Haas gegen Federer: "Auch nur ein Mensch"
Tommy Haas geht durchaus zuversichtlich ins Spiel seines Lebens, das Halbfinale gegen Roger Federer in Wimbledon
LONDON Auf Trainingsplatz 7 im Aarongi-Park kam Michael Stich am Mittwochabend gehörig ins Schwitzen gegen seinen alten Doppelpartner John McEnroe, doch zu einer atemlosen Einschätzung des Siegeszuges von Tommy Haas reichte es beim Champion des Jahres 1991 noch allemal. „Gut“ spiele Haas, befand Stich und korrigierte sich sofort mit einem Kopfschütteln: „Nein. Das ist sehr gut.“ Und nach dem nächsten Luftholen sagte der Experte aus Hamburg dann auch schon voraus: „Wenn er auf dem Level der letzten Tage spielt, kann er auch Roger Federer schlagen.“
Das Stich-Wort zum Tage traf die Stimmungslage vor dem Halbfinal-Klassiker zwischen Haas und dem Schweizer Maestro: Ein Wunder muss zwar her, um den Unantastbaren zu bezwingen, den fünfmaligen Champion Roger Federer, der 46 seiner letzten 47 Wimbledonspiele gewonnen hat. Aber wer, wenn nicht der wundersame Meister der Comebacks aus Deutschland, sollte Federer stoppen können auf dem Weg zum Grand-Slam-Rekord mit Titel Nummer 15. „Diesem Haas ist alles zuzutrauen. Seine Story ist die größte Story dieses Turniers“, meinte Genius McEnroe, „das wird Rogers härteste Prüfung.“
Mit 31 Jahren ist Haas der älteste Spieler im exklusiven Klub der letzten Vier. „Ich muss mich schon in den Arm kneifen, um zu glauben, dass es auch wahr ist“, sagte Rasenflüsterer Haas. Sicher, der Triumph bei den Gerry Weber Open hatte im Countdown zu den Offenen Englischen Meisterschaften wie Treibstoff fürs Ego gewirkt, aber an ein Wimbledon-Halbfinale, das gab Haas ehrlich zu, „habe ich nicht geglaubt“. Nun stehe da zwar der „größte Spieler aller Zeiten“ im Weg, „aber auch der ist nur ein Mensch, der schlagbar ist“.
Dass er selbst noch einmal in diese komfortable Lage geriet, als erst vierter deutscher Halbfinalist in der Profi-Ära (Becker, Stich, Schüttler) der „All England Championships“ ist das eigentliche „Wunder von Wimbledon“. Denn so richtig ernst genommen hatte man Haas nicht mehr, als der nach seiner dritten Schulteroperation im letzten Herbst einen weiteren Rückkehrversuch im Wanderzirkus startete. „Ich galt als Auslaufmodell, war abgeschrieben“, sagt Haas, „und, ganz ehrlich: In den ersten Wochen, als ich nur Niederlagen kassierte, fehlte nicht viel zum Handtuchwerfen.“
Doch es war auch die Begegnung mit dem Elder Statesman des Tennis, dem großen Andre Agassi, die ihn wieder auf Kurs brachte und die Rücktrittsgedanken verscheuchte. Der Amerikaner, der jenseits der Dreißig die meisten Erfolge errang, impfte Haas ein, „dass du noch viele gute Jahre im Tennis vor dir hast“. Nur brauche es dazu „absolute Disziplin, einen perfekt ausgetüftelten Spielplan und den unbedingten Glauben, es auch zu schaffen“. Schon bald folgte Haas den Weisungen des Ehemannes von Steffi Graf, gleich in Las Vegas ließ sich der Hamburger vom gefürchteten Fitmacher Agassis, Gil Reyes, herumscheuchen. „Da fing alles an“, sagt Haas heute, „danach hatte ich wieder das Gefühl: Da geht noch was.“
Es war zugleich die letzte Verwandlung des Mannes, dem einst als Teenager vorausgesagt worden war, die Nachfolge von Boris Becker und Michael Stich antreten zu können – der dann aber im Profitennis zu viele schwache Trainer, zu viele falsche Berater und zu viele Flausen im Kopf hatte.
Erst als die Uhr auszuticken begann im Profitennis, fand der Mann mit dem attraktiven Spiel den Dreh für den Erfolg – und ganz nebenbei auch sein privates Glück. Um sich herum hat er nicht mehr wie ehedem gesichtslose Befehlsempfänger, vor denen er selbst keinen Respekt hatte, sondern Menschen mit eigener Erfolgsvita: Seine Verlobte Sara Foster, seinen Physiotherapeuten Alex Stober und seinen Trainer Thomas Hogstedt. „Ich bin glücklich, wie Tommy jetzt spielt“, sagt Hogstedt, „aber ich bin todunglücklich, dass ich nicht schon vor zehn Jahren mit ihm arbeiten konnte. Dann wäre wohl vieles anders gelaufen.“