„Grand Sam“ wird zur gestürzten Heldin

Lokalmatadorin Samantha Stosur scheiterte sensationell in der ersten Runde der Australian Open.Die US-Open-Siegerin brach unter dem Druck einer ganzen Nation zusammen.
von  sid

MELBOURNE – Stosur sorgte für Ernüchterung in Down Under. Die australische Tennis-Nation weinte um ihre gestürzte Heldin, doch Sam Stosur bewahrte auch in der Stunde ihrer wohl bittersten Niederlage Haltung. Mit versteinerter Miene, aber doch irgendwie gefasst, vertagte die 27-Jährige von der Gold Coast den großen Katzenjammer nach ihrer Erstrundenpleite bei den Australian Open um ein paar Stunden.

So wie vor vier Monaten, als „Grand Sam“ nach ihrem Triumph bei den US Open erst ganz allein im Hotel Gefühle gezeigt hatte. „Ich habe meine Schlägertasche beiseite gelegt, mich aufs Bett gesetzt und dann geweint“, berichtete Stosur jüngst von ihrer ganz persönlichen Mondlandung in einem Zimmer in New York. Nach dem Triumph von Flushing Meadows war für die Weltranglistenfünfte Stosur nichts mehr wie vorher – und Australien träumte bereits von einem weiteren Coup der neuen Volksheldin beim Heimspiel.

Als letzte Einheimische hatte 1978 Chris O'Neil in Melbourne den Titel gewonnen. Am Dienstagmittag in der 15.000 Zuschauer fassenden Rod-Laver-Arena brach die muskulöse Stosur („Das ist eine extreme Enttäuschung“) dann aber unter dem Druck einer ganzen Nation förmlich zusammen. Wie vor ihr bereits ihre Landsleute Pat Cash und Patrick Rafter, die einst Wimbledon beziehungsweise die US Open gewonnen hatten, dem ersehnten Titel in Melbourne aber ebenso verbissen wie erfolglos hinterhergejagt waren.

Die australische Presse rief den Aussie-Fluch von Melbourne aus. Symptomatisch für die Verunsicherung, dass Sam Stosur den Matchball gegen Sorana Cirstea (Rumänien) zum 6:7 (2:7), 3:6 mit einer Zittervorhand weit hinter die Grundlinie setzte. „Schock-K.o.“, titelte The Age. Die Fassungslosigkeit der Fans drückte sich in einer lähmenden Stille aus. Cirstea fürchtete sich da bereits davor, welche Ausmaße ihr Geniestreich haben könnte. „Jetzt wird mich ein ganzes Land hassen“, mutmaßte die Nummer 59 des Rankings. Stosur machte keinen Hehl daraus, dass ihr die hohe Erwartungshaltung zu schaffen machte – anders als tags zuvor ihrem erst 19 Jahre alten Landsmann Bernard Tomic.

Der in Stuttgart geborene Teenie holte bei seinem Erstrundensieg gegen den Spanier Fernando Verdasco einen Zweisatz-Rückstand auf. „Bernard ist offenbar jemand, der an der ganzen Aufmerksamkeit der Australier wächst“, sagte Stosur. Und es klang, als ob sie noch anfügen wollte: „Und ich nicht.“ Im nächsten Jahr will Stosur einen neuen Anlauf im Melbourne Park nehmen – ihren insgesamt elften. Dass sie eine Kämpferin ist, hat die einst beste Doppelspielerin der Welt, die beim 'Happy Slam noch nie über das Achtelfinale hinausgekommen ist, bereits mehrfach bewiesen. Nach einer gefährlichen Infektionskrankheit (Borreliose) und einer Pause von fast einem Jahr kehrte die French-Open-Finalistin von 2010 stärker denn je auf die Tour zurück.

Bereits als Kind hatte Stosur viel durchgemacht: Als sie sechs Jahre alt war, verlor ihre Familie durch eine verheerende Flut in Ostaustralien Haus und Hof. "Es war verdammt hart„, sagt Stosur immer wieder. Weinerlich klingt es nie, wenn die Spielerin mit der unvermeidlichen Sonnenbrille über das Trauma spricht. Eher gefasst. So wie am Dienstag nach der Niederlage, die die australischen Träume von einem neuen “Grand Sam' jäh platzen ließ.

 

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