beweisen musst.“ Und um dort gut zu spielen, muss Haas auch im deutschen Wimbledon gut spielen, in Halle, wo er sich inzwischen am wohlsten fühlt bei allen deutschen Wettbewerben, wo er mit seiner Freundin Sara Foster und seiner Familie entspannte Tage trotz Turnierstreß verlebt. Früher nur eine Randnotiz in der Saisonplanung von Haas, sind die Rasentennis-Wochen nun wie eine Wellness-Oase für ihn – Arbeits-Zeit, auf die sich Haas schon Monate vorher freut.
Auf Rasen kann er genau so wie auf den geliebten Hartplätzen sein mächtiges Spiel spielen, ein Spiel mit dynamischen Aufschlägen, mit kraftvollen Grundschlägen und gut getimten Netzattacken. Ein Spiel, das Federer jüngst fast das Rendezvous mit der Tennis-Unsterblichkeit gekostet hätte. Ein Spiel, mit dem Haas in Halle gleich zwei Top-Ten-Leute aus dem Rennen warf, erst Jo-Wilfried Tsonga und dann auch noch Novak Djokovic. „Tommy ist immer noch eine Gefahr für die Großen. Wenn er so weitermacht, wird er bald wieder unter den Top 20 stehen“, sagte Deutschlands früherer Davis Cup-Spieler Carl-Uwe Steeb. So wie es aussieht, wird Haas in der Weltrangliste morgen unter die ersten 35 vorrücken - und mit ein bisschen Glück in Wimbledon auch gesetzt sein. Er kann, wenn alles gut läuft, den Spuren folgen, die ein gewisser Rainer Schüttler im letzten Jahr im All England Club vorzeichnete – Spuren, die bis ins Halbfinale des wichtigsten Turniers der Welt führten.
Jörg Allmeroth