Haas: Gefahr für die Top Guns

Die Tennis-Welt staunt: Auch mit 31 fühlt sich Tommy Haas noch reif für Sensationen. Was ihm sein Coach noch alles zutraut:
PARIS Es war Mitte des dritten Satzes, als der große Roger Federer auf einmal von der Nervosität gepackt wurde. Er lag schon wieder mit 3:4 im Rückstand gegen Tommy Haas, und als Federer in diesem kritischen Moment der turbulenten Achtelfinalpartie dann hinauf blickte zur Ehrentribüne und einen lauten Anfeuerungsschrei seiner schwangeren Ehefrau Mirka vernahm, schoss ihm der Gedanke durch den Kopf: „Nimm’ dir das bloß nicht so zu Herzen. Es gibt noch genug Leute, die mich hier anfeuern.“ Schließlich habe man vorher familienintern abgemacht, „dass Mirka sich zurückhalten soll bei diesem Turnier“.
Der Mann, der Federer nicht nur sportlich gehörig Angst einjagte und ihm fast schon den Traum vom Karriere-Grand Slam (Sieg bei allen vier Topturnieren) zerstört hätte, dieser Mann war kein anderer als der rüstige French Open-Senior Tommy Haas. Ein Spieler, der über die letzten Jahre zur tragischen Figur im Wanderzirkus geworden war – nach endlosen Verletzungsqualen, nach immer neuen Rückschlägen, nach Zwangspausen scheinbar ohne Hoffnung auf einen Neubeginn.
Doch mit dem stärksten Auftritt jenseits der Dreißig, einem auch international hochgelobten Gastspiel gegen Roger Federer trotz Fünf-Satz-Niederlage, verschaffte sich der 31-jährige wieder frischen Respekt in der Szene und fand aufs Neue richtig Gefallen an seinem Beruf auf öffentlicher Bühne: „Manchmal, wenn der Körper nicht mehr wollte in den letzten Monaten, hat es mich auch gar nicht mehr rausgezogen auf den Court“, sagte Haas, „da hat einen der Frust ganz schön runtergerissen.“
In Australien, zu Beginn einer Saison mit vielen Unsicherheiten, hatte Haas die Frage, warum er sich das alles noch antue nach den wiederholten Schulteroperationen, trotzig pariert: „Bin ich mit 31 ein Rentner? Auf dem Abstellgleis? Nein. Ich bin noch hungrig, ich bin fit, ich bin ehrgeizig, ich fühle, dass ich auch noch eine Gefahr für die Top Guns sein kann, für die Federers, die Nadals.“
Doch erst mit dem Pariser Auftritt gegen Federer unterlegte Haas seine späte Tingeltour durch die Tenniswelt nun wieder mit einer Legitimation. Dieser Haas war nicht etwa nur ein lockerer Vagabund der Tour, ein Lust-und-Laune-Spieler, sondern einer, der einen Anspruch formuliert und ihn auch mit Leben erfüllen kann. „Wenn er so spielt wie am Montag, ist er immer noch einer der Besten der Welt. Dann kann er jeden schlagen“, sagte Federer.
„Tommy ist im Moment richtig heiß auf Tennis. Er ist frisch, er ist ziemlich ausgeruht, er hat nicht so viele Matches auf dem Buckel wie die anderen“, sagt sein Berater Thomas Hogstedt. Auch in Wimbledon (ab 22. Juni) werde er „noch so manchen überraschen“, so Hogstedt, „ich bin sicher, dass er da ein richtig gutes Turnier spielt.“
„Tommy Haas – vor dem ziehe ich meinen Hut“, sagte Mats Wilander, der alte Schwede, „der ist wieder in bärenstarker Form. Und wie er Federer hier den Kampf angesagt hat, das schaffen und können nicht viele.“ Auch Haas’ alter Lehrmeister Nick Bollettieri war beeindruckt: „Wer sich nach so viel Verletzungspech so aufrappelt, der verdient tiefen Respekt.“ Er schließe nicht aus, so Bollettieri, „dass Tommy noch mal unter die Top 20 marschiert“.
Haas – der alte Mann und das Mehr.
Jörg Allmeroth