Haas: Die Wundertüte
Erstmals seit langem genießt Tommy Haas (31) die French Open – mit seiner Verlobten.
PARIS Es hat genug Tage gegeben, an denen er die French Open verflucht hat. Und genug Jahre, in denen er am liebsten gar nicht nach Paris gefahren wäre, zu den leidigen und leidenschaftlich gehassten Rutschpartien im Sand. Aber jetzt ist Tommy Haas 31 Jahre alt, er hat drei Schulteroperationen und den größten Teil seiner Karriere hinter sich. Nun, da er auf einer eher entspannten Tingeltour durch die Tenniswelt unterwegs ist, hat er seinen Frieden gemacht mit Roland Garros, dem „unangenehmsten aller Grand Slams“: „Ich habe noch meinen Ehrgeiz, ich will noch etwas erreichen im Tennis, aber ich sehe die Dinge auch gelassener und ruhiger.“
So passte es ins Bild, dass der altersmilde Haas in der sonnigen Abenddämmerung auf dem Außenplatz 6 ohne viel Tamtam und erst recht ohne Aufregung seine Erstrundenaufgabe gegen den Rumänen Andrej Pavel mit 6:1, 6:4 und 6:4 löste – drei Jahre nach seinem letzten Pariser Abstecher. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich überhaupt noch mal herkommen würde. Aber jetzt bin ich über jeden Sieg glücklich“, sagte Haas, der in Runde zwei auf den argentinischen Qualifikanten Leonardo Mayer trifft.
Haas, einst die Nummer 2 der Weltrangliste, ist auf seine alten Tage zu einem Typ geworden, den die Tennisbranche gerne „dark horse“ nennt: Ein unberechenbarer Außenseiter, der an guten Tagen sein Talent immer noch in erstaunliche Siege verwandeln kann. Ein Meister der Unberechenbarkeit ist Haas geworden, ein „Überraschungspaket“, wie sein alter Lehrer Nick Bollettieri sagt: „Ich hätte ihn nicht gerne zum Gegner. Man weiß eben nie.“
Haas, die Wundertüte. Das trifft tatsächlich sein spätes Leben auf der Tour. Was alles so bei Haas passiert, heute, morgen und übermorgen, ist nicht mehr seriös einzuschätzen. Die letzten Wochen zeigten das eindrucksvoll. Zu den BMW Open in München reiste er zwar an, aber zu den Kämpfen im Sand stellte er sich dann doch nicht. Dafür nahm er allerhand gesellschaftliche Termine wahr. Klagen seines ortsansässigen Sponsors ignorierte er, und dazu in Paris befragt, sagte er: „Das bedeutet mir nix. Ich kann nur selbst entscheiden, was gut ist für mich und was nicht.“ Neun Grad-Kälte-Tennis in München ist offenbar nicht gut.
Wozu er sportlich in der Lage ist, wenn er gut gelaunt und motiviert ist, zeigte Haas dann umgehend in Madrid, beim Masters des Impresarios Ion Tiriac. Erst ackerte er sich durch die Qualifikationsrunden, dann schied er nach großem Spiel nur höchst unglücklich in Runde zwei gegen Amerikas Ballermann Andy Roddick aus. „Da hab’ ich gesehen, dass ich vorne schon noch mithalten kann“, sagt Haas.
Nach Paris ist er mit neuem Betreuertrupp angereist. Auf der Trainerbank sitzt wieder Thomas Hogstedt, der Schwede, der ihn schon ein paar Mal gecoacht hat und der zuletzt aus dem Team Kohlschreiber geschieden war. Und als Physiotherapeut steht Alex Stober parat, der einst persönlicher Masseur von Superstar Pete Sampras war. „Es ist nicht so, dass ich mich von großen Zielen verabschiedet hätte“, sagt Haas, „nur setze ich mich nicht mehr so unter Druck.“ Er wolle noch ein „paar gute Jahre“ haben – „aber wenn mich noch einmal eine schwere Verletzung erwischt, dann ist es vorbei.“
Für den Augenblick genießt der erstaunliche Haas aber mal mit allen Sinnen Paris, auch und besonders, weil seine Verlobte Sarah Foster mit von der Partie ist. Er ist selbst ein wenig verblüfft, als er den Satz sagt: „Es ist schön, hier zu sein.“ Beim Tennis und überhaupt.
Jörg Allmeroth
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