Greis im AZ-Interview: "Das Land der Läufer und Schützen"

Am Mittwoch wird die Biathlon-WM eröffnet. Triple-Olympiasieger Michael Greis spricht in der AZ über Simon Schempp und was er Miriam Gössner raten würde.  
von  Matthias Kerber
"Simon ist fast der Einzige, der nicht darauf warten muss, dass Martin Fourcade einen schlechten Tag hat, um selber gewinnen zu können", sagt Michael Greis über Simon Schempp.
"Simon ist fast der Einzige, der nicht darauf warten muss, dass Martin Fourcade einen schlechten Tag hat, um selber gewinnen zu können", sagt Michael Greis über Simon Schempp. © Minkoff/Augenklick/dpa

Am Mittwoch wird die Biathlon-WM eröffnet. Triple-Olympiasieger Michael Greis spricht in der AZ über Simon Schempp und was er Miriam Gössner raten würde.

Michael Greis im AZ-Interview. Der jetzt 39-Jährige gewann bei Olympia 2006 in Turin drei Mal Gold im Biathlon. zudem gewann er drei WM-Titel und einmal den Gesmatweltcup. 2012 beendete er seine Karriere.

AZ: Herr Greis, hätten Sie, der Dreifach-Olympiasieger von 2006, es für möglich gehalten, dass die deutschen Biathleten in dieser Saison so dermaßen erfolgreich sind und nun bei der WM in Oslo zu den Medaillenfavoriten zählen?

MICHAEL GREIS: Wenn man bedenkt, was sich für ein unglaublich tiefes Loch aufgetan hat, als die Magdalena Neuner, die erfolgreichste Biathletin aller Zeiten, 2013 ihre Karriere beendet hat, kann man nur sagen: Es ist sensationell, was die Jungs und Madln da leisten, da kann man nur alle Hüte ziehen. Wenn man sich das so ansieht bei den Damen, das ist schon fast besser, als es je war. Klar, zur absoluten Spitzenzeit war immer eine unter den Top-Drei, da herrschten fast Zustände wie jetzt beim Rodeln. Aber das will ja dann auch kaum noch einer sehen. Aber Biathlon ist nicht nur eine verdammt coole Sportart, sondern auch eine, die eine unglaubliche Resonanz hat. Auch und gerade in Deutschland.

Das Land der Dichter und Denker. . .

. . .ist eigentlich ein Land der Läufer und Schützen. (lacht)

Wer hat Sie denn am meisten überrascht in dieser Saison?

Ich würde sagen, die Franziska Hildebrand. Die war – da muss man nicht lange drumrum reden – eigentlich schon abgeschrieben. Aber sie hat sich läuferisch gewaltig verbessert, hat das radikal betrieben, hat sich an die Grenzen des Leistungsvermögens gequält. Das zahlt sich richtig aus. Wie heißt’s? Von nix kommt nix.

Und die Laura Dahlmeier?

Das ist ein richtig gutes Naturmadl, vollkommen geerdet. Und sehr mutig. Die ist im Kopf sehr stark, wie die für sich entscheidet, dass sie mal was ausprobiert oder andere Sachen im Training weglässt, das ist sehr reif. Das macht einfach Spaß.

Das Sorgenkind ist Miriam Gössner. Und das, obwohl sie erzählt, dass ihr die Beziehung zu Ihrem Freund Felix Neureuther mental geholfen hat.

Das kann ich nicht beurteilen. Ich weiß aber, dass der Felix ein verdammt cooler Typ ist, ein Wettkampftyp. Die Miri hat ihm das Langlaufen beigebracht, was ihm Spaß macht. Läuferisch ist die Miriam mit dabei, aber Schießen ist nicht ihre Stärke. Es macht es sicher nicht leichter, dass sie immer darauf angesprochen wird, dass sie das nicht richtig kann. Ein Simon Schempp hat das Selbstvertrauen. Er hat das Selbstverständnis, dass er sich, wenn es an den Schießstand geht, sagt: „Ich pack das!“ Bei Miriam ist es eher so, dass sie sagt: „Hoffentlich treffe ich.“

Woran liegt es?

Das muss sie selber wissen. Sie ist ein quirliger, energiegeladener Typ, das ist für das Laufen gut, am Schießstand nicht unbedingt. Wobei man schon gesehen hat, dass sie an sich gearbeitet hat, beim Liegendschießen zumindest macht sie nicht mehr so viele Bewegungen. Ich denke, sie müsste ihren Ansatz vielleicht breiter aufstellen.

Das heißt konkret?

In so einer Situation kann man sich sicher überlegen, ob man einen Mentaltrainer zurate zieht, damit das Schießen positiv belegt ist, dass sie mit guten Emotionen an den Schießstand geht. Auch Yoga kann man versuchen. Mir selber hat die Lektüre des Buches „Zen in der Kunst des Bogenschießens“ in meiner Karriere sehr geholfen. Sich einfach all die Vorgänge bewusst zu machen. Mir hat das gutgetan, aber das kann jeder nur für sich entscheiden.

Sie sprachen Schempp an. Er ist einer der Topfavoriten.

Absolut! Er hat eine unglaubliche Stärke. Er hat nur das eine Problem, dass es den Martin Fourcade auch noch gibt, der nicht nur brutal gut laufen kann, sondern auch extrem gut schießt. Aber der Simon ist fast der Einzige, der nicht darauf warten muss, dass Fourcade einen schlechten Tag hat, um selber gewinnen zu können, sondern wenn er einen guten Tag erwischt, kann das reichen. Mit Eric Lesser und Arnd Peiffer, der, wenn er seinen Kampfgeist abruft, auch stark ist, haben wir eine Supermannschaft.

Glauben Sie, dass Schempp dadurch gehandicapt ist, dass er länger erkrankt war?

Das kann jetzt sogar ein Vorteil sein. Wenn man alle Rennen mitmacht, hat man so 25 in den Knochen, das zehrt, geht an die Substanz. Er hat jetzt weniger Starts. Aber man sieht ihm schon an, wie austrainiert und abgemagert er ist. Dass da das Immunsystem nicht mehr immer das beste ist, ist natürlich.

Die WM findet in Oslo statt, einer der Wintersport-Orte schlechthin.

Man hat von der Strecke einen grandiosen Blick auf den Fjord. Man kann aber nur hoffen, dass die Verhältnisse fair für alle sind. Bei den Weltcups hatten wir oft das Problem, dass die Schneequalität nicht toll war. Zu weich, zu viel Dreck, der aus der Stadt reingetragen wird. Aber grundsätzlich ist das eine WM, die allen Spaß machen wird. Fans und Athelten.

Sie selber haben sich ja zuletzt ganz anders ausgetobt.

Ja, ich schreibe meine Bachelor-Arbeit im Internationalen Management und habe dafür ein Praktikum beim FC Bayern absolviert. Das hat enormen Spaß gemacht und der Verein ist wirklich in vielen Bereichen absolut vorbildlich.

Wie muss man sich das vorstellen, Sie rufen an und sagen: „Hallo, hier ist der Michi Greis, ich würde gerne ein Praktikum machen?“

(lacht) Nicht ganz. Ich kenne einen aus dem Vorstand gut, den habe ich angerufen, dann haben wir geschaut, was würde passen. Es war sehr interessant, ich habe mit Hans Pflügler, dem Fußball-Weltmeister von 1990, fast täglich zu tun gehabt. Der ist leidenschaftlicher Langläufer, dem habe ich gleich mal gezeigt, wie man richtig wachst. Jetzt kann er es. (lacht)

Sie waren selber immer begeisterter Fußballer.

Aber ich war ein besserer Langläufer als Fußballer. Ich habe ziemlich alles gespielt. Früher ist man ja fast ohne Taktik dem Ball hinterher. Als Bua war ich Stürmer, da will man Tore machen, später war ich Libero – die Position kennen nur noch die Älteren unter uns. (lacht).

 

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