Haas: Blöder Tag, gute Bilanz

Tommy Haas gewinnt deutlich mehr Ballwechsel als sein Gegner Verdasco – und scheidet bei den US Open trotzdem aus. In seinen Frust mischt sich Zufriedenheit mit einer gelungenen Saison.
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Und tschüß: Tommy Haas verabschiedet sich von den Zuschauern in New York.
AP Und tschüß: Tommy Haas verabschiedet sich von den Zuschauern in New York.

NEW YORK - Tommy Haas gewinnt deutlich mehr Ballwechsel als sein Gegner Verdasco – und scheidet bei den US Open trotzdem aus. In seinen Frust mischt sich Zufriedenheit mit einer gelungenen Saison.

Er kennt diese verrückten US Open-Abenteuer zur Genüge, diese stundenlangen Expeditionen im ganz normalen Grand Slam-Wahnsinn. Doch der sechste Turniertag in seinem 14. New Yorker Jahr hielt noch einmal Aberwitz, neue Kuriositäten, vor allem aber extremes Enttäuschungspotenzial für „Big Apple“-Fan Tommy Haas parat: Gegen den Weltranglisten-Zehnten Fernando Verdasco holte der Tourveteran am Samstagnachmittag in 3:45 Stunden Spielzeit elf Punkte mehr als sein spanischer Rivale (167:156), lag in jedem der fünf Sätze im Louis Armstrong-Stadion mindestens mit einem Break und zwei Spielen in Führung.

Aber ins Achtelfinale zog Haas nach dem paradoxen Ballvergnügen keineswegs ein – in einem hektischen Spiel, das zum allgemeinen Chaos auf der hoffnungslos überfüllten USTA-Anlage in Flushing Meadow passte, leistete sich der deutsche Altmeister einen Alptraum an vergebenen Chancen und schloss mit der 6:3, 5:7, 6:7 (8:10), 6:1, 4:6-Niederlage die Tür zu für Tennis-Deutschland. Am „Labor Day“-Wochenende, das traditionell den Sommerausklang in Amerika markiert, war auch die Hoffnung auf einen sonnigen Grand Slam-Abschluß für die DTB-Profis vorüber. Als der Major-Wettbewerb nun noch einmal so richtig an Tempo und Dramatik gewann, blieb für die Deutschen nur die bittere Zuschauerrolle übrig.

"Da kämpfst du vier Stunden, und stehst mit leeren Händen da"

Das lange Grand Slam-Wochenende, das mit dem Abgang von Sabine Lisicki im Rollstuhl auf Platz 11 begann, beschloß unfreiwillig ausgerechnet der stärkste Deutsche in dieser Saison – Paris-Achtelfinalist und Wimbledon-Halbfinalist Tommy Haas. „Da kämpfst du fast vier Stunden, und dann stehst du mit leeren Händen da“, sagte der niedergeschlagene Fighter, „so eine Niederlage zu verdauen, das braucht ein paar Tage.“ Der Schmerz war umso größer, da Haas sich immer wieder Führungen herausspielte, seine Chancen an diesem Tag aber verzagt und flatterhaft liegen ließ. Besonders bitter war die fehlende Entschlusskraft im finalen Akt: Auch hier lag Haas 3:1 in Front, gewann dann aber bis zum 4:6 nur noch ein einziges Spiel. „Scheißdreck“, brüllte der mit sich und der Welt unzufriedene Haas in den Nachthimmel, ein nervlich gequälter Gladiator, der eigentlich ganz anderes bei diesen US Open im Sinn hatte – nämlich endlich mal am Finalwochenende im großen Spiel vertreten zu sein.

Mit seiner Nonchalance in matchentscheidenden Situationen stand der erfahrene Recke leider nicht allein – denn wenn sich bei den Deutschen zuallerletzt in New York etwas wie ein roter Faden durchs US Open-Drehbuch zog, dann die fehlende Kühle bei den Big Points und der schwache Glaube, ein scheinbar verlorenes Spiel noch einmal machtvoll umzubiegen. Zu brav, zu bieder, zu wenig abgezockt verabschiedeten sich viele vom Schauplatz New York, mal abgesehen vom Hannoveraner Nicolas Kiefer, der eine höchst respektable Vorstellung beim Vier-Satz-Aus gegen Rafael Nadal auf dem Centre Court bot.

Kohlschreibers kümmerliche Vorstellung

Am anderen Ende der Skala landete Philipp Kohlschreiber, noch beim Davis Cup-Duell der Deutschen in Spanien der Held zweier Einzelsiege. Aber gegen den keineswegs weltbewegend starken Tschechen Radek Stepanek verabschiedete sich der Augsburger am Samstag mit einer kümmerlichen 6:4, 2:6, 3:6, 3:6-Pleite und sah nicht aus, als könne er bald schon die Prophezeiungen eines Niki Pilic erfüllen. Der ehemalige Davis Cup-Chef hatte kürzlich erklärt, er sehe Kohlschreibers Potenzial „zwischen Platz fünf und 15 in der Weltrangliste.“ Ein „richtig guter Erfolg“, gab Kohlschreiber später auch zu, „war nicht dabei in dieser Grand Slam-Saison".

Dass sich auch Kohlschreibers Davis Cup-Kollege Philipp Petzschner nach haarsträubendem Spielverlauf aus dem Turnier katapultieren ließ, passte ins Bild der merkwürdig fahrlässigen Deutschen – einer Kleingruppe ohne Killerinstinkt. Mit 2:0-Sätzen hatte Petzschner gegen den spanischen Granden Juan Carlos Ferrero geführt, noch einmal 4:1 in Satz 5 in Front gelegen, doch auch er blockierte sich selbst den Weg ins Achtelfinale. Zwölf Deutsche immerhin hatten beim Startschuss im Hauptfeld gestanden, doch unter ihnen waren zuviele Wackel- und Zählkandidaten.

Sara feuert Haas vergeblich an

Haas, vergeblich von seiner Verlobten Sara Foster und von seinem Trainer Thomas Hogstedt in dem Fünf-Satz-Drama angefeuert, hatte in der größeren Bilanz des Grand Slam-Jahres noch am meisten Grund zur Zufriedenheit: „Ich hätte nicht träumen können, dass die Saison noch diese Wende nimmt. Dass ich wieder an den Top 20 dran bin, wieder bei den größten Turnieren große Matches spiele.“

Leichter als im frustrierenden Herbst des Vorjahres werde es ihm fallen, sich in der Saisonpause fürs nächste Tennisjahr zu motivieren: „Die Lust und der Spaß sind wieder zurückgekehrt. Blöde Tage wie der gegen Verdasco relativieren sich da“, sagte Haas. Wenn nicht alles täuscht, ruhen nach dem nicht allzu heißen Herbst für die Deutschen, nach der Asientour, nach der WM dann 2010 noch immer die größten Hoffnungen auf dem unverwüstlichen Haas.

Jörg Allmeroth

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